Crowdinvesting:Riskante Schwärmerei

Luvebelle

Luvebelle hieß das Immobilienprojekt, das in Berlin entstehen sollte. Geplant war der Bau von Micro-Appartements, doch das Investment ging schief. Visualisierung: oh

500 Millionen Euro wurden über Crowdinvesting in Deutschland gesammelt. Auf speziellen Plattformen im Internet kann man vom Sofa aus viel Geld an Unternehmen verteilen. Doch nicht jedes Projekt klappte - viele Anleger bangen um ihr Geld.

Von Victor Gojdka

Es waren diese Bilder, die viele Anleger ins Schwärmen brachten: Die modernen Kleinapartments mit den gewienerten Badeböden, die mokkafarbenen Sessel vor den holzvertäfelten Loungewänden, der Ausblick auf eine von Efeu umrankte Häuserfront. Das versprach Architekt Hans Michael Groh, tiefschwarze Hornbrille, tiefschwarzer Anzug, rotes Einstecktuch. 52 Mikroapartments wollte er schaffen, Berlin-Tempelhof, Friedrich-Karl-Straße 22.

Tolle Bilder, ohne Frage. Knapp 300 Anleger gaben Geld für Grohs Idee von den kleinen Apartments. Die Sache hat nur einen Haken: Inzwischen haben die Projektunternehmen Insolvenz angemeldet und knapp 300 Anleger bangen um ihr Geld. 1,25 Millionen Euro stehen im Feuer.

Crowdinvesting, das scheint in digitalen Zeiten eine Verheißung für Anleger. Auf speziellen Plattformen im Internet können sie vom Sofa aus ein paar Hundert oder Tausend Euro an Unternehmen verteilen, die wahlweise Bio-Eis am Stiel produzieren, einen elektrischen Rollator auf den Markt bringen oder eben Häuser bauen wollen. In Zeiten der Magerzinsen locken viele Projekte mit ordentlichen Zinsen von sechs, sieben oder acht Prozent.

Der Verlockung erliegen immer mehr Anleger, wie eine Studie des Datenbankanbieters Crowdinvest.de zeigt: Vor wenigen Tagen hat die Summe aller deutschen Crowdinvestments erstmals die Schallgrenze von einer halben Milliarde Euro übertroffen. Aus den Kleckerbeträgen der Kleinanleger ist ein ordentlicher Haufen geworden. Doch immer mehr Projekte machen mit drei Ps von sich Reden: mit Pleiten, Pech und Pannen.

Architekt Groh wurden offenbar Styroporplatten zum Verhängnis, die er in Berlin nicht entsorgen konnte, als Politiker die Platten zu Sondermüll erklärten. Dann ging sein kaufmännischer Leiter von Bord - und die Firmen Arplan und Conrem Ingenieure stellten den Insolvenzantrag. So teilt es die Internetplattform Zinsland mit, über die der Architekt bei den Anlegern um Geld warb. "Ein alter Keller, Asbest oder Baumängel", sagt Immobilienprofessor Steffen Sebastian von der Universität Regensburg, "bei Immobilienprojekten können immer Überraschungen lauern."

Das steht im Gegensatz zum Glauben vieler Anleger. Immobilien? Für sie ist das Betongold, sicher und verlässlich. "Doch das ist gerade im Falle der Crowdinvestments ein Denkfehler", sagt Wolf Brandes, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Hessen. Denn die Anleger gewähren dem Unternehmen in den meisten Fällen ein sogenanntes Nachrangdarlehen und bekommen dafür einen Zins. Im Falle eines Insolvenzverfahrens sitzen sie mit einem Nachrangdarlehen allerdings auf den billigen Plätzen: Schlittert ein Projekt in die Pleite, müssen Banken, Mitarbeiter und Lieferanten zuerst ausgezahlt werden. "Wenn eine Pleite kommt, muss sich der Schwarm hinten anstellen", sagt Verbraucherschützer Brandes.

Ausgerechnet diese Form des Investments haben die Berliner Politiker 2015 mit dem Kleinanlegerschutzgesetz begünstigt. Anlegerschutz, das klingt gut. Doch für die Crowdinvestments ließen die Berliner Koalitionäre eine Lücke: Wer bis zu 2,5 Millionen Euro zum Beispiel über ein Nachrangdarlehen einwirbt, muss keinen dicken Verkaufsprospekt schreiben. Es reicht ein dreiseitiges Verbraucherinformationsblatt. Zumindest, wenn jeder einzelne Privatanleger nicht mehr als 1000 Euro investieren kann - oder 10 000 Euro, wenn er genügend Vermögen nachweist.

Verbraucherschützer sehen diese Regelung skeptisch: Der Verbraucherzentrale Hessen waren die Informationen in mehr als 50 von 83 untersuchten Blättern zu unkonkret. "Wir haben viele Allgemeinplätze und Standardformulierungen gefunden, aus denen Verbraucher nicht schlau werden", sagt Verbraucherschützer Brandes. Das sei fatal, weil die Blätter den Verbrauchern suggerierten, gut über die Projekte informiert zu sein, bilanzierten Forscher der Universität Bamberg in einer Studie.

Dass inzwischen mehr als die Hälfte aller eingesammelten Crowd-Euro in Immobilienprojekte wandern, hätte noch vor wenigen Jahren niemand gedacht. Doch gerade die Form des Nachrangdarlehens ist für viele Projektentwickler attraktiv. Wenn die Bank nur 80 Prozent der Bausumme über einen Kredit finanziert, der Immobilienentwickler aber nur zehn Prozent Eigenkapital in das Projekt stecken will, kann er sich den Rest bei der Crowd besorgen. Und weil sich der Schwarm im Insolvenzfall hinten anstellen muss, zählen die Darlehen faktisch wie Eigenkapital, das hält seine Bankzinsen klein.

Mit der ursprünglichen Idee, junge Start-ups zu unterstützen, haben die Immobilienprojekte nicht mehr viel zu tun. Experten wie Steffen Sebastian, Professor für Immobilienfinanzierung, sehen es daher kritisch, dass die lockeren Verbraucherschutz-Regeln nicht nur für innovative Start-ups, sondern auch für schnöde Bauprojekte gelten. "Der klassische Immobiliensektor ist im Vergleich zu Start-ups weder außergewöhnlich innovativ, noch braucht er gerade zusätzliche Kapitalanbieter", sagt Sebastian. Bald könnten nach dem Willen der Berliner Koalitionäre sogar Projekte mit einem Umfang bis acht Millionen Euro von den lockeren Regeln profitieren, aktuell liegt die Grenze bei 2,5 Millionen. Was passiert, wenn die Preise am aufgeheizten Immobilienmarkt irgendwann einmal in den Keller gehen sollten, mag sich niemand vorstellen.

Klar ist, die Crowdprojekte bergen ein hohes Risiko, ob Immobilien oder Start-ups. Bei 14 Prozent aller Projekte sei es bereits zu Ausfällen gekommen, konstatierte die Bundesregierung 2016 in einem Bericht. Dass gerade junge und bisweilen unerfahrene Unternehmer mit ihrer Idee eine Bauchlandung erleiden können, versteht sich von selbst. Verbraucherschützer empfehlen daher, nur Spielgeld in solche Projekte zu investieren, dessen Verlust die Hobbyinvestoren verschmerzen können. Und das Geld über mehrere Projekte zu verteilen, um das Risiko zu streuen. Denn nicht auf jeden Stein lässt sich bauen.

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