Crashkurs (4): Zahl der Arbeitslosen:Eine Lüge namens Statistik

Alles nur gefälscht: Die Bundesagentur für Arbeit und mit ihr die Regierung rechnet sich die Zahl der Arbeitslosen schön - weil Ein-Euro-Jobber und die "58er" herausfallen.

Dirk Müller

Im Moment ist ständig von der wunderbaren Vermehrung der Arbeitsplätze zu lesen. Zugegeben: Wie es die Bundesregierung schafft, aus einem Heer von Arbeitslosen auf dem Papier ein Jobwunder zu erschaffen, das hat in der Tat schon etwas von einem biblischen Wunder. Hätte die Bundesagentur für Arbeit diese Nummer vor 2000 Jahren durchgezogen, wäre das vermutlich irgendwo zwischen der Teilung des Roten Meeres und der Speisung der 5000 in der Bibel erzählt worden.

Crashkurs (4): Zahl der Arbeitslosen: Die Bundesagentur für Arbeit meldet monatlich die Arbeitslosenzahlen.

Die Bundesagentur für Arbeit meldet monatlich die Arbeitslosenzahlen.

(Foto: Foto: ddp)

Es ist doch so: Auf Seite 1 der Zeitungen steht oft "Niedrigste Arbeitslosenzahl im Dezember seit Jahren", auf Seite 2 bis 4 der gleichen Zeitung wird vom Stellenabbau im Bankgewerbe und von der Verlagerung von Tausenden von Handy-Arbeitsplätzen nach Rumänien berichtet.

Mein Nachbar hat gerade seine Spedition geschlossen, und die Bundesagentur für Arbeit frohlockt monatlich mit tollen Zahlen. Sind das alles nur traurige Einzelschicksale und wir alle nur fachlich zu wenig beschlagen, um zu erkennen, dass das große Ganze sich wunderbar entwickelt? Oder sind meine Beobachtungen nach dem gesunden Menschenverstand gar nicht so falsch, aber die Zahlen der Statistik passen da irgendwie nicht rein? Höchste Zeit, sich diese Arbeitslosenstatistik einmal näher anzusehen. Also machen wir unsere Windmaschine an, blasen den Nebel der Statistikformeln beiseite und konzentrieren uns auf das Offensichtliche.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) meldet im Februar 2008 offiziell 3,6 Millionen Arbeitslose. Jetzt denkt der geneigte Wähler: "Naja, 3,6 Millionen haben keine Arbeit und werden unterstützt. Alle anderen, die nicht mehr zur Schule gehen oder schon in Rente sind, haben Arbeit." Das ist gesunder Menschenverstand - hat aber leider nichts mit der Schönrechnerei unserer Regierung zu tun. Die sieht das ganz anders: Der Arbeitslose, der zum Beispiel gerade auf Staatskosten eine Berufsqualifizierungsmaßnahme macht, ist nämlich gar nicht arbeitslos. Der Arbeitslose, der gerade auf Kosten der Arbeitsagentur eine Berufsberatung erhält, ist auch nicht arbeitslos. Sie werden denken: "Wie das? Der Arbeitslose ist arbeitslos, bezieht Arbeitslosengeld, aber wird nicht als arbeitslos gezählt?" Und ich sage Ihnen: "Ja! Genau so wird das Spiel gespielt."

Und damit wir nicht nur im luftleeren Raum argumentieren, hier die harten Fakten der Bundesagentur für Arbeit. Im Februar 2008 nahmen 1,46 Millionen Arbeitslose an sogenannten "ausgewählten Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik" teil. Unter diesen tollen Begriff fallen Qualifizierung, Berufsberatung, Förderung der Berufsausbildung und so weiter. Aber halt! Wir dürfen ja nicht sagen: "Arbeitslose". Denn mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (in Kraft seit 1.1.2004) wurde im § 16 Arbeitslose, SGB III klargestellt: "Teilnehmer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gelten als nicht arbeitslos."

Es gibt natürlich auch Arbeitslose über 58 Jahre. Hier geht es für Detailinteressierte um § 428, SGB III. Hierunter fallen im November 2007 204.000 Menschen, die zwar Arbeitslosengeld kassieren, aber nicht als arbeitslos gezählt werden.

Die Ein-Euro-Jobber dürfen wir auch nicht vergessen. Die bekommen zwar Arbeitslosengeld. Doch da sie ja arbeiten, und sei es auch nur für einen Euro pro Stunde, sind sie laut Regierung ebenfalls nicht arbeitslos. Toll! Das macht noch einmal 287 000 Arbeitslose weniger im Februar 2008.

Dazu kommen noch die kranken Arbeitslosen, die nicht mehr als arbeitslos zählen, die Jugendlichen, die keinen Job haben, aber eine Lehrstelle suchen, und so weiter und so weiter...

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was passiert, wenn die Angelegenheit mit gesundem Menschenverstand betrachtet wird.

Eine Lüge namens Statistik

Da blickt zwar keiner mehr durch - soll ja aber auch nicht. Drehen wir den Spieß doch mal herum und betrachten die Sache mit dem gesunden Menschenverstand. Die Zahlen haben wir wieder von der Bundesanstalt für Arbeit.

Wir behaupten einfach, dass wir alle diejenigen als arbeitslos zählen, die Arbeitslosengeld bekommen. Ist doch eigentlich die einfachste und logischste Betrachtungsweise, oder?

Februar 2008: Empfänger Arbeitslosengeld I: 1,1 Millionen Empfänger Arbeitslosengeld II: 5,1 Millionen Gesamtzahl der Arbeitslosen: 6,2 Millionen!

Vergleichen wir das noch einmal mit den 3,6 Millionen, die uns die Regierung an die Backe malen will. Was macht die Bundesagentur da? Sie schmeißt eine ganze Kiste Nebelkerzen mit den Namen "Ein-Euro-Job-Kerze", "Über-58-Kerze" und so weiter, und in dem ganzen Qualm steht einer und schreit: "Ich hab's gesehen, es sind nur 3,6 Millionen Arbeitslose!!!" Und da wir keine Lust haben, selbst im Nebel herumzustochern, glauben wir es halt.

Würden wir uns die Mühe machen, wären wir wieder bei des Kaisers neuen Kleidern. Wir zählen einfach alle Arbeitslose als Arbeitslose, und schon ist der ganze Spuk enttarnt. So einfach ist das! Aber warum macht man das? Warum erzählt man uns nicht die Wahrheit? Ein römischer Senator hat einmal im Senat den Vorschlag eingebracht, dass alle Sklaven in der Öffentlichkeit weiße Armbänder tragen sollten. Er war der Ansicht, man könne ja nicht mehr unterscheiden, wer Sklave und wer ein Freier sei. Der Senat lehnte diese Anfrage ab. Aus gutem Grund: "Wenn die Sklaven sehen, wie viele sie sind, fegen sie uns hinweg." Mit leicht veränderter Wortwahl ginge der Satz heute auch wieder durch.

Selbstbewusst Änderungen verlangen

("...") Solange der Arbeitslose glaubt, dass die Wirtschaft toll läuft und nur er persönlich zu blöd ist, daran teilzuhaben, solange hält er schamvoll den Mund. Alle anderen scheinen ja Jobs zu bekommen, da wird es wohl an ihm selbst liegen. Vielleicht sollte er sich doch mal wieder rasieren.

Aber was, wenn die Arbeitslosen wüssten, dass sie sechs Millionen sind? Vielleicht würden sie dann doch selbstbewusster nach Änderungen verlangen. Und davor haben die Regierung und die Industrie eine Heidenangst. Selbst die hessische Sozialministerin Silke Lautenschläger wirft der Bundesregierung und der Bundesagentur für Arbeit in einem Interview mit dem hessischen Rundfunk "Statistik-Schwindel" vor.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch "C(r)ashkurs - Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance? Wie Sie das Beste aus Ihrem Geld machen" von Dirk Müller, es ist kürzlich bei Droemer erschienen. Müller, besser bekannt als Mr. Dax, ist Deutschlands prominentester Kursmakler.

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