Contra:Runter vom Beifahrersitz

Contra: undefined

Es ist Zeit, die Freiheit auf der Straße zu verteidigen. Jede neue Technik birgt die Gefahr staatlicher Kontrolle.

Von Jan Willmroth

Zwei Meldungen sind es in diesen Tagen, die jeden Autofahrer aufhorchen lassen sollten. Beide wirken harmlos - und bieten doch Anlass, einmal grundsätzlich über einen Entwicklung nachzudenken, an deren Ende eine konsequente Überwachung jedes einzelnen Fahrers im Straßenverkehr stehen könnte.

Google, der mächtige Internetkonzern, der für seine Dienstleistungen schon heute Verkehrsdaten auswertet, will künftig nicht mehr nur Staus, sondern auch Schlaglöcher erfassen. Dazu sollen Smartphones während der Fahrt Erschütterungen messen. In der Masse soll das eine Landkarte der Straßenschäden ermöglichen; dem einzelnen Nutzer zeigt es einmal mehr, wie präzise sich inzwischen das Fahrverhalten messen lässt. Die zweite Meldung ist die Idee, Carsharing-Anbietern Zugriff auf die Flensburger Verkehrssünder-Datenbank zu ermöglichen. So würden die Anbieter frühzeitig Nutzer identifizieren, die ihre geliehenen BMW überdrehen könnten. Alles dem Argument untergeordnet, den Straßenverkehr sicherer zu machen.

Nun ist es nicht diese eine Idee, die bedenklich stimmen sollte - es ist der zeitgeschichtliche Zusammenhang, in dem sie öffentlich diskutiert wird. Um in Flensburg registriert zu werden, muss man heute noch zu schnell an Radarkontrollen vorbeifahren, der Polizei auffallen oder Unfälle verschulden. Die Behörden reagieren nur auf Ereignisse, von denen sie erfahren. Und sie erfahren immer mehr. Bald wird es möglich, einfach das Auto mit der Verkehrssünder-Datenbank zu vernetzen und bei ausreichend häufig missachteten Geschwindigkeitsbegrenzungen automatisch Punkte zu verteilen. Dann bliebe nur noch die Frage zu klären, wie verlässlich die dazu benötigte Technologie aus juristischer Sicht wäre.

Diese Frage wird wohl in Kürze beantwortet sein. Auch Versicherungen reagieren heute auf Ereignisse, deren Wahrscheinlichkeit sie zuvor berechnet haben. Schon bald aber werden sie viel öfter die Höhe ihrer Beiträge nach dem Fahrverhalten der Kunden ausrichten. Wer riskant fährt, zahlt mehr. Während diese sogenannten Telematik-Tarife im Ausland schon erfolgreich verkauft werden, kommen sie von 2016 im großen Stil nach Deutschland - zunächst nur als Option, mit der Kunden geringere Beiträge zahlen. Schon bald könnte sich das Blatt wenden: Dann wird jeder Fahrzeughalter, der sich den kleinen Boxen im Auto verweigert, die das Fahrverhalten an den Versicherer funken, exorbitant höhere Beiträge zahlen müssen.

Für die Versicherer ist das eine Strategie, im digitalen Zeitalter ihr Geschäft in der Kfz-Versicherung zu retten. Man muss privaten Unternehmen nicht vorwerfen, im Rahmen der Gesetze ihr Geschäftsmodell an die technischen Möglichkeiten anzupassen. Die angebrachte Skepsis sollte vielmehr dem staatlichen Interesse am Fahrverhalten seiner Bürger gelten. Wo mit den kleinen Kästen und vernetzten Autos die Infrastruktur geschaffen ist zur minutiösen Überwachung durch Behörden, wird sie irgendwann auch genutzt. So unvernünftig es klingt ob der Gefahr, die von Rasern und Betrunkenen auf der Straße ausgeht: Es gehört zur Verteidigung der Freiheit, vor einer staatlichen Kontrolle des Fahrverhaltens zu warnen. Eine Welt, in der jeder Regelverstoß vermerkt wird und jede ungewöhnliche Route verdächtig macht, ist keine Dystopie mehr.

Das ist nicht deshalb schlimm, weil dann Geschwindigkeits-Junkies selbst auf verlassenen Landstraßen beim Rasen erwischt würden. Es ist schlimm, weil es ein weiteres Symptom des Umgangs staatlicher Stellen mit technischen Innovationen ist: Während Bürgern bei Konzernen mulmig wird, die mit ihren Daten Geschäfte machen, hält sich die Wut auf Geheimdienst-Überwachung und Gesetze wie die Vorratsdatenspeicherung in Grenzen. Und so ist nicht ausgeschlossen, dass der Staat bald auch Beifahrer sein wird.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: