Bank:Commerzbank-Chef Martin Blessing tritt mit Stolz ab

Commerzbank - Martin Blessing

Wird die Bank als erfolgreicher Sanierer verlassen: Martin Blessing.

(Foto: dpa)
  • Es war das letzte Mal das Martin Blessing als Commerzbank-Chef die Zahlen der Bank vorgelegt hat. Der Gewinn stieg auf 1,06 Milliarden - eine Vervierfachung.
  • Blessing verlässt die Bank mit einer erfolgreichen Bilanz. Während sich die Deutsche Bank selbst zerlegt, gilt die Commerzbank als halbwegs saniert.

Von Andrea Rexer, Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Einige Passanten bleiben amüsiert stehen, als Martin Blessing an diesem 15. Juni 2010 hemdsärmelig an einer Kurbel dreht. Die Muskelkraft des Commerzbank-Chefs sorgt dafür, dass sich der Sichtschutz absenkt und das neue Logo des Kreditinstituts über dem Eingang des Frankfurter Fürstenhofs freilegt.

Das repräsentative neubarocke Gebäude aus dem Jahr 1902 diente der Dresdner Bank seit den Neunzigerjahren als Stammhaus für das edle Privatkundengeschäft. Doch nun gehört die Dresdner der Commerzbank, und die wäre durch die Übernahme fast bankrott gegangen. Der deutsche Steuerzahler muss für die Commerzbank rettend einspringen. Es ist die Zeit nach der globalen Finanzkrise.

Blessing will eben "den historischen Moment" der Fusion beschwören, da läuft ein Passant in Jeans und Hemd auf ihn zu und ruft verachtend: "Willst du von mir 20 Euro haben, du armer Banker, du armer Banker", wobei er das "a" hämisch in "aaarmer" dehnte und mit dem 20er-Schein wedelt. Tief schockiert ist Blessing damals - über den Spott, dass die mächtigen Banker plötzlich Hilfsgelder von den einfachen Steuerzahlern benötigen. Es ist ganz sicher einer der Tiefpunkte in Blessings Karriere.

Er läuft selbstbewusst wie nie durch Frankfurt

Nur ein paar Jahre liegt die Episode zurück, gefühlt aber eine Ewigkeit. Denn Martin Blessing - erst Prügelknabe der Steuerzahler, dann Projektionsfläche für die Wut enttäuschter Aktionäre - läuft heute so selbstbewusst wie nie durch Frankfurt. Man sieht ihn abends auf dem Neujahrsempfang der Deutschen Börse. Das Glas in der Hand scherzt er mit anderen Bankchefs. Stellt man ihm Fragen zum Bankgeschäft, spult er gelangweilt Erklärungen zu Kernkapital, Bankenabwicklung und faulen Krediten ab. Anderntags referiert er auf einer Bankenkonferenz über die europäische Finanzaufsicht, scrollt dort auf seinem Ipad herum. Im Jahr acht nach der großen Krise ist das Bankgeschäft offenbar ganz schön öde - wenn nicht gerade die Aktienkurse der Geldhäuser ins Bodenlose fallen, wie diese Woche.

Im Herbst hat er entschieden, die Führung der Commerzbank abzugeben, nach acht Jahren an der Spitze der zweitgrößten Bank des Landes. Für seinen Abgang hat sich der drahtige Bremer einen guten Zeitpunkt ausgesucht. Persönlich sowieso, denn mit 52 Jahren kann man noch mal etwas Neues anfangen. In jedem Fall aber mit Blick auf die Bank: Zwar wird auch der Aktienkurs der Commerzbank seit Tagen mitgerissen vom Abwärtssog europäischer Bankaktien.

Doch zumindest gilt die Commerzbank als halbwegs saniert, während sich die Deutsche Bank regelrecht selbst zerlegt. Nach sieben Jahren Durststrecke zahlt die Commerzbank wieder eine Dividende; bei der Deutschen gehen die Aktionäre die nächsten zwei Jahre leer aus. Mit seiner letzten Bilanz hat Blessing nun auch den höchsten Gewinn seit 2010 präsentiert, der - freilich auch einem günstigen Basiseffekt des Vorjahres geschuldet ist - das Bild einer erfolgreichen Sanierung aber untermauert.

Bei seinem Amtsantritt ist die Situation dramatisch

Als Blessing im Mai 2008 ins Amt kommt ist das alles andere als absehbar. Gerade nimmt die größte Finanzkrise seit den 1930er-Jahren Fahrt auf. An einem Septembertag verkündet er im Commerzbank-Turm mit Vorgänger und Aufsichtsratschef Klaus-Peter Müller die Übernahme des angeschlagenen Konkurrenten Dresdner Bank. 5,5 Milliarden Euro lässt er sich den Rivalen kosten.

Es ist der Vorabend der Lehman-Pleite und noch ist nicht allen klar, dass es sich um eine Notübernahme handelt, herbeigesehnt vom Eigentümer Allianz. Berlin will neben der Deutschen Bank einen zweiten nationalen Champion schmieden. Erst als der Ernst der Lage klar wird, geht es auch darum, die Schieflage des Versicherungskonzerns zu verhindern. Dafür muss der Bund nur wenig später mit 18,2 Milliarden Euro bei der Commerzbank einsteigen. Die Teilverstaatlichung, ein Albtraum für jeden überzeugten Marktwirtschaftler, lässt sich nicht verhindern. Blessings Gehalt ist daraufhin jahrelang auf 500 000 Euro gedeckelt. Verglichen mit den Deutsche-Bank-Kollegen um die Ecke ist er damit ein Billigheimer.

Trotzdem beißt sich Blessing durch, integriert die vom Selbstverständnis her noblere Dresdner in die Commerzbank, fährt das überdimensionierte Investmentbanking sowie das Immobiliengeschäft zurück und streicht Tausende Stellen. Fast schon autosuggestiv setzt er darauf, dass sich die sieche Bank am eigenen Schopf aus der Krise zieht. Vor allem die Investitionen in das wachstumsschwache Privatkundengeschäft zahlen sich aus, zumindest vorerst: Seit 2012 lockt die Commerzbank Neukunden - zum Ärger von Sparkassen und Volksbanken - nicht nur mit Begrüßungsgeld für das Girokonto, sondern auch mit TV-Spots, in denen sie vorgibt, die einzige Bank zu sein, die wirklich aus der Krise gelernt hat. Obwohl auch die Commerzbank Filialen schließt, wirbt sie damit, an ihrem Netz festzuhalten. Damit gewinnt das Institut in drei Jahren 753 000 neue Privatkunden. Das Ziel, bis Ende 2016 mehr als eine Million neue Kunden einzusammeln, ist in greifbarer Nähe.

Der Stolz ist zurück

2011 dann der Befreiungsschlag: Da zahlt Blessing einen Teil der Staatshilfen an den Bund zurück. Derweil formt er ein Vorstandsteam, das einheitlich auftritt, es sind pragmatische Manager, keine Exzentriker, deren Sprachduktus sich im Lauf der Jahre sogar angleicht. "An der Ecke" und "am Ende des Tages", gehören bald zum Commerzbank-Standard-Vokabular.

Nicht zuletzt gibt Blessing den Commerzbankern den Stolz zurück. Waren die Mitarbeiter phasenweise peinlich berührt, wenn sie ihren Arbeitgeber preisgeben mussten, so sind sie jetzt wieder wer.

Der Aktionäre der Commerzbank und damit auch die Steuerzahler aber bezahlen einen horrenden Preis für die Rettung der Bank. In seiner Amtszeit fällt die Aktie über 90 Prozent. Aus Sicht der Altaktionäre sind vor allem die großen Kapitalerhöhungen ein Ärgernis, die die Bank freilich langfristig stabiler machen. Sie beschimpfen Blessing seither als "ungekrönten König der Anteilsverwässerung".

Und auch er selbst muss sich immer wieder gegen Angriffe wehren. Aufsichtsratschef Müller bezeichnet ihn einmal indirekt als Vorstand auf Bewährung, dabei hat Müller alle Entscheidungen mitgetragen. Müller rudert später zurück. Die Äußerung jedoch soll das Verhältnis belastet haben. Die Commerzbank ist zudem längst keine Ertragsperle. Mit 45 000 Mitarbeitern wirkt sie immer noch überdimensioniert. Auch ihre Effizienzziele hat verfehlt.

Womöglich weiß er auch, dass es nur noch schlechter werden kann

Als Blessing im Herbst seinen Rückzug ankündigt, schießt der Aktienkurs um sieben Prozent in die Höhe, angeblich wegen der guter Quartalszahlen, aber einige Analysten machen keinen Hehl daraus, dass es nun Zeit sei für einen Wechsel. Im Raum bleibt die Frage, ob Blessing seinen Vertrag nur deswegen nicht verlängert, weil er weiß, dass nun alles nur schlechter werden kann: Die derzeitigen Niedrigzinsen fressen sich in die Bilanzen, auch die IT muss dringend erneuert werden. Der Kursrutsch an den Börsen in diesen Tagen zeigt, wie tief die Sorgen der Investoren sitzen, dass Europas Banken letztlich gar kein nachhaltiges Geschäftsmodell mehr haben. Das alles aber ist dann nicht mehr Blessings Problem.

"Die Bank ist noch lange nicht in gutem Fahrwasser. Er hat sie auf niedrigem Niveau stabilisiert, aber über dem Berg ist sie noch lange nicht", sagt Klaus Nieding von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz, einer der größten Kritiker, zu seinem Abschied. Und auch der Bund wird lange mit 15 Prozent Anteilseigner bleiben; denn eine andere Bank, die übernehmen könnte, ist nicht in Sicht.

Mit welchen Gefühlen er auf seine Karriere bei der Commerzbank zurückblickt, will Blessing nicht beantworten. Es sei doch alles gut gelaufen, weicht er den Fragen aus, begleitet von einem maskenhaften Lächeln. Doch dann, im kleinen Kreis, lässt er sich auf eine Analogie aus dem Skisport ein. Manchmal sei es doch so, dass man oben auf der Piste stehe, mit Schwung in einen Hang fahre und dann feststelle, dass es doch steiler und eisiger ist, als man dachte. Kurz überlege man, ob es nicht eine blöde Idee war, in den Hang zu fahren, doch eigentlich ist dafür keine Zeit, man müsse durch, und unten sei man froh und stolz, dass man es geschafft habe.

Die Analogie liegt Blessing nah, denn er fährt selbst gern Ski in Kitzbühel. Die legendäre Streif-Abfahrt dürfte ihm vor Augen gewesen sein. Ein Draufgänger ist er nicht. Aber er ist einer, der durchhalten kann. Nicht nur beim Skifahren. Aus seinem nächsten Karriereschritt macht er noch ein Geheimnis. Beeilen braucht er sich nicht - seine Frau Dorothee, Managerin bei JP Morgan in Deutschland, wird für die fünfköpfige Familie sorgen können.

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