Christliche Gewerkschaften:Billig im Namen Jesu

Es klingt nach Ausbeutung: Wer einen Monat lang ganztags arbeitet, verdient nur 869 Euro brutto. Ausgerechnet christliche Gewerkschaften schließen Tarifverträge ab, die das ermöglichen.

F. Berth und T. Öchsner

Der Vertrag steckt in einer Mappe mit der Nummer 33017, aufbewahrt im Tarifregister des Bundesarbeitsministeriums in Bonn. Es ist wahrscheinlich der Tarifvertrag mit den niedrigsten Löhnen, die je in der Zeitarbeits-Branche gezahlt wurden: 4,83 Euro pro Stunde für einen ungelernten Arbeiter in Ostdeutschland. Für den Arbeitgeber, eine Berliner Firma, war dieser Haustarifvertrag ein Wertpapier, für dessen Beschäftigte ein Dokument der Ohnmacht: Wer für diesen Lohn einen Monat lang ganztags arbeitete, verdiente 869 Euro brutto. Hartz-IV-Niveau.

ANTI-PIGEON ELECTRODES SEEN ON STATUE OF JESUS AT NOTRE-DAME

Eine Jesus-Statue in der Pariser Notre-Dame-Kathedrale.

(Foto: REUTERS)

Der Vertrag, geschlossen im März 2005, ist einer von vielen, die die "Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit" mit kleinen Zeitarbeitsfirmen vereinbarte - jene seltsame Institution mit dem Kürzel "CGZP" also, die das Bundesarbeitsgericht an diesem Mittwoch als tarifunfähig eingestuft hat. Ihre Verträge, von denen allein im Bonner Archiv mehr als 400 liegen, nähren den Verdacht, dass es die christlichen Gewerkschaften mit der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen nicht so genau nehmen.

Wolfgang Rohde, Vorstandsmitglied der IG Metall, findet für die Konkurrenz mit dem "C" im Namen jedenfalls kein gutes Wort: "Sie können nur billig und verraten die Interessen der Arbeitnehmer", sagt er. Der Christliche Gewerkschaftsbund (CGB), der Dachverband für 16 Einzelgewerkschaften, sieht dies natürlich ganz anders: "Die Christlichen Gewerkschaften in Deutschland arbeiten seit über 100 Jahren für das Gemeinwohl auf der Basis der christlichen Soziallehre", heißt es auf seiner Homepage.

Aber selbst Politiker aus der Union haben Zweifel geäußert, ob dies immer so ist. Nachdem die Tarifverträge der CGZP bekannt geworden waren, sagte der Chef der Arbeitnehmergruppe der Unions-Bundestagsfraktion, Peter Weiß: "Wenn man das Adjektiv ,christlich' im Namen führt, sollte man tunlichst vermeiden, dass christlich gleich billig ist. Das wäre unchristlich. Dann sollte man eher auf diesen Namen verzichten."

Die alten Verträge der CGZP sind keine Ausnahme. In den vergangenen Jahren tauchten in anderen Branchen immer wieder Tarifabschlüsse von christlichen Gewerkschaften auf, bei denen sich vor allem eine Frage stellt: Gilt deren Nächstenliebe besonders den Arbeitgebern? Beim Kabelhersteller Nexans galt jahrelang ein Tarifvertrag der IG Metall. Dann wollte das Unternehmen die Löhne kürzen und fand in der Christlichen Gewerkschaft Metall einen Erfüllungsgehilfen, der unterschrieb - heimlich am Betriebsrat vorbei.

Merkwürdige Modells wie "3 für 2"

Die Mitarbeiter hätten durch den neuen Haustarif teilweise bis zu 40 Prozent ihres Einkommens verloren, wenn nicht der Betriebsrat Proteste organisiert und das Unternehmen einen Rückzieher gemacht hätte. Ähnlich war das Modell "3 für 2" geplant, das die christlichen Metaller in Sachsen einführten: Drei Lehrlinge sollten sich zwei Gehälter teilen - was die Firmen mehr gefreut haben dürfte als die Lehrlinge.

Einen anderen Fall deckte die Fernsehsendung "Report Mainz" auf. Als Investor für ein Pflegeheim getarnt, traf sich ein Mitarbeiter des TV-Magazins mit einem Funktionär der christlichen Gewerkschaft DHV. Dieser versprach dem "Investor" einen Tarifvertrag, bei dem Nacht- und Sonntagszuschläge gestrichen und Weihnachts- und Urlaubsgeld weggefallen wäre.

"Kollegen kommen krank zur Arbeit"

Die DHV hat nach Angaben der IG Metall mit privaten Kliniken und dem Roten Kreuz zahlreiche Dumping-Tarifverträge abgeschlossen. Diese Rolle scheint nun der Berufsverband medsonet zu übernehmen, nachdem das Landesarbeitsgericht Hamburg der DHV die Tarifzuständigkeit im Sozial- und Gesundheitswesen absprach. Auch medsonet macht Arbeitgeberwünsche wahr, heißt es bei der Konkurrenz. Verdi hält die Mini-Organisation schlicht für eine "Billig-Gewerkschaft".

Die Verbände mit dem "C" im Namen profitieren von einer Gesetzgebung, die ihnen kaum Vorschriften macht. In Deutschland können sich im Prinzip Herr Hinz und Frau Kunz einen Gewerkschaftsnamen ausdenken und sogleich den nicht-eingetragenen Verein "Hinz- und Kunz-Gewerkschaft" gründen. Sie müssen damit nicht einmal beim Vereinsregister antreten - rechtsfähig ist die Gewerkschaft trotzdem.

Ob diese Gruppe zwei oder zweitausend Mitglieder hat, überprüft niemand; auch die Finanzen bleiben der Öffentlichkeit verborgen. "Das Tarifrecht knüpft nicht an irgendwelche Voraussetzungen an", sagt der Arbeitsrechts-Professor Peter Schüren von der Universität Münster. "Der Grundgedanke ist: Das ist nicht nötig, weil ein Arbeitgeber nur mit Starken verhandelt."

Früher war dies auch so: Im 19. Jahrhundert ließen sich Chefs nur auf Tarifgespräche ein, wenn Arbeiter darauf drängten und sich organisiert hatten. Heute ist dies anders.

Es kann für Unternehmen von großem Vorteil sein, einen Tarifvertrag zu haben. Die Leiharbeits-Branche ist da ein extremes Beispiel: Das Hartz-Gesetz Nr. 1 ist so formuliert, dass Leiharbeiter nur dann schlechter bezahlen werden dürfen als die Stammbelegschaft, wenn dazu ein Tarifvertrag abgeschlossen ist. Was Arbeitgebern im 19. Jahrhundert vielfach ein Graus war, kann im 21. Jahrhundert als Basis für Mini-Löhne dienen.

Rätselhaft bleibt, wie viele Mitglieder die christlichen Gewerkschaften haben. Gunter Smits, Generalsekretär des CGB, sagt, es seien aktuell 280.000, davon 90.000 in der Metall-Gewerkschaft CGM und 80.000 im DHV. Doch stimmen diese Zahlen? Die IG Metall hält sie für viel zu hoch. Smits kennt die Bedenken, die er wie alle anderen Vorwürfe scharf zurückweist. Die Zahlen anzuzweifeln, sei ungefähr so wie zu behaupten, Verdi-Chef Frank Bsirske "trägt keinen Schnurrbart", sagt er. Und den Vorwurf, christliche Gewerkschaften würden Dumping-Tarifverträge abschließen, hält er schlicht für "Unsinn".

Dietmar Eckert hat da Zweifel. Er ist Betriebsrat in einer Elektrofirma im niedersächsischen Seelze; im Jahr 2007 war er Mitglied der CGM. Schnell rückte er in die Landestarifkommission auf. Und stellte fest, wie viele Mitglieder die CGM in dem 240-Mann-Betrieb in Seelze hatte: ganze zwei - und auch die nur solange, bis er und sein Kollege austraten. Dennoch: Juristisch gültig sind

die Tarifverträge, die die CGM geschlossen hat, nachdem die Elektrofirmen der Region lieber mit der christlichen Gewerkschaft als mit der IG Metall reden wollten. Weihnachts- und Urlaubsgeld sind darin nicht vorgesehen; stattdessen erhalten Beschäftigte einen "Jahresbonus" sowie einen "Gesundheitsbonus" von drei Prozent des Jahresgehalts, sofern sie das ganze Jahr nicht krank werden. Sollten sie doch ausfallen, wird der Bonus gekürzt, pro Krankheitstag um ein Zwanzigstel. "Bei uns kommen Kollegen krank zur Arbeit, damit sie keinen Abschlag bekommen", sagt Eckert.

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