Chinesische Investoren in Europa:Schwärmt aus!

Pirelli hostesses use mobile devices as drivers compete during the Hungarian F1 Grand Prix at the Hungaroring circuit, near Budapest

Ach, Pirelli. Der Reifenhersteller setzt auf Werbung, die Frauen inszeniert - hier Markenbotschafterinnen beim Formel-1-Rennen in Ungarn.

(Foto: David W Cerny/Reuters)

Noch bis vor Kurzem benötigten chinesische Konzerne bis zu hundert Genehmigungsstempel, wenn sie im Ausland investieren wollten. Doch viele Deals könnten sie in Europa nun an staatlichen Wächtern vorbei abwickeln.

Von Christoph Giesen

Es ist weit mehr als nur eine Übernahme, die sich gerade in Italien anbahnt: Die staatliche China National Chemical Corporation (Chem-China) schickt sich an, den Reifenhersteller Pirelli zu schlucken. In einem ersten Schritt hat sich Chem-China 26,2 Prozent der Anteile für knapp 1,9 Milliarden Euro gesichert. Danach soll ein Gebot für den Rest des Unternehmens folgen.

Sollte Chem-China mit seinem Angebot erfolgreich sein, würde der Reifenhersteller insgesamt rund 7,1 Milliarden Euro kosten. Die Italiener erhoffen sich von dem neuen Großaktionär einen besseren Zugang zum asiatischen Markt. Durch eine Zusammenlegung des Lastwagenreifen-Geschäfts könnte das Volumen von sechs Millionen auf zwölf Millionen Reifen verdoppelt werden. "Eine Übernahme von Pirelli wäre mit Abstand der größte Zukauf eines chinesischen Investors in Europa", sagt Wang Wei, Direktor bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG.

Fast 15 Jahre ist es nun her, dass Chinas damaliger Parteichef Jiang Zemin vor seine Genossen trat und ihnen ein kämpferisches "Zou Chuqu!" (übersetzt: Schwärmt aus!) zurief. Chinas Konzerne, so stellte es sich der alte Jiang vor, sollten zu internationalen Schwergewichten werden. Sie sollten westliche Firmen übernehmen und sich am Weltmarkt bewähren. Während es in den Vereinigten Staaten, etwa mit der Übernahme des IBM-Computergeschäfts, rasch zu prestigeträchtigen Deals kam, waren die Anfänge in Europa eher zaghaft. Der ein oder andere Mittelständler und der angeschlagene Autohersteller Volvo, das war die Bilanz.

Außerhalb Europas sind die Summen schon seit Jahren höher. "Die größten Transaktionen fanden im Energie- und Bergbaugeschäft statt", sagt Berater Wang. 5,8 Milliarden Dollar zahlte Chinas staatlicher Metallhändler Minmetals beispielsweise vor einem Jahr für eine Minengesellschaft in Peru. Und der chinesische Staatsfonds, die China Investment Corporation (CIC) beteiligte sich an etlichen Energieunternehmen, wie etwa dem kanadischen Ölkonzern Penn West Energy Trust.

Was nach Partnerschaft aussieht, lief in den Anfangsjahren schief

Chinesische Übernahmen in Europa und Deutschland lagen dagegen immer ein wenig unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Meistens waren es Maschinenbauer aus der Provinz. Der bislang größte Deal in Deutschland wurde im Sommer 2012 verkündet. Der Staatskonzern Weichai Power übernahm 25 Prozent des Gabelstaplerherstellers Kion. Als Kion ein Jahr später an die Börse ging, stockte Weichai seinen Anteil um fünf Prozent auf. Teil des Geschäfts: Weichai gibt die Strategie in China und Südostasien vor. Außerdem sicherten sich die Chinesen 70 Prozent an der Hydrauliksparte der Kion-Premiummarke Linde.

Für Kion hat die chinesische Beteiligung durchaus Vorteile: Die Verschuldung wurde reduziert und erst dadurch der Börsengang überhaupt ermöglicht, ein gemeinsamer Einkauf spart zudem Millionen. Auch beim Vertrieb in China profitiert Kion, denn Weichai hat ein weitverzweigtes Händlernetz mit 400 Standorten. Vor dem Einstieg der Chinesen waren Kion-Stapler nur an 120 Standorten in der Volksrepublik erhältlich. Und das Potenzial auf dem chinesischen Markt ist enorm: In Westeuropa kommen auf eine Million Einwohner etwa 500 Stapler, in China sind es bislang erst 160 Fahrzeuge.

Was heute wie bei Kion nach einer Partnerschaft aussieht, von der beide Seiten profitieren, lief in den Anfangsjahren noch schief: 1997 kauften chinesische Investoren eine insolvente Bleistiftfirma in Mecklenburg-Vorpommern und scheiterten. Vier Jahre später erstanden Chinesen den ehemaligen Fernsehhersteller Schneider, zogen das Know-how ab und verlagerten die Produktion. Seit den Misserfolgen in der Fremde prüft die Regierung in Peking Auslandsakquisitionen streng.

In den ersten Jahren mussten noch viele lokale Behörden einem Deal zustimmen, das Wirtschaftsministerium sowieso, oft auch das Generalkonsulat vor Ort und natürlich die für Devisen zuständige Behörde, die das Geld für die Transaktion freigibt. Bis vor ein paar Jahren brauchten Investoren manchmal bis zu 100 Genehmigungsstempel. Heute sind es noch etwa 15 Stempel.

Wird es bald eine erste Übernahme in Deutschland geben?

Alle zwei Jahre veröffentlicht die Regierung in Peking eine nach Ländern aufgeschlüsselte Tabelle mit Übernahmeempfehlungen. Deutschland steht mit dem Maschinenbau, der Umwelttechnik und dem Automobilbau auf der Liste, wer ohne Einkaufszettel shoppen gehen möchte, brauchte in der Vergangenheit gute Argumente. Doch das ändert sich allmählich.

Wird es also bald schon die erste Milliarden-Übernahme in Deutschland geben? "Das Jahr ist noch jung. Es kann morgen soweit sein", sagt Jens-Peter Otto, der die China Business Group der Rechnungsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers leitet. Für seinen Optimismus gibt es zwei Gründe: Zum einen kaufen inzwischen chinesische Gesellschaften, die bereits selbst im Ausland tätig sind kräftig zu. So erwarb etwa Lenevo, die 2005 die IBM-Computersparte übernommen hatten, kürzlich das Handygeschäft von Motorola. Zum anderen entstünden in China zunehmend Konglomerate, sagt Otto, Konzerne also, die sehr breit aufgestellt sind. "Eine klare Produktstrategie ist bei geplanten Zukäufen nicht immer zu erkennen." Viele dieser zumeist privaten Gesellschaften drängen nun nach Europa. Und viele der Deals könnten auch ohne Genehmigung aus China abgewickelt werden - vorbei an den staatlichen Finanzwächtern.

Wie das funktioniert, hat der Investor Pan Sutong vorgemacht. Ende 2013 gab der in Hongkong lebende Milliardär bekannt, dass seine auf den Britischen Jungferninseln registrierte Firma Goldin Investment Limited mehr als 50 Prozent der Anteile an der ehemaligen Telefonsparte von Siemens übernommen hat. 1700 Mitarbeiter an drei Standorten in Deutschland - eine der größten Beteiligungen bislang. Bald schon will Gigaset als erstes Unternehmen mit Sitz in Deutschland Smartphones auf den Markt bringen - ohne Zustimmung aus Peking.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: