Chinesiches Unternehmertum:Vom Kuhhirten zum Bankchef

Ein ehrgeiziger Unternehmer will in China eines der ersten privaten Geldinstitute eröffnen.

Von Janis Vougioukas

(SZ vom 26.08.2003) — Auf den grünen Weiden in Nanhai stehen Kühe. Li Xinghao nimmt sie nicht mehr wahr, obwohl er sie vor 25 Jahren selber gehütet hat. Auf der Dorfstraße dreht er sich mit ausgebreiteten Armen einmal um seinen kleinen Körper: "Alles was Sie sehen gehört mir", sagt er.

Es ist viel zu sehen: Fabrikhallen, Restaurants und Geschäfte, aber Herr Li gibt nicht an, wenn er seinen Besitz vorzeigt. Er ist stolz, aus eigener Kraft den Sprung vom Hirtenjungen zum Unternehmer geschafft zu haben.

Stolz, dass er im vergangenen Jahr 1,5 Millionen Klimaanlagen produziert und verkauft hat, er, der Kuhhirte aus Nanhai, dem inzwischen das halbe Dorf gehört.

Jetzt will er tiefer in die faszinierende Welt des Kapitalismus vordringen, als je ein Chinese vor ihm: Herr Li will der erste Privatbanker Chinas werden. "Ich erwarte die Genehmigung in einigen Wochen", sagt er zuversichtlich. Li hat bei der Pekinger Bankenaufsicht den Antrag auf eine Revolution eingereicht.

Nach dem Sieg im chinesischen Bürgerkrieg verstaatlichten die Kommunisten sämtliche Finanzinstitutionen. Bis heute sind Banken in China vor allem überschuldete Staatsbetriebe, Dinosaurier. Drei Viertel des Markes teilen sich allein die vier größten Staatsbanken untereinander auf. Ihre Portfolios, schätzt die Ratingagentur Standard & Poor's, setzt sich zur Hälfte aus faulen Krediten zusammen, was weit über 600 Milliarden Dollar entsprechen würde.

Chinas neue Regierung hat die Reform des morschen Bankensystems zum Topthema gemacht und will künftig auch private Geldhäuser zulassen. Neben Lis Nanhua Bank haben sich vier weitere Häuser um eine Genehmigung bemüht, mit der nach Ansicht chinesischer Experten spätestens im kommenden Jahr zu rechnen sei.

Hinter den Antragstellern stehen private Investoren oder Aktiengesellschaften, das Gründungskapital liegt jeweils zwischen 20 und 50 Millionen Euro. Der Markt scheint lukrativ, denn in der Volksrepublik liegt die Sparquote weltweit auf einem Spitzenplatz von fast 40 Prozent, wobei die Chinesen ihr Geld mangels Alternativen vor allem zu den Staatsbanken tragen. Gleichzeitig hungert die chinesische Wirtschaft nach neuem Kapital.

"Citibank des Ostens"

Erste Erfahrungen mit privaten Banken konnte China mit der Minsheng Bank machen, die 1996 unter Direktion der Pekinger Regierung und mit staatlichem Kapital gegründet wurde, aber wie eine private Bank gemanagt wird. Die Minsheng Bank arbeitet effizient und risikobewusst, der Kreditausfall soll nach eigenen Angaben bei nur 1,74 Prozent liegen.

Besonders in ländlichen Regionen haben sich einige "Untergrund-Geldhäuser" (Dixia Qianzhuang) ausgebreitet - private Finanzfirmen, die ohne rechtliche Grundlage Bankdienstleistungen anbieten. Anfang Juli wurde der Unternehmer Sun Dawu verhaftet, dessen halb legale Firma in neun Jahren private Spareinlagen in Höhe von 180 Millionen Yuan (18 Millionen Euro) eingesammelt hatte - die Ersparnisse von mehr als 4000 Familien, wie das Büro für Öffentliche Sicherheit nachgezählt hat.

Viele Bankkunden sind verunsichert. "Die rechtliche Stellung privater Finanzinstitutionen muss schnell geklärt werden", fordert das kritische Anlegermagazin Caijing.

Experten und Investoren rechnen nach dem legalen Markteintritt privater Wettbewerber mit großen Veränderungen für die gesamte chinesische Volkswirtschaft. Bei einem Bankensymposium Mitte August in Peking träumten ambitionierte Unternehmer bereits von einer "Citibank des Ostens", die in "drei bis fünf" Jahren entstehen könne.

Vor allem die private Wirtschaft, die in einigen Küstenprovinzen bereits mehr als drei Viertel der Wirtschaftsleistung erbringt, dürfte von Privatbanken profitieren, denn Kapitalmangel und schlechter Zugang zu den Krediten staatlicher Banken sind der größte Hemmschuh ihrer Entwicklung. Chinas Banken vergeben Kredite noch immer vor allem an Staatsbetriebe, wobei politische Weisung nicht selten wichtiger ist als wirtschaftliche Kalkulation.

"Es ist keine Illusion, dass private Banken zu mächtigen Finanzinstitutionen heranwachsen können", schreibt China Daily. "Aber es wird ein langer Weg und ein harter Wettbewerb werden."

Kurzfristig werde der Einfluss privater Banken jedoch gering bleiben, schätzt der Schanghaier Ökonom Wang Jianmao, denn die alten Dinosaurier der chinesischen Finanzwirtschaft seien zu mächtig. Noch sind Chinas Privatbanken im Säuglingsalter, und Bankgründer Li weiß, dass vor ihm ein steiniger und weiter Weg liegt.

"Wir wissen noch nicht genau, ob wir ins Filialgeschäft einsteigen oder uns auf Online-Banking konzentrieren", sagt Li und versucht dabei, geheimnisvoll zu klingen. "Es soll eine Überraschung werden."

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