Chinas Wirtschaft auf der Überholspur:Schnell sein ist alles

Elektroroller und Solarkollektoren aus Peking mögen primitiv wirken - doch das Tempo chinesischer Ingenieure ist hoch. Europa muss kooperieren, um nicht überholt zu werden.

Hans-Jörg Bullinger

In der globalisierten Welt kann man sich nicht mehr abschotten vom ewigen Sturm der "schöpferischen Zerstörung". Und in der Krise erneuert sich die Wirtschaft radikaler als noch vor kurzem gedacht. Neu ist, dass nun die Aufholländer in Asien ein erhöhtes Tempo vorgeben und wir uns in Europa verzweifelt fragen: Gehen wir mit oder hoffen wir, dass sie vor dem Ziel einbrechen?

Wirtschaft, China; AFP

Baurbeiter in Shanghai: Chinesische Produkte mögen für Europäer primitiv wirken - aber das Tempo der chinesischen Ingenieure ist beeindruckend.

(Foto: Foto: AFP)

Jedenfalls ist das Innovationstempo im Fernen Osten um so viel höher als in Europa, dass es nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis sie uns ein- und überholt haben. Erstaunlich, wie rasch die Modernisierung fortgeschritten ist: In der Pekinger Innenstadt bestimmen Elektroroller den Verkehr, die Megacity Shanghai bereitet sich groß auf die Expo 2010 vor. Während wir in Europa über Elektromobilität diskutieren und Studien anfertigen, legen die Asiaten los.

Natürlich erscheinen uns ihre Solarkollektoren primitiv, doch sie sind so einfach und robust, wie es der Markt verlangt. Natürlich entsprechen die bunten Electronic Vehicles nicht unseren Anforderungen an Sicherheit und Komfort, doch sie werden in ersten Kleinserien gebaut.

Lokomotive der Weltwirtschaft

Fast jede Hochschule hat ein selbstentwickeltes Elektrofahrzeug. Und die nächste Generation, die bereits durch die Labore kurvt, wird vermutlich so gut sein, dass wir uns ernsthaft Sorgen machen müssen.

China knüpft schneller als erwartet an alte Boomzeiten an und wird zur Lokomotive der Weltwirtschaft. Die chinesische Regierung erwartet für 2009 wie für 2010 jeweils ein Wachstum von 8,5 Prozent.

Viele deutsche Unternehmen haben auf die Verlagerung des Schwerpunkts der Weltwirtschaft nach Asien reagiert und dort Betriebe aufgebaut. Nicht nur Großkonzerne wie Siemens, Bosch, BMW oder VW haben sich auf den asiatischen Märkten etabliert, auch viele mittelständische Firmen sind mit eigener Fertigung präsent.

Zehnmal besser ist kaum möglich

Hauptgrund sind nicht allein die erheblich geringeren Lohnkosten, sondern vor allem Marktnähe und Kundenorientierung. Weil die Kundenwünsche sich deutlich von den europäischen unterscheiden, haben fast alle Unternehmen dort nach der Produktion auch Entwicklungsabteilungen aufgebaut. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Forschung folgt.

Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Auch wenn die chinesischen Ingenieure noch nicht europäisches Niveau erreichen - der Lohnunterschied gibt ihnen den entscheidenden Vorteil. Mögen unsere Ingenieure auch doppelt oder dreimal so gut sein, zehnmal besser zu sein, ist aber wohl kaum möglich.

Schwachstellen des Systems

Und der Trend spricht gegen uns. Der "Innovationsindikator Deutschland 2009" von Deutsche-Telekom-Stiftung und Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) weist Deutschland im Ranking von 17 Industriestaaten nur noch auf Rang 9 aus, nach Platz 8 im Vorjahr. (Am wenigsten gerüstet für den internationalen Innovationswettbewerb sind Irland, Spanien und Italien.)

In kaum einem anderen Land kommen Unternehmer und Gründer so schwer an Kapital für innovative Projekte wie in Deutschland. Diese Situation könnte sich im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise weiter verschärfen und damit - selbst bei einem Aufschwung - die Innovationsfähigkeit unseres Landes entscheidend hemmen. Defizite bei Finanzierung und Bildung gehören zu den großen Schwachstellen des deutschen Innovationssystems.

Auf der nächsten Seite: Der Innovationsdruck nimmt zu, doch die Geschwindigkeit muss beherrschbar bleiben. Internationale Kooperationen können dabei helfen.

Nur echte Innovationen zählen

Wenn wir den Rückstand aufholen wollen, müssen wir unser ganzes Innovationsmanagement auf den Prüfstand stellen. Tempo ist jetzt das Wichtigste. Konnten Unternehmen früher lange Zeit mit einem neuen Produkt Gewinne produzieren, müssen sie heute ständig neue Generationen auf den Markt werfen, auch wenn das aktuelle Produkt noch gar nicht veraltet ist. Die Phasen des Festhaltens am Bewährten sind - wenn überhaupt - sehr kurz.

Hans-Jörg Bullinger; AP

Hans-Jörg Bullinger, 65, ist Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.

(Foto: Foto: AP)

Wer jetzt nicht die Kraft zur Erneuerung aufbringt, wird Schwierigkeiten haben zu bestehen. Sieger ist, wer Ideen am schnellsten in Nutzen für Kunden umsetzt. Für echte Innovationen ist der Kunde auch bereit, mehr zu bezahlen.

Auch das Risiko steigt

Mitten in der Krise brachte zum Beispiel Henkel insgesamt 44 neue Produkte auf den Markt. Und dabei setzt der Konzern hohe Ansprüche an den Innovationsgrad: Das Attribut "neu" verdient ein Produkt nur dann, wenn es seinem Vorgänger deutlich überlegen ist. Im nächsten Konjunkturzyklus werden diejenigen Unternehmen besonders erfolgreich sein, die die besseren Produkte, die intelligenteren Prozesse und die zufriedeneren Kunden haben.

Der Innovationsdruck nimmt zu, und gleichzeitig das Risiko. Doch Geschwindigkeit muss beherrschbar bleiben. Die Herausforderung für einen Unternehmer besteht also einerseits darin, das Risiko zu minimieren, indem möglichst viel Wissen über Kunden, Märkte, Konkurrenten und Technologien gesammelt wird, andererseits darin, den Entwicklungsprozess erheblich zu verkürzen.

Den Service gleich dazu

Internationale Kooperationen werden in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Deutsche Unternehmen werden nicht mehr darum herumkommen, eine stärkere Kooperation mit japanischen, koreanischen oder chinesischen Hightech-Unternehmen einzugehen. Dabei geht es nicht nur darum, Absatzmärkte zu erschließen oder Produktionsstätten aufzubauen, sondern auch darum, kostengünstige Forschungskapazitäten zu nutzen.

Deutsche Unternehmen, die weltweit Produktionsnetzwerke und hocheffiziente Lieferketten aufbauen, stabilisieren damit auch den Standort Deutschland. Der sollte sich stärker konzentrieren auf Güter mit hoher Qualität sowie auf Maßanfertigungen; den Service dazu sollten wir gleich mitbieten.

Bündeln und vernetzen

Wir müssen unser - immer noch großartiges - Potential in Europa besser nutzen, die Kräfte bündeln und die Kompetenzen vernetzen. Der Weg aus der Krise führt über eine systematische Fokussierung auf die Geschäftsfelder, die Wachstumspotential haben: zum Beispiel Erneuerbare Energien, Technologien zum Speichern von Energie und zur Erhöhung ihrer Effizienz.

Ein Trost zum Schluss der asiatischen Lehren: Wir in den westlichen Industrienationen haben etwas, das uns auszeichnet - Kreativität. Ungewohnte Zusammenhänge herstellen, neue Produktideen, Verfahren und Geschäftsmodelle entwickeln; darin sind wir immer noch Weltspitze. Wir müssen diese Power aber auch auf die Märkte bringen - schneller und konsequenter als mögliche Nachahmer. Dann muss Europa nicht hinterherrennen.

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