Kursstürze:Für Chinas Konzerne wird es noch gefährlich

Lesezeit: 3 min

  • Chinas Unternehmen kommen gerade weitgehend sorglos durch die Krise.
  • Das könnte sich ändern: Die Euphorie der Kleinanleger brachte viel Geld in die Kassen, wenn das künftig ausbleibt, fehlt Kapital.
  • Ohne staatliche Hilfe droht dann wirtschaftlicher Stillstand.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Das Drama an der Börse wird für Millionen chinesischer Kleinanleger zur Tragödie. Die jüngsten Kursstürze haben ihre Vorsorge für Alter, Krankenversicherung und Notgroschen drastisch reduziert. Die Wut der Menschen auf den Staat ist deshalb so groß, weil sie nun die Rechnung für dessen Glauben an seine Allmacht über die Finanzmärkte zahlen müssen. Ein Irrtum, wie sich nun herausstellte. Dies kostet die allein regierende Kommunistische Partei nicht nur viel Geld, sondern auch Vertrauen bei den Bürgern.

Chinas Staatsunternehmen, die von der Gutgläubigkeit der Kleinanleger profitiert hatten, steuern dagegen unbekümmert und weitgehend sorglos durch die Krise. Die Bilanzen der großen Firmen blieben in dieser Woche von den Tumulten an den Handelsplätzen weitgehend unberührt, weil sie selbst nur wenige Eigenanteile halten. "Die Staatsunternehmen machen im Grunde genommen so weiter, wie bisher. Die Verluste tragen die Aktionäre. Und das sind in China außerordentlich viele Kleinanleger", sagt ein deutscher Banker aus Shanghai.

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Von Marcel Grzanna

Die Finanzbosse müssen gemeinsam durch die Krise

Im Vergleich zu Europa und den USA ist der Anteil institutioneller Investoren an den Börsen der Volksrepublik relativ gering. Große Wertverluste reißen deshalb vornehmlich Löcher in Privatschatullen. Erst am Sonntag hatte die chinesische Regierung überhaupt Börsengeschäfte von Rentenfonds genehmigt, die jetzt 30 Prozent ihres Kapitals in Wertpapiere stecken dürfen. Verluste erlitten staatliche Unternehmen in den vergangenen zwei Monaten vornehmlich nur dann, wenn sie selbst in Anteilsscheine anderer staatlicher Firmen investiert hatten.

Da sich auch die Manager chinesischer Betriebe selbst die Nächsten sind, ordnete die Regierung vorsichtshalber ein Verkaufsverbot dieser Unternehmensanteile bis Ende des Jahres an. Wenn Peking schon nicht verhindern kann, dass private Investoren in Panik verfallen, dann schreibt die Regierung zumindest den Firmenbossen vor, gemeinsam durch die Krise zu gehen. Alle Aktionäre, die mehr als fünf Prozent Anteile halten, dürfen die Papiere nicht verkaufen, um die Talfahrt der Kurse nicht noch weiter zu beschleunigen.

Dass die Börsen in den USA und Europa so heftig auf die Kursverluste in China reagieren, verwundert viele. Shanghai und Shenzhen bilden ein vergleichsweise geringes Volumen der weltweiten Marktkapitalisierung. Und im Grunde waren sich alle darin einig, dass die Kurse ohnehin viel zu hoch waren und eine Korrektur nach unten eine Frage der Zeit. Dennoch gab es Schockwellen rund um den Erdball.

Staatliche Firmen strahlen ihre übliche Gelassenheit aus

Eine sichere Wette gibt es derzeit jedenfalls nicht in der Volksrepublik. Selbst die Lieblinge der Börse mussten schwere Verluste einstecken. Der SSE50-Index, der die 50 größten chinesischen Unternehmen nach Marktkapitalisierung zusammenfasst, verlor seit Mitte Juni mehr als 40 Prozent an Wert. Doch selbst jene Firmen, die exzessiv an den Börsen spekulieren, haben immer noch einen Trumpf im Ärmel: die Regierung. Peking hat noch nie eines seiner großen Unternehmen im Stich gelassen, wenn es darum ging, Finanzlöcher zu stopfen. Ein Börsencrash ist deshalb immer ein Problem der anderen, nie eines der staatlichen Firmen, so scheint es.

Wohl deshalb strahlen staatliche Firmen die übliche Gelassenheit aus. Beispiel Chinaoil. Die Handelssparte des nationalen Ölbeschaffers Petrochina griff Anfang August großzügig auf dem Weltmarkt zu. Binnen einer halben Stunde kaufte Chinaoil fünf Millionen Fässer Rohöl, also zu einem Zeitpunkt, als sich die Papiere von Petrochina vor dem nächsten Absturz kurz stabilisiert hatten. Von Zurückhaltung also keine Spur. Chinas Banken kommt in schlechten Zeiten sowieso stets die Zentralbank zu Hilfe, die am Dienstag sowohl Leitzinsen als auch die Mindestreserve für die kommerziellen Geldinstitute senkte. Das verschafft den Großbanken Kapital, das ihnen neue Kreditgeschäfte und Profite garantiert.

Konzerne müssen Projekte verschieben und Etats kürzen

Völlig ungeschoren kommen die staatlichen Großkonzerne dennoch nicht davon. Gerade ihnen war auch der zurückliegende Boom am Aktienmarkt zugute gekommen. Die von staatlicher Seite gestützten Kurse boten ihnen Gelegenheit, Firmenanteile zu überhöhten Preisen auf den Markt zu werfen. Die Euphorie der Kleinanleger brachte viel Geld in die Kassen, das die Firmen normalerweise bei den Banken als Kredite hätte aufnehmen müssen. "Diese Quelle der Kapitalbeschaffung versiegt jetzt langsam. Da muss man schauen, wo das Geld demnächst herkommt", sagt der deutsche Banker. Das gilt aber nicht nur für die Top 50 der chinesischen Industrie, sondern für alle Unternehmen. Insbesondere private Firmen, die dringend auf Börsengänge angewiesen sind, weil staatliche Banken ihnen ungern Geld leihen, treffen künftig am Parkett auf Misstrauen und Angst.

Dies ist nicht nur für die Firmen selbst eine Katastrophe. Sie müssen Projekte verschieben, Expansionspläne einstampfen oder Forschungsetats kürzen. Und damit wird es vor allem ein Problem für die Regierung, die ihre Wirtschaft zu mehr Innovationen drängt. Private Firmen gelten als Triebkraft der chinesischen Innovationskultur. Wenn sie künftig Mühe haben, sich an der Börse Kapital zu beschaffen, dann muss sich Peking etwas einfallen lassen. Ansonsten droht wirtschaftlicher Stillstand. Die Qualität chinesischer Technologien reicht noch lange nicht aus, damit China mit seinem Know-how auch langfristig genügend Geld im Ausland verdienen kann. Insofern können die Nachbeben der Kurskorrektur wohl noch schlimmere Schäden anrichten, als den Verlust von Altersvorsorgen und Notgroschen.

© SZ vom 27.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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