China:Peking macht das Spiel

SZ Wirtschaftsgipfel

Illustration: Stefan Dimitrov

Die Volksrepublik schottet sich ab wie kaum ein anderes Land. China definiert gerade die Regeln neu.

Von Christoph Giesen

Vor ein paar Jahren noch, da waren Übernahmen chinesischer Unternehmen in Deutschland ein Grund zur Freude: "Hurra, die Chinesen kommen!", jubelten Geschäftsführer und Betriebsräte in trauter Eintracht. Meist ging es um angeschlagene Mittelständler. Gute Technik, geringe Umsätze, drückende Schulden. Die Investoren aus der Volksrepublik ließen das deutsche Management im Amt. Vielleicht ein, zwei Chinesen wurden abgestellt, aber sie führten an der sehr langen Leine. Stattdessen konzentrierten sich die neuen Eigentümer darauf, die Marktzugänge in China zu verbessern. Kein Arbeitsplatzabbau, kein Strategieschwenk, keine Produktionsverlagerung und endlich auch keine Geldsorgen mehr.

"Wir begrüßen den Wechsel zu Chem-China als neuem Eigentümer", ließ etwa der Maschinenbauer Krauss-Maffei im Januar 2016 verbreiten. Eine Übernahme-Odyssee lag hinter dem Traditionsunternehmen: erst Mannesmann, dann Siemens, zuletzt drei Finanzinvestoren. Und im Februar 2016 befand die Gewerkschaft IG BCE, der Einstieg eines chinesischen Investors bei der ehemaligen Eon-Tochter EEW, sei "eine gute Sache für die Mitarbeiter und für die Umwelt."

Das Volumen der Zukäufe hat gewaltig zugenommen - vor allem in Deutschland

Keine zwei Jahre später ist es mit der Euphorie vorbei. Aus dem "Hurra" ist ein "Oje" geworden. Hatten sich die Chinesen zunächst noch mit Mittelständlern aus der Provinz begnügt, ist ihr Appetit auf mehr inzwischen spürbar gestiegen. Ihre Investitionen in der Europäischen Union sind im vergangenen Jahr um 77 Prozent auf mehr als 35 Milliarden Euro gestiegen. Vor allem in Deutschland haben die Zukäufe massiv zugenommen. Eine Steigerung von 2000 Prozent. Der bislang größte Deal war die Übernahme der Augsburger Roboterfirma Kuka durch einen chinesischen Küchengerätehersteller. Seitdem vergeht kaum ein Monat ohne neue Übernahmefantasien. Eine Chip-Bude aus Xiamen wollte Osram kaufen. Die Übernahme des Anlagenbauers Aixtron scheiterte erst am Veto des damaligen amerikanischen Präsidenten Barack Obama.

Auf europäischer Ebene wird inzwischen geprüft, wie man sich vor den Begehrlichkeiten aus Fernost am besten schützen kann. Denn während sich chinesische Unternehmen munter in Europa einkaufen, müssen ausländische Firmen in China in vielen Bereichen noch immer mit Partnern zusammenarbeiten. Übernahmen sind nahezu ausgeschlossen. Kaum ein Land schottet sich wirtschaftlich so ab wie die Volksrepublik.

Ökonomisch steht dieses Land vor dem Umbruch. Das alte Exportmodell, die Werkbank der Welt, hat ausgedient. Trotzdem wächst die Wirtschaft noch immer staatlich verordnet mit 6,5 Prozent im Jahr. Dazu wird der Konsum angekurbelt, der Servicesektor ausgebaut, doch das reicht nicht. Seit beinahe zehn Jahren fördert die Zentralregierung Infrastrukturprojekt um Infrastrukturprojekt. Neue Bahnlinien, neue Flughäfen, neue Autobahnen. Vor allem die Staatskonzerne haben sich deshalb in vergangenen Jahren gewaltig verschuldet. 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stehen in ihren Büchern. Alleine die chinesische Staatsbahn schuldet ihren Gläubigern anderthalb Mal so viel wie ganz Griechenland.

Mit dem billigen Geld haben die Staatskonzerne gewaltige Überkapazitäten geschaffen. Stahl, Aluminium, Papier, Zement wird im Überfluss produziert. Wohin damit bloß? Die meisten Ökonomen raten zu tief greifenden Reformen der Staatskonzerne und der Staatsbanken. Es wäre eine Rosskur. Staats- und Parteichefs Xi Jinping hat sich anders entschieden. Künftig sollen überall auf der Welt Infrastrukturprojekte gefördert werden. Hunderte Milliarden Dollar will Chinas Führung dafür in die Hand nehmen. Die neue Seidenstraße nennt Xi das.

Wer die Häfen kontrolliert, kann auch Handelsrouten beeinflussen

Im Mittelmeerraum haben sich staatliche chinesische Reedereien an etlichen Häfen beteiligt: Piräus, Genua, Rotterdam, dazu Standorte in Nordafrika, der Türkei und in Israel. Betriebswirtschaftlich betrachtet, lohnt sich das nicht - noch nicht. Was aber wenn chinesische Staatskonzerne sich so stark einkaufen, dass sie über Jahrhunderte gewachsene Handelsrouten verlegen können? Wer die Häfen kontrolliert, kann auch die Hafengebühren festelegen. Ein Rabatt für chinesische Konzerne - nicht undenkbar. Die ersten Anzeichen sind bereits in Piräus sichtbar. Die IT-Industrie, die vor allem in Südchina fertigt, verschifft bereits zu einem Großteil ihre Produkte nach Griechenland. Von dort geht es über Land nach Mitteleuropa. Die Bahnstrecke Belgrad-Budapest soll mit chinesischer Hilfe ausgebaut werden.

Zu Hause in China steht derweil der Komplettumbau der Industrie bevor: "Made in China 2025", heißt das Programm.

Es war im März 2015 als dieser Begriff zum ersten Mal auftauchte. Eingeschmuggelt in den stets langweiligen Regierungsbericht, den Chinas Premierminister Li Keqiang zum Auftakt des alljährlichen Volkskongresses vorträgt. Knapp 3000 Delegierten sitzen dann in der Großen Halle des Volkes am Platz des Himmlischen Friedens. Sie bekommen die Rede vorher ausgeteilt. Ein sachtes Rascheln erfüllt die Halle jedes Mal, wenn die Abgeordneten umblättern. Erhebt der Premier die Stimme, wissen alle, jetzt muss geklatscht werden. Für einige Sekunden erklingt dann erstaunlich leiser Applaus.

Nach anderthalb Stunden ist der Vortrag gewöhnlich beendet und die Peking-Deuter machen sich ans Werk. Wie einst die Kremlologen in der Sowjetunion zählen sie Wörter. Wie oft wurde die "Partei" erwähnt? Kamen Begriffe wie "Innovation", "Umweltverschmutzung" oder "Sicherheit" häufiger oder seltener vor als in den vergangenen Berichten? 2015 sahen die Volkskongress-Statistiker zum ersten Mal "Made in China 2025". Die Dimensionen verstand damals noch niemand.

Was als Schlagwort in der Rede des Premiers begann, ist zu einer gewaltigen Herausforderung für europäische Unternehmen geworden. Es ist die ehrgeizigste industriepolitische Agenda, die sich je ein Staat verordnet hat. Zehn Branchen haben sich die Wirtschaftsplaner in Peking herausgesucht: Elektromobilität und Hochgeschwindigkeitszüge, den Flugzeugbau, die digitalisierte Produktion oder die Pharmaindustrie - überall soll die Volksrepublik bald führend sein. Mindestens acht von zehn Elektroautos, die 2025 in China verkauft werden, sollen dann aus heimischer Produktion stammen, so die staatlichen Vorgaben.

In der Medizintechnik sollen bis 2020 chinesische Hersteller 600 Milliarden Yuan (knapp 80 Milliarden Euro) Umsatz erwirtschaften, fünf Jahre später sollen es dann 1,2 Billionen Yuan sein. Um diese Zahlen zu erreichen, schreibt die Regierung den staatlichen Krankenhäusern vor, welche Geräte sie kaufen sollen: In einem 2016 von der Nationalen Kommission für Gesundheit und Familienplanung in Auftrag gegebenen Katalog werden 153 medizinische Geräte empfohlen. Kein einziges davon stammt von einem nicht-chinesischen Hersteller. Wo die Expertise fehlt, wird zugekauft.

Inzwischen bremst sogar die Regierung. Nicht alle beeindruckt das

Der Staat hilft mit umfangreicher Forschungsförderung, Entwicklungsbanken und extra eingerichtete Fonds versorgen die ausgewählten Branchen mit günstigen Krediten, das hilft vor allem beim Kauf von ausländischen Konkurrenten. 2015 waren es bereits insgesamt 2,2 Billionen Yuan (etwa 285 Milliarden Euro), verteilt auf 800 Fonds. Bis Ende 2016 sind weitere 3,1 Billionen Yuan dazugekommen. Die Ressourcen sind gewaltig und dennoch bremst die chinesische Führung inzwischen selbst ein wenig.

Ende 2016 hat die Regierung in Peking mehrere Vorgaben erlassen, um die Übernahmen besser zu kontrollieren. Die Kapitalflucht soll damit eingedämmt werden. Zukäufe dürfen inzwischen nicht mehr als zehn Milliarden Dollar kosten. Möchte sich ein Unternehmen aus China in einer fremden Branche einkaufen, zum Beispiel ein Textilkonzern bei einem Automobilzulieferer, darf das Gesamtvolumen des Deals sogar nur eine Milliarde Dollar betragen. Ansonsten lehnt Peking rigoros ab und verweigert den Transfer des Geldes. Nicht alle Unternehmen hält das von Zukäufen ab.

Zuletzt machte vor allem der HNA-Konzern auf sich aufmerksam. Mehr als 40 Milliarden Dollar hat das Unternehmen in den vergangenen Monaten im Ausland investiert: Hotels, Flughäfen, IT-Firmen. Seit dem Frühjahr ist HNA der größte Investor der Deutschen Bank. Ein gewaltiger Kaufrausch - und alles auf Pump.

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