China:Mit starker Hand

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Nicht mehr auf Know-how aus dem Westen angewiesen: Lkw-Produktion in Hefei. (Foto: Jianan Yu/Reuters)

Vor fünf Jahren trat Xi Jinping in China als Staats- und Parteichef an. Er versprach, die Macht der Staatskonzerne zu begrenzen und Investoren weniger zu kontrollieren. Doch nun passiert genau das Gegenteil.

Von Christoph Giesen

Gleich hinter dem alten Shanghaier Bahnhof, im 18. Stock eines Büroturms, sitzen sie dicht an dicht beisammen, die Vermesser des chinesischen Wohlstandes. 150 Rechercheure gebeugt über ihre Computer, sie flöhen Handelsregister, archivieren Zeitungsartikel und lesen Geschäftsberichte. Alles für diese eine Liste.

Angefangen hat es vor knapp 20 Jahren in einer Bibliothek. Zusammen mit zwei Studenten trug der britische Wirtschaftsprüfer Rupert Hoogewerf damals Chinas erste Reichenliste zusammen. Auf 50 Namen kam er. Seitdem gibt Hoogewerf, der in China unter dem Namen Hu Run bekannt ist, jedes Jahr eine neue Liste heraus, den Hurun-Report. Es ist ein Gradmesser, wie es um die Wirtschaft der Volksrepublik bestellt ist.

647 Dollar-Milliardäre leben laut neuestem Report in China - so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Der reichste Chinese ist nun ein Immobilientycoon. Xu Jiayin heißt er, innerhalb eines Jahres hat er seinen Wohlstand um sagenhafte 30 Milliarden Dollar gesteigert. Gesamtvermögen: 43 Milliarden Dollar. "Reich werden ist glorreich", pflegte schon Chinas Reformpatriarch Deng Xiaoping zu sagen. Ein Gebot, das bis vor Kurzem galt. Doch wie lange noch?

Der Kollaps der Börsen im Jahr 2015 war für Peking ein Albtraum

Mitte kommender Woche beginnt in Peking der 19. Parteitag, das wichtigste politische Ereignis der vergangenen fünf Jahre in China. Es ist die Krönungsmesse für Staats- und Parteichef Xi Jinping, dem es bereits in seiner ersten Amtszeit gelungen ist, eine Machtfülle zu erlangen, wie kaum einem Parteichef zuvor. Seiner flächendeckenden Antikorruptionskampagne sind etliche Polit-Rivalen zum Opfer gefallen. Nun schickt Xi sich an, sich auch die Wirtschaft zum Untertan zu machen.

2012 kam Xi an die Macht. Sein Vorgänger Hu Jintao hatte Reformen vor sich hergeschoben. Manch einer in Peking bezeichnete Parteichef Hu in seinen letzten Tagen gar als chinesischen Breschnew. Der Echte war von 1964 bis zu seinem Tod 1982 Generalsekretär der KPdSU in Moskau. Er hinterließ ein Land, das wirtschaftlich nicht mehr in den Griff zu bekommen war.

Gleich im ersten Jahr verordnete Xi gemeinsam mit seinem Premierminister Li Keqiang der Volksrepublik weitreichende Reformen. Dem dritten Plenum des Zentralkomitees, das 2013 die Pläne verabschiedete, sei ein historischer Wurf gelungen, jubelte die Propaganda damals. Auch im Ausland war man zuversichtlich. Die Ankündigungen klangen eindrucksvoll: Weniger staatliche Eingriffe versprachen Xi und Li. Die Macht der Staatskonzerne sollte schwinden, das Bankensystem umgebaut und die Einschränkungen für ausländische Unternehmen sollten zurückgenommen werden. Das Gegenteil ist geschehen. Mehr Staat und mehr Partei.

"Der Wendepunkt war das Jahr 2015", sagt Sebastian Heilmann, Direktor des Mercator Institute of China Studies (Merics) in Berlin. Vor zwei Jahren kollabierten die Börsen in Shanghai und Shenzhen. Tausende Aktien mussten vom Handel ausgesetzt werden, von den Behörden angeordnete Stützkäufe fruchteten nicht. Millionen Chinesen verloren ihr Geld. Dass sie überhaupt zu Anlegern wurden, dafür trägt die Staatsführung die Verantwortung. Es war die Propaganda der Partei, die für die Börse trommelte. Wer Aktien kaufe, lebe den "chinesischen Traum", hieß es. Als etliche Analysten bereits vor einem Platzen der Blase warnten, verkündete die Volkszeitung, das Sprachrohr der Partei, dass die richtig ertragreiche Zeit überhaupt erst beginne. Eine teuere Vorhersage. "Das Börsenchaos war ein Albtraum für die Führung. Ein Kontrollverlust, der sich nicht mehr wiederholen soll", sagt Heilmann. Seitdem zieht Peking die Zügel an. Ökonomischer Nationalismus, das ist das neue Ziel.

Auf internationaler Bühne jedoch gibt Xi lieber den Freihändler. Beim Jahrestreffen des Weltkapitals im Januar in Davos verteidigte er die Globalisierung, mahnte den Abbau von Zöllen an und sprach sich gegen Protektionismus aus. "Freetrade Xi" nannten sie ihn danach euphorisch in den Schweizer Bergen. Der Chef einer Kommunistischen Partei hielt jene Rede, die man sich vom neuen amerikanischen Präsidenten gewünscht hätte.

Der schwor derweil seine Anhänger auf "America first" ein.

"China first" ist deutlich durchdachter. Unter Führung von Ministerpräsident Li wurde die "Made in China 2025"- Initiative gestartet. Zehn Branchen haben sich die Wirtschaftsplaner in Peking ausgeguckt, darunter Elektromobilität, Medizintechnik, die Chip-Industrie. Überall sollen chinesische Firmen bald führend sein. Hunderte Milliarden Dollar stehen bereit, wenn nötig wird zugekauft. "Das ist das raffinierteste, was je an Industriepolitik gebaut worden ist", meint Heilmann.

Vor knapp drei Wochen verbreitete Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua eine gemeinsame Stellungnahme der Parteispitze und der Regierung, ein Patriotismus-Dekret. Die oberste Pflicht von Unternehmern, heißt es in dem Schreiben, sei die Liebe zum Vaterland. Nur wer einen stärkeren Einfluss der Partei akzeptiere, für den werde künftig ein gutes Marktumfeld geschaffen. Bei etlichen Privatunternehmen haben sich deshalb in den vergangenen Monaten Parteikomitees gegründet. Beim Suchmaschinenkonzern Baidu genauso wie bei jungen Start-ups. Überall reden Funktionäre mit. In den neuen Statuten der chinesischen Bahn ist inzwischen dieser Satz verankert: "Wenn der Vorstand über materielle Fragen entscheidet, dann muss er zunächst die Stellungnahmen des Parteikomitees der Firma anhören." Ratschläge, die man wohl besser nicht ignorieren sollte. Ähnliche Formulierungen finden sich bei mehr als 30 Konzernen, allesamt sind sie in Hongkong gelistet. Börsenwert: mehr als eine Billion Dollar.

Die Eigentümerstrukturen sind der Führung relativ egal, es geht um Kontrolle

Auch viele ausländische Firmen wurden zuletzt gebeten, Parteizellen einzurichten. Betroffen sind dabei vor allem Gemeinschaftsunternehmen mit einheimischen Firmen - eine chinesische Spezialität. In vielen Fällen können Ausländer nur dann in der Volksrepublik produzieren und verkaufen, wenn sie sich mit einem chinesischen Partner zusammentun. Das gilt für die Versicherungsbranche, genauso wie für die Autobauer oder die Chemieindustrie. Mal sollen Räumlichkeiten für die Parteiarbeit gestellt werden. Mal wird gleich dazu aufgerufen, bevorzugt Parteimitglieder einzustellen und zu fördern. Je geringer der Anteil der ausländischen Unternehmen am Joint Venture, desto forscher die Forderungen.

In einigen Provinzen haben die lokalen Verwaltungen bereits damit begonnen, neue Verträge für die Gemeinschaftsunternehmen aufzusetzen. Die ersten Entwürfe zirkulieren. Nur hinter vorgehaltener Hand äußern sich Manager dazu: "Ich weiß nicht, wie wir es unseren Aktionären erklären sollen, wenn die Kommunistische Partei aktiv Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen nehmen sollte."

Die großen Unternehmen des Landes gehen vorsorglich Querbeteiligungen ein. Die Internetkonzerne Tencent, Alibaba und Didi verkündeten vor ein paar Wochen den Einstieg beim staatlichen Mobilfunker China Unicom. Warum ist nicht ersichtlich. Im Gegenzug experimentiert die Regierung mit sogenannten "Special Management Shares". Der Staat steigt mit einem oder zwei Prozent bei einem Privatunternehmen ein, und erhält dafür einen Sitz im Aufsichtsrat. "Die formale Eigentümerstruktur ist für die Führung in Peking weniger wichtig, als die operative Kontrolle auszuüben. Dazu werden die Parteizellen gegründet und Aufsichtsräte entsandt", sagt Heilmann. Einfluss um jeden Preis, darum geht es.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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