China:106,99 Euro für ein Brautkleid

Inside Sam's Tailor Store And Workshop Ahead Of CPI Figures

Schnäppchenjäger schwärmen vom preiswerten Schneider in Hongkong - und vergessen gern die Porto- und Zollgebühren.

(Foto: Billy H.C. Kwok/Bloomberg)
  • Immer mehr Menschen, vor allem junge, sind auf Online-Schnäppchenjagd in Asien unterwegs.
  • Die Ware aus Fernost wird so günstig angeboten, dass selbst ältere Verbraucher der Tiefpreis-Versuchung erliegen und das Risiko eingehen, direkt bei Unbekannten zu bestellen, die Tausende von Kilometern entfernt ihr Geschäft betreiben.

Von Berrit Gräber

Endlich ist es da, das maßgeschneiderte Hochzeitskleid aus Henan, China. Zwölf Wochen hat die junge Braut auf ihren Traum aus Spitze gewartet. In drei Wochen wird sie heiraten. Der Tiefpreis von 106,99 Euro inklusive Versand war ihr das Risiko wert. Wäre das Bestell-Abenteuer in Fernost schiefgegangen, hätte die 29-Jährige notgedrungen noch schnell ein gebrauchtes Outfit gekauft. Doch sie hat Glück: Die Robe vom chinesischen Schneider sitzt. Nicht perfekt, aber okay. Bei der Stoffqualität drückt sie ein Auge zu. 2900 Euro für das Wunsch-Kleid aus einem Münchner Brautmodeladen konnte sie sich nicht leisten.

Immer mehr Menschen, vor allem junge, sind auf Online-Schnäppchenjagd in Asien unterwegs. Modeblogger, die mit ihren Videos Einkaufstrends beeinflussen, machen es vor. "Der Direktkauf im Preisparadies China ist zum Trend geworden", sagt Georg Tryba von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Allen Fallstricken zum Trotz. Der klassische Einzelhandel ist aufgeschreckt. Und dem deutschen Fiskus gehen jährlich Millionen Euro durch die Lappen.

Für die meisten Schnäppchenjäger zählt aber erst einmal nur: der Preis. Und der ist oft bestechend. Ob Textilien, Modeschmuck, Tierbedarf oder Technik - auf Internet-Handelsplattformen wie Ebay und Amazon Marketplace oder in Web-Shops wie Aliexpress oder Shein gibt es viele Verlockungen: Getupftes Sommerkleid: 6,61 Euro. Cocktailkleid für den Abi-Ball: 18,21 Euro. GPS-Halsband für den Hund: 4,89 Euro. Sechs-Meter-Markise für die Terrasse: 1077,89 Euro. Die krummen Preise entstehen, weil die Anbieter weltweit verkaufen und jeweils in Euro, Dollar oder Yen umrechnen.

Die Ware aus Fernost wird im Internet so günstig feilgeboten, dass selbst ältere Verbraucher der Tiefpreis-Versuchung erliegen und das Risiko eingehen, direkt bei Unbekannten zu bestellen, die Tausende von Kilometern entfernt ihr Geschäft betreiben. "Bei den Dumping-Preisen riskieren neuerdings selbst vorsichtige Bürger mal einen Hunderter", so die Erfahrungen von Verbraucherschützer Tryba. Geht es schief, ist der Verlust verkraftbar.

Das Netz ist voll von Beschwerde-Einträgen enttäuschter Kunden

Wie viele Bundesbürger bereits auf Shopping-Tour in Asien unterwegs sind, kann nur geschätzt werden. Zahlen werden nicht erfasst, sagt Jens Nagel, Hauptgeschäftsführer der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels (AVE). Die Branche ist nervös. "Der Trend tut uns noch nicht weh, aber wir beobachten ihn", betont Nagel. Axel Augustin, Sprecher des Textilhandelsverbands BTE, ist direkter: "Jede Mücke sticht." Beide hoffen auf den gesunden Menschenverstand. "Produkte zum Bruchteil des hiesigen Preises bedeuten auch ein Bruchteil an Qualität, Verbraucherrechten und Sicherheit", so Nagel.

Dass der Direktkauf in China ein Glücksspiel ist, werde vielen Kunden aber erst nach dem Bezahlen bewusst, sagt Verbraucherschützer Tryba. Nach seinen Beobachtungen geht nur jede zweite Bestellung gut. Da gibt es Kunden, die monatelang auf ihre Lieferung warten. Manchmal kommt auch gar nichts an. Bei anderen stoppt der Zoll die Sendung und verlangt happige Mehrkosten. Nicht alle haben so viel Glück wie die junge Braut, deren Hochzeitskleid offensichtlich durch den Zoll schlupfte.

In der Regel bittet der Zoll zur Kasse, wenn der Gesamtwert über 22 Euro liegt. Die Einfuhr-Umsatzsteuer liegt bei 19 Prozent. Warenwert und Porto werden zusammengerechnet - auch wenn mancher Shop-Betreiber vorgaukelt, die Portokosten von 85 Euro fielen nicht ins Gewicht. Auch als Geschenk deklarierte Sendungen werden stichprobenartig geprüft. Bei vielen Technik- und Modeprodukten wie MP3-Player oder Lederwaren über 150 Euro wird zusätzlich eine Zollabgabe fällig, je nach Warenart von 2,5 bis 17 Prozent. Und: Löst der Kunde die Ware im Zollamt aus, muss er nicht nur Geld, sondern auch Zeit mitbringen. "Wer billig kauft, der kauft am Ende doch teuer", sagt Augustin. Selbst wenn die Sendung ohne Nachforderung ausgeliefert wird, ist ein Happy-End nicht garantiert. Das Netz ist voll von Beschwerde-Einträgen enttäuschter Kunden, die zu kleine, verknitterte, nach Chemikalien riechende Kleider oder Schuhe auspacken mussten. "Oft ist es so, dass die Qualität einfach nicht stimmt", berichtet Tryba. Firmen, die in China fertigen lassen, kontrollieren die Waren, bevor sie in deutsche Geschäfte kommen. Beim Direktimport von Privat gebe es keine Checks, erklärt Nagel.

Wer mit seinem Einkauf im China-Shop nicht glücklich ist, kämpft oft noch mit einem Zusatzproblem: Die Rückgabe ist zwar immer öfter theoretisch möglich, praktisch aber ein Unding. Das Porto für Retouren Richtung nach Ghenzhou oder Hongkong summiert sich schnell auf bis zu 43 Euro (bis fünf Kilo). Dazu sollen Kunden manchmal Bearbeitungsgebühren von 18 Euro oder 50 Euro Lagerauffüllgebühren zahlen. Wer nur 106 Euro gezahlt hat, wird eine missratene Lieferung dann lieber in die Tonne stecken.

Käuferschutz ist meist nur dann gegeben, wenn Schnäppchenjäger über Portale wie Amazon oder Ebay einkaufen - und der chinesische Anbieter eine Außenstelle plus Lager in Deutschland oder Europa hat. Zollprobleme gibt es dann auch nicht. Viele asiatische Händler nutzen schon die Dienste der beiden Handelsplattformen. Die Schattenseite: Kaum einer führt Umsatzsteuern ab. Rechnungen? Anmeldung beim Finanzamt? Fehlanzeige. Dem Fiskus entgehen so 800 Millionen Euro jährlich, schätzen Experten. "Ich halte das Volumen noch für konservativ geschätzt", sagt Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft. Der Gesetzgeber sei gefordert, dem Steuerbetrug rasch ein Ende zu bereiten. "Kunden, die bei solchen Händlern kaufen, sollten wissen, dass sie dadurch Teil von unseriösen Geschäften werden", so Eigenthaler. Denn die Dumping-Preise aus Fernost würden nicht zuletzt auch dadurch möglich, dass sich die Anbieter Ertrags- wie Umsatzsteuern sparen.

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