China:Das Billionen-Problem

File photo of a basket vendor walking past red lanterns serving as decorations to celebrate the new year outside a shopping mall in Kunming

Analysten warnen: Gehen Staatsbetriebe pleite, brauchen Chinas Banken im schlimmsten Fall bis zu 1,5 Billionen Euro.

(Foto: Wong Campion/Reuters)

Das Land baut auf Pump. In etlichen Provinzhauptstädten fahren mittlerweile U-Bahnen. Nun wird gespart.

Von Christoph Giesen, Peking

Es war ein Interview auf der Titelseite der Volkszeitung. Wenn die Führung in Peking etwas bekanntgeben möchte, steht es fast immer zuerst in diesem Blatt, es ist das offizielle Sprachrohr der Partei. In diesem Gespräch, das im Mai erschien, forderte ein ungenannter "einflussreicher Beamter" die Politik auf, die Verschuldung endlich unter Kontrolle zu bekommen. Im Apparat wird vermutet, dass der anonyme Kader niemand anderes war als Liu He, der wichtigste Wirtschaftsberater von Parteichef Xi Jinping.

Kein Land der Welt gibt derzeit so ungezügelt Geld aus wie China. Das besorgt zunehmend Fachleute auf der ganzen Welt. Zuletzt schlug der Internationale Währungsfonds Alarm, zuvor hatte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich vor einer chinesischen Schuldenblase gewarnt. Als 2008 die Olympischen Spiele in Peking stattfanden, lag die Gesamtverschuldung der Volksrepublik, also die gewährten Kredite für Unternehmen, private Haushalte und das Staatsbudget, bei etwa 145 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Inzwischen dürften es nach Schätzungen von Analysten und Wissenschaftlern mehr als 250 Prozent sein. Da sich die chinesische Wirtschaftskraft in den vergangenen acht Jahren aber mehr als verdoppelt hat, muss sich die Schuldenlast insgesamt etwa vervierfacht haben.

Stahl, Aluminium oder Zement: Vor allem Staatsunternehmen verschulden sich mit billigem Geld

Ein Großteil des Geldes fließt in die alte Industrie. Es sind vor allem die Staatsunternehmen, die sich mit billigem Geld verschuldet haben. Sie produzieren Stahl, Aluminium oder Zement und haben gewaltige Überkapazitäten angehäuft. Auch etliche Infrastrukturprojekte werden über Schulden finanziert, neue Flughäfen, das größte Schnellbahnnetz der Welt. In etlichen Provinzhauptstädten fahren inzwischen U-Bahnen. Alleine Chinas Staatsbahn hat in ihrer Bilanz Schulden in Höhe von 637 Milliarden Dollar stehen.

Insgesamt stehen die Firmen in der Volksrepublik umgerechnet mit mehr als 16 Billionen Euro in der Kreide. Das entspricht gut 170 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Fast ein Viertel der Unternehmen verdienen nach Schätzungen zu wenig, um ihre Schulden bedienen zu können. Fünf Monate nach dem nebulösen Volkszeitungs-Interview hat Chinas Führung nun angekündigt, die hohe Verschuldung vieler Unternehmen anzugehen. Pekings Wirtschaftsplaner teilten mit, bei staatlichen Konzernen solle es verstärkt Überprüfungen geben. Die Regierung werde im Einklang mit den Gesetzen der Volksrepublik auch mehr Firmenpleiten zulassen. Es werde allerdings auch staatliche Hilfen für Unternehmen und mehr Fusionen sowie Übernahmen geben. Kern des Programms ist die neu geschaffene Möglichkeit für Firmen, Kredite in Unternehmensanteile umzuwandeln. Die Bank erhält also statt einer Rückzahlung ein Aktienpaket.

Die Idee, Schulden einzutauschen, trug Premierminister Li Keqiang zum ersten Mal im März öffentlich vor. Damals gab es jedoch Widerstand der Staatsbanken. Die Befürchtung: Eine solche Umwandlung könne die Liquidität der Geldhäuser senken und ihnen nahezu wertlose Firmenanteile aufbürden.

Das wäre nicht ungefährlich für das chinesische Bankensystem. Im Unterschied zu westlichen Instituten sind chinesische Banken eher wie Pfandleihhäuser aufgebaut. Es können nicht mehr Kredite vergeben werden, als Sparer Geld bei der Bank angelegt haben. Die Folge: Viele Kredite gehen an staatseigene Unternehmen. Denn Peking, so die Annahme der Banker, haftet ohnehin - egal, was passiert. Und da die mögliche Gesamtsumme an Krediten im Vorfeld feststeht, werden eher einige wenige Großkredite unterzeichnet, statt viele kleine Darlehen an mittelständische Betriebe zu vergeben, so spart man Verwaltungskosten. In den neuen Vorgaben der Regierung trägt man der Sorge der Banker Rechnung. Lediglich von Unternehmen, die eine "gute Perspektive" und nur kurzzeitige Probleme haben, sollen die Banken künftig Anteile übernehmen.

"Diesmal haben wir einen marktorientierten Ansatz gewählt", sagt Lian Weiliang, stellvertretender Direktor der Wirtschaftsplanungskommission. Die Regierung werde nicht bei Verlusten der Unternehmen einspringen, versichert er.

Aber kann das funktionieren? Würde eine Firma mit Perspektive wirklich Anteile herausgeben oder nicht eher versuchen, umzuschulden?

Ebenfalls problematisch erscheint es vielen Bankern, dass das Programm keine Begrenzung hat. Fest steht wohl nur, dass Peking reagieren muss.

Am Dienstag warnte die Ratingagentur S & P prompt, dass bei Zahlungsausfällen der Staatsbetriebe chinesische Geldhäuser im schlimmsten Fall bis zu 1,5 Billionen Euro an Kapital benötigen könnten. Ende 2015 hätten faule Kredite einen Anteil von 5,6 Prozent an den vergebenen Darlehen gehabt. Dieser Satz könne bei unvermindertem Tempo der Kreditvergabe aber rasch auf gewaltige elf bis 17 Prozent steigen.

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