Chancen:Arbeit allein kann Ungleichheit nicht bekämpfen

Construction workers are silhouetted while standing on scaffolding at the construction site of the new  ECB headquarters during a guided media tour in Frankfurt

Bauarbeiter stehen auf einem Gerüst mit Blick auf die Frankfurter Skyline.

(Foto: REUTERS)

Das Rezept der Agenda 2010 reicht nicht mehr. Die deutsche Politik muss Versprechen an die Mittelschicht einhalten - sonst wankt unser Wirtschaftsmodell.

Von Alexander Hagelüken

Es wirkte wie ein Erfolg. Als die damalige Bundesregierung vor gut zwei Jahren ihren Armutsbericht vorlegte, hatte sie eine positive Botschaft: Der Verdienst wird in Deutschland wieder gleicher. Ärmere, Normalverdiener und Reichere nähern sich seit Mitte der Nullerjahre wieder an. Nach mehreren Jahren, in denen die rasante Globalisierung die Löhne gedrückt hatte und die Bundesrepublik auseinandergedriftet war.

Es hörte sich wirklich wie ein Erfolg an für ein Land, das auf sozialen Ausgleich bedacht ist. Denn die Ursache war bestechend simpel: Die schmerzhaften Reformen der Agenda 2010, die jahrelange Zurückhaltung beim Lohn haben Millionen Stellen geschaffen. Weil viele Arbeit fanden, nahm offenbar die Ungleichheit ab. So ließ sich Politik scheinbar auf eine einfache Formel reduzieren: Gerecht ist, was Arbeit schafft. Viel mehr Mühe um den Zusammenhalt der Gesellschaft muss sich eine Regierung dann nicht machen.

Der Börsenboom hat die Schere wohl wieder aufgehen lassen

Forscher mehrerer Wirtschaftsinstitute säen nun Zweifel an dem schönen Erfolg. Sie bemängeln, die Befragungen, auf die sich die Bundesregierung 2013 berief, unterschätzten Kapitalerträge. In der Tat lässt es einen stutzen, wenn der reichste deutsche Haushalt in diesen Daten nur 50 Millionen Euro besitzt, in der Bundesrepublik aber mehr als 100 Milliardäre leben. Die Steuerstatistik weist für Gutverdiener fast zehnmal so hohe Kapitalerträge aus wie die Befragungen. Das zeigt, dass die ausgerufene Tendenz zur Gleichheit womöglich korrigiert werden muss: Der Boom am Arbeitsmarkt dämpfte die Ungleichheit, doch der Boom der Gewinneinkommen verschärfte sie gleichzeitig.

Es ergibt sich ein beunruhigendes Bild. Auch bisher stand fest: Arm und Reich entwickelten sich bis Mitte der Nullerjahre auseinander - und die von der Regierung verkündete Wiederannäherung konnte das nicht ausgleichen. Fiel die Annäherung in Wahrheit geringer aus oder ganz, gilt das umso mehr. Dazu kommt: Forscher rechnen damit, dass der Börsenboom, von dem nur wenige profitieren, die Schere zwischen Gering- und Gutverdienern seit 2010 wieder aufgehen lässt.

In der Bundesrepublik gibt es also seit 20 Jahren einen manifesten Trend zur Ungleichheit. Aber was bedeutet das wirklich in einem Land, in dem niemand hungert? Es lassen sich zahlreiche Anzeichen dafür finden, dass zunehmende Ungleichheit die Gesellschaft bedroht.

Wenn Versprechen wackeln, wankt unser Wirtschaftsmodell

Der Erfolg der Marktwirtschaft beruht in Deutschland auf dem Versprechen, jeder könne es zu was bringen. Sehnsuchtsziel für jene aus ärmeren Verhältnissen war stets ein Platz in der Mittelschicht. Ausreichend Wohnraum, Urlaub, erfüllte Wünsche. Dieses Versprechen wackelt, seit die Mittelschicht unter Druck gerät und der soziale Aufstieg schwerer ist.

Wenn die Menschen gleichzeitig sehen, wie rasch sich Reichtum vermehrt, kommen sie ins Grübeln. Die Explosion der Immobilienpreise in den Städten führt vor, wie sich mancher locker leistet, wovon die meisten nur träumen. Wenn aber der Leistungswillen nachlässt, weil sich ein Gefühl der Vergeblichkeit verbreitet, wankt unser Wirtschaftsmodell.

Die OECD, die eher liberale Denkfabrik der Industriestaaten, hat sich dieses Jahr des Themas angenommen. Sie postuliert, eine Zunahme der Ungleichheit reduziere das Wachstum einer Volkswirtschaft. Etwa, weil sich die ärmere Hälfte Investitionen in Bildung weniger leisten kann. Oder nicht mehr an ihren Sinn glaubt.

Arbeit allein beseitigt keine Ungleichheit

Die deutsche Politik sollte sich nicht mehr auf die Formel zurückziehen, wonach Arbeit schon für ausreichend Gerechtigkeit sorgt. Dieses Rezept fällt zu simpel aus. Die Reformen der Agenda 2010 waren richtig, doch sie bedürfen nun einer Flankierung, die wieder für mehr Gleichheit sorgt.

Zum Beispiel macht es das deutsche Bildungssystem den Menschen im internationalen Vergleich zu schwer, den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen. Das zu ändern, ist eine Frage der Standards, aber auch des Geldes. Außerdem entstand in Deutschland ein Niedriglohnsektor, in dem Menschen mehr schlecht als recht mit mehreren Jobs hantieren. Dem sollte die Regierung entgegenwirken. Der Mindestlohn war eine erste Antwort darauf, nun muss das Instrument gegen seine Gegner verteidigt werden.

Und, ja, auch Umverteilung von oben nach unten wäre angemessen. Von den Steuerreformen der vergangenen zwei Dekaden haben Unternehmen und Vermögende besonders profitiert. Es wäre an der Zeit, einen Teil dieser Vorteile zurückzunehmen und breite Schichten zu entlasten. Die Löhne nahmen von 2000 bis 2014 real um sieben Prozent zu. Die Unternehmer- und Vermögenseinkommen stiegen in dieser Zeit viermal so stark.

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