Carsten Maschmeyer investiert in Fahrräder:Millionär im Niemandsland

Für Carsten Maschmeyer ist es eine überschaubare Investition, für die ärmste Gegend Deutschlands ist es die ganz große Hoffnung: Der umstrittene Unternehmer steigt beim Fahrradhersteller Mifa ein. Was will der Investor in der strukturschwachen Region?

Caspar Busse

Peter Wicht, 56, steht auf, holt einen Kaffee und setzt sich wieder hin. Es dauert nicht lange, dann springt er erneut hoch, zeigt etwas an dem Fahrrad, das in dem schlichten Besprechungsraum an der Wand lehnt, redet schnell. Der Mann - sportlich, rosa Polohemd, kurze graue Haare - ist immer in Bewegung. Richtig wohl fühlt er sich erst, als er zum Rundgang durch die Werkshallen aufbricht. Hier zeigt Wicht stolz Maschinen, die automatisch Felgen spannen, Lackieranlagen, Förderbänder.

Fahrradproduzent MIFA Sangerhausen

Carsten Maschmeyer steigt bei Mifa ein, dem größten Fahrradhersteller Deutschlands. Archivbild von 2007.

(Foto: dpa)

Wicht ist der Chef der Mitteldeutschen Fahrradwerke aus Sangerhausen in Sachsen-Anhalt, kurz Mifa, dem ältesten und absatzstärksten Hersteller von Fahrrädern in Deutschland. Und er ist ein Mann, der selbst Investor Carsten Maschmeyer gefällt.

Zur Arbeit kommt Wicht mit dem Auto, aber er lebt vom Fahrrad: Mifa montiert 644.000 Räder im Jahr und verkauft sie an Einzelhandelsketten wie Metro, Rewe oder Lidl oder rüstet die Deutsche Post aus. Der Umsatz liegt bei mehr als hundert Millionen Euro. Der ganz große Boom soll erst noch kommen: Die Zahl der Elektrofahrräder ist sprunghaft gestiegen. "Ich glaube, dass bei E-Bikes im Moment etwas ganz Großes entsteht", sagt Wicht und macht ausnahmsweise eine kurze Pause. Davon soll Mifa profitieren - und Carsten Maschmeyer.

"Peter Wicht ist eine seltene Kombination aus Praktiker, Unternehmensführer und Kapitalmarkt-Mann", schwärmt Maschmeyer. Der 53-Jährige hat einst den Finanzvertrieb AWD gegründet und ist damit sehr, sehr reich geworden. In der Affäre um Bundespräsident Christian Wulff spielte er eine Rolle, zusammen mit seiner Lebenspartnerin Veronica Ferres taucht er immer wieder in den Spalten der Klatschpresse auf. Er gehört zu den reichsten Deutschen, sein Vermögen wird auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzt. Gerade hat Maschmeyer ein Buch herausgebracht: "Selfmade - erfolg reich leben." Beziehungen seien das halbe Leben, kann man dort lesen, ein Leben ohne Beziehungen sei "wie Tauchen ohne Sauerstoff".

Maschmeyer fahndet bundesweit nach dem guten Geschäft

Der Mann aus Hannover ist immer auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten. Er hat unter anderem eine Beteiligungsfirma Alstin, das steht für "Alternative Strategic Investments", über die er bei hoffnungsvollen Unternehmen einsteigt, bei der Biotech-Firma Biofrontera, beim chinesischen Onlinemusikdienst 88tc88 oder beim Internet-Startup Orderbird. Aber Fahrräder? "Wir beobachten den industriellen deutschen Mittelstand sehr genau. Und wir wählen gut aus", sagt Maschmeyer. Paladin, eine andere seiner Holdings, fahndet bundesweit nach börsennotierten und unterbewerteten Firmen, die ein gutes Geschäft sein könnten.

Maschmeyer schickt seine Leute los, darunter auch einen Personalanalytiker, der die Qualität des Managements bewertet. Die Truppe wurde auf Mifa aufmerksam. Ein größeres Aktienpaket stand zum Verkauf, Wichts Partner, Michael Lehmann, wollte aussteigen. Maschmeyer traf sich mit Wicht. Die beiden kommen aus unterschiedlichen Welten, hier der glamouröse Jetset, dort der kleine ostdeutsche Unternehmer.

"Fahrrad wird immer gefahren"

"Ich kannte Maschmeyer bis dahin nur aus der Presse", erzählt Wicht. Die Chemie zwischen den beiden stimmte offenbar sofort. "Ein fairer Partner", lobt Wicht, Maschmeyer habe bei einem Meeting sofort einen Draht zu seinen leitenden Mitarbeitern gefunden: "Er hatte 15 skeptische Leute empfangen, 15 Fans sind am Ende wieder rausgegangen." Maschmeyer, der sich nicht ins Tagesgeschäft einmischen will, investierte geschätzt zwölf Millionen Euro. Inzwischen halten er und sein Familie 33 Prozent der Mifa-Aktien, Wicht 30 Prozent, der Rest ist in Streubesitz. Gerade erst hat Mifa erfolgreich das Kapital erhöht.

Ferres und Maschmeyer haben ´Konflikte" beim Fußball

Ein Investor sucht Anlagemöglichkeiten: Carsten Maschmeyer und Lebensgefährtin Veronica Ferres.

(Foto: dpa)

Das Engagement sei langfristig, betont Maschmeyer, auch sein Sohn sei von Anfang an eingebunden. Seit dem Einstieg von Maschmeyer hat sich die Mifa-Aktie mehr als verdoppelt. "Egal, wie groß die Krise ist, Fahrrad wird immer gefahren", sagt Maschmeyer. Es klingt wie ein Märchen: Das große Geld - mit der Montage von Fahrrädern am Hochlohn- und Hightech-Standort Deutschland? Älter kann old economy kaum sein.

Mifa wurde 1907 gegründet, die ganz großen Zeiten sind lange vorbei. 1925 wurde der Italiener Alfredo Binda Weltmeister auf einem Mifa-Rennrad, dann ging es bergab. Zu DDR-Zeiten war Mifa ein Volkseigener Betrieb. "Wer Mifa fährt, fährt nie verkehrt, weil Mifa überhaupt nicht fährt", wurde damals gespottet. Die Qualität war selbst für DDR-Verhältnisse armselig. 1989 stellten mehr als 1500 Menschen eine halbe Million Mifa-Räder her. Nach der Wende verkaufte die Treuhand das Unternehmen an zwei Schweizer Investoren, die wollten im Sommer 1994 neu starten, scheiterten aber kläglich.

Wicht, gelernter Feinmechaniker, der dann Betriebswirtschaft studierte, hatte sich damals in der Nach-Wende-Euphorie mit der Computerfirma Hyrican in der Nähe von Erfurt selbständig gemacht. Er war oft nach China unterwegs und saß eines Tages im Flugzeug neben dem Einkäufer einer großen Fahrradfirma. Der schwärmte von den profitablen Geschäften, Wicht war begeistert. Als Mifa 1995 wieder zum Verkauf stand, schlug er zu.

Seltene Erfolgsgeschichte aus Ostdeutschland

Am 18. März 1996 kauften er und sein Partner die Firmenhülle und die Produktionsanlagen von der Treuhand, sie automatisierten die Fertigung, kauften gebrauchte Maschinen, ein altes Hochregallager und starteten die Belieferung der großen Discount-Ketten. "Wir wollten Geld verdienen", sagt Wicht. 2004 ging die Firma sogar an die Börse - eine der wenigen Erfolgsgeschichten in Ostdeutschland. Angst vor der billigen Konkurrenz aus China hat Wicht nicht. "Es kostet alleine 20 Euro, ein Rad von China hierher zu transportieren", sagt er. Diesen Vorteil holt er schnell raus.

Im Büro von Ralf Poschmann, 54, am mittelalterlichen Marktplatz von Sangerhausen blickt Joachim Gauck von der Wand. Das Porträt des Bundespräsidenten hängt erst seit einigen Wochen hier. Poschmann ist Oberbürgermeister des kleinen Städtchens im Südharz. Er ist ein freundlicher Mann, trägt Jeans und oberhalb des Kinns hat er ein Frank-Zappa-Bärtchen. Bis zur Wende war er Lehrer für Mathe und Physik, dann ging er in die Politik, erst als Kämmerer, dann als Zweiter Bürgermeister. Seit zwei Jahren ist der CDU-Mann Oberbürgermeister, der erste, der nicht von den Linken ist. Und seit Mitte Mai ist er Vorsitzender des Mifa-Aufsichtsrats.

Mifa hofft auf den Durchbruch

Carsten Maschmeyer investiert in Fahrräder: Lohnt sich die Anlage? Carsten Maschmeyer bei einem Interview.

Lohnt sich die Anlage? Carsten Maschmeyer bei einem Interview.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sangerhausen und die Region Mansfeld-Südharz, eine Stunde östlich von Halle - das ist Niemandsland in der Mitte von Deutschland. In kaum einer anderen Region ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie hier: Im Juni lag die Quote bei 13,7 Prozent, mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. In den vergangenen Jahren erreichte der Wert aber auch schon mal trostlose 30 Prozent. Der Deutschland-Aufschwung der vergangenen zwei Jahre - er ist hier nicht angekommen. Früher gab es Bergbau, mehr als 6000 Menschen bauten Kupferschiefer ab. Doch damit war mit der Wende schlagartig Schluss. Geblieben ist eine riesige kegelförmige Abraumhalde, von überall aus zu sehen.

Poschmann kennt Maschmeyer nicht persönlich - noch nicht. "Ich werde den Kontakt suchen", sagt er. Der Einstieg des bekannten Investors sei nicht nur gut für Mifa, sondern für die ganz Region: "Seitdem werden wir als Industriestandort bundesweit wahrgenommen", glaubt der Bürgermeister, der am Stadtrand ein riesiges Industriegebiet mit 260 Hektar plant, aber noch keinen einzigen Investor dafür hat. Die Euphorie ist schon da: "Die Leute haben hier schon Veronica Ferres beim Kaffee trinken gesehen, aber das war gar nicht so", erzählt der Bürgermeister. "Die Hoffnung ist sehr groß, die Menschen hier greifen nach jedem Strohhalm." Und wenn es nur der Name Maschmeyer ist.

Hilflosigkeit angesichts der demografischen Entwicklung

In den vergangenen zwanzig Jahren sind viele tausend Menschen weggegangen. Die Einwohnerzahl von Sangerhausen lag 1990 bei mehr als 32.000, heute sind es gerade noch 21.000 - trotz der vieler Eingemeindungen. Besonders die Jungen sind fort, jetzt sind die Über-Fünfzig-Jährigen in der Mehrheit: "Das ist die zweite Welle der demografischen Entwicklung", sagt Poschmann, lächelt hilflos. Schon steht eine Grundschule zur Disposition. 20 Prozent der Wohnungen in Sangerhausen stehen leer, obwohl bereits bis zu 3000 Wohnungen abgerissen worden sind. Im Schaufenster der Sparkasse wird ein 200-Quadratmeter-Haus für 139.000 Euro angeboten. Hier ist nicht viel - abgesehen vom Rosarium, der weltweit größten Rosensammlung. Mifa mit knapp 500 Mitarbeitern ist der größte industrielle Arbeitgeber in der Region und der größte Zahler von Gewerbesteuer. "Die Verbindung zu Mifa ist wichtig für uns", sagt Bürgermeister Poschmann.

Ob Maschmeyer all diese Probleme lösen kann? Er kennt zumindest erstaunlich viele Details, wenn er von seinem Investment bei Mifa spricht. "Die Elektro-Mobilität wird zunehmen", glaubt er. "Geschäftsleute wollen morgens nicht durchgeschwitzt im Büro ankommen." Erst vor wenigen Monaten hat Mifa die Berliner Firma Grace übernommen. Als der Deal perfekt war, schickte Maschmeyer Unternehmenschef Wicht einen Blumenstrauß. Nun stellt Mifa für die Daimler-Firma Smart das neue E-Bike her - ein Prestigeauftrag. 25 Stundenkilometer schnell soll das Rad sein, die Batterie ist elegant im Rahmen versteckt. Knapp 3000 Euro wird ein Smart-Fahrrad kosten und in allen Daimler- und Smart-Niederlassungen erhältlich sein.

In Erwartung des Durchbruchs

Das soll der Durchbruch werden, auch für Mifa. Die Qualitätsanforderungen von Daimler seien hoch, berichtet Wicht. Doch das sei zu schaffen. Und der Markt wächst: Der Auto Club Europa (ACE) berichtete, dass der Verkauf von Elektrorädern 2011 um mehr als 55 Prozent gestiegen sei, insgesamt seien 310.000 Stück verkauft worden.

In Sangerhausen fährt dagegen kaum jemand mit dem Fahrrad. Zu viel holpriges Kopfsteinpflaster, zu viele Hügel. "Das hier ist schwere Kost für Fahrradfans", lacht Bürgermeister Poschmann. Aber mit E-Bikes könnte sich sogar das ändern.

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