Carrefour, Nestlé, Google & Co.:Freiheit ist grenzenlos

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Der Karikaturen-Streit und die globale Wirtschaft: Werte sind nicht vom Standort abhängig. Unternehmen dürfen deshalb keine Kompromisse in Sachen Freiheit eingehen.

Nikolaus Piper

Das Foto, abgedruckt im Wirtschaftsteil der SZ vom Dienstag, müsste eigentlich einen Schock auslösen: Eine Filiale des französischen Einzelhandelskonzerns Carrefour in Kairo, in der ein Schild die "lieben Kunden" darauf hinweist, dass Carrefour seine "Solidarität mit der ägyptischen und islamischen Gemeinschaft" ausdrücken wolle und daher keine Produkte aus Dänemark mehr führe. Mit anderen Worten: Der Laden befolgt den Boykottaufruf islamischer Extremisten gegen Dänemark.

Ein Ladenbesitzer in Baghdad ruft zum Boykott dänischer Produkte auf. (Foto: Foto: AP)

Natürlich redet die Firma den Skandal jetzt klein: Der Konzern halte an dem ägyptischen Unternehmen gleichen Namens doch nur eine Minderheitsbeteiligung, die unternehmerische Führung liege bei einer Partnerfirma. Als ob das eine Entschuldigung wäre. Carrefour ist Carrefour.

Oder was ist vom schweizerischen Nestlé-Konzern zu halten, der in Saudi-Arabien die Kunden per Zeitungsanzeige davon unterrichtete, dass sein Milchpulver nicht von dänischen Kühen stammt.

Eine von Unbekannten gesteuerte SMS-Kampagne hatte dies behauptet; möglicherweise hatten die Urheber das Schweizer Kreuz mit der dänischen Flagge verwechselt. Ist das so weit entfernt von ausländischen Unternehmen, die in den dreißiger Jahren mit dem Hinweis in Deutschland ins Geschäft kommen wollte, sie beschäftigten keine Juden?

Man mag den Vergleich für übertrieben halten, aber das Thema ist ernst genug, es betrifft das Selbstverständnis des Westens in einer globalisierten Welt.

Globalisierung bedeutet unter anderem Immigration und dramatisch sinkende Informationskosten. Gäbe es diese beiden Phänomene nicht, dann gäbe es auch die Hysterie um die albernen Mohammed-Karikaturen in Jyllands-Posten nicht, sie wären gar nicht erst gedruckt worden.

Betroffen von den interkulturellen Friktionen der Globalisierung sind auch deren Motoren, die multinationalen Konzerne. Siemens etwa ist in 190 Ländern vertreten und war schon globalisiert, als es den Begriff noch gar nicht gab. Ein derartiger Konzern muss sich überall auf der Welt an die jeweils geltenden Gesetze, Sitten und Gebräuche halten. Wenn er gut beraten ist, wird er sogar versuchen, dies besonders vorbildlich zu tun - corporate citizenship nennt man das.

Das Problem ist nur, dass viele Länder auf der Welt weder frei noch demokratisch sind. Ein wichtiges Beispiel war früher der Apartheid-Staat Südafrika, heute ist es die Volksrepublik China. Zu der kritischen Kategorie gehören aber auch die meisten Staaten des Nahen Ostens, einer Region, die wirtschaftlich immer wichtiger wird, in der aber diktatorische Regime oder radikale Oppositionsgruppen die Massen manipulieren.

Und hier müssen Unternehmen Position beziehen, und zwar durchaus in ihrem eigenen Interesse. Sie werden nur dann als corporate citizens wahrgenommen, wenn sie erkennbare ethische Leitlinien haben.

Es geht nicht darum, dass Manager zu Propagandisten von Freiheit und Demokratie werden. Damit wären sie überfordert. Auch kann niemand von ihnen verlangen, dass sie Helden spielen.

Aber wenn es um den Kern von Freiheit und Menschenrechten geht, müssen Kompromisse tabu sein. Kein Unternehmen darf sich daher direkt oder indirekt am Boykott eines Landes beteiligen, dessen einziges Vergehen ist, dass die Regierung die Meinungs- und Pressefreiheit wahrt. Solidarität mit Dänemark sollte in dieser Situation selbstverständlich sein.

Aber es geht nicht nur um Dänemark und die Muslime. Google hat einen Aufschrei der Empörung ausgelöst, weil das Unternehmen seine Suchmaschine in der Volksrepublik China der Zensur unterwirft. Internetseiten, auf denen von Demokratie, Menschenrechten oder Taiwan die Rede ist, werden blockiert.

Die Google-Macher rechtfertigen sich damit, dass es für die Chinesen immer noch besser sei, halb freie Informationen zu bekommen als gar keine. Aber darf ein Unternehmen, das mit Informationen handelt, in Sachen Freiheit wirklich Kompromisse eingehen? Übrigens haben auch Googles Konkurrenten Microsoft und Yahoo in Sachen China schon ihr Quäntchen Opportunismus gezeigt.

Im Grunde ist die Sache klar: Man kann mit Diktaturen Geschäfte machen, aber darf sich nicht gemein machen mit der Diktatur. Westliche Modefirmen lassen in Südostasien zu sehr niedrigen Löhnen fertigen. Wären die Lohnkosten nicht so niedrig, gäbe es die fraglichen Jobs gar nicht.

Aber sie haben darauf zu achten, dass die Menschenrechte in den eigenen Fabriken und denen der Lieferanten nicht verletzt werden. Die renommierten Firmen haben das verstanden; schließlich haben sie bei negativen Presseberichten über Lebensumstände ihrer Näherinnen mit heftigen Reaktionen der Verbraucher zu rechnen. Die Firmen sind zwar global, sie haben aber immer auch einen konkreten Firmensitz, der die Identität des Unternehmens mit prägt.

Google ist eben eine amerikanische Firma, der Name steht überdies noch besonders für die Freiheit im Internet. So etwas verpflichtet eigentlich. Und es wäre schön, wenn Carrefour, nachdem das Management sein Bedauern über die verletzten Gefühle vieler Muslime ausgedrückt hat, umgehend wieder dänische Produkte in die Regale stellen würde, und zwar besonders viele.

© SZ vom 9.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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