Caritas-Generalsekretär Georg Cremer:Caritas: Wir brauchen Willkommensplakate für unsere Unterschicht

Georg Cremer kümmert sich als Caritas-Generalsekretär um die Armen in Deutschland. Wo Armut herkommt - und worüber er sich bei Statistiken besonders ärgert.

Von Guido Bohsem und Thomas Öchsner

Wenn es in Deutschland um das Thema Armut geht, schlagen die Emotionen ungewöhnlich hoch. Auf der einen Seite wird lautstark über die Zustände geklagt. Immer neue Höchststände der Armut werden vermeldet, immer neue Ungerechtigkeiten angeprangert. Die andere Seite schießt bissig zurück und neigt dazu, auch die offenkundigen Missstände herunterzuspielen. Kurioserweise argumentieren beide Seiten auf Basis der gleichen Daten. Sie legen sie nur einfach völlig anders aus.

Taucht wieder mal eine neue, besonders gewagte Zahleninterpretation auf Basis der Armutsstatistik aus, geht Georg Cremer das auf die Nerven. Unter manchen Annahmen und Irrtümern leide er geradezu körperlich, vertraut er der Süddeutschen Zeitung an. Cremer ist gelernter Volkswirt und Statistiker, und er ist Generalsekretär der Caritas, des größten Wohlfahrtsverbandes im Land. Knapp zwei Stunden dauert das Interview mit dem Träger des päpstlichen Sankt-Gregorius-Ordens, und wenn die SZ-Redakteure ihm besonders zugespitzte Fragen zum Thema Arm und Reich stellen, rauft er sich in seinem Büro in Freiburg buchstäblich die Haare.

"Armut in Deutschland muss man in Relation zu den Verhältnissen bei uns erfassen. Es wäre völlig abstrus, Deutschland mit Kalkutta zu vergleichen", sagt er. Zwar seien die Verhältnisse hierzulande bei weitem nicht so, dass man vor Dankbarkeit ständig auf die Knie fallen würde. Man dürfe die soziale Sicherung aber nicht beständig schlechtreden - das gelte auch für Wohlfahrtsverbände.

"Diese Rhetorik birgt die Gefahr, den Konsens der Mitte zu schädigen, den Sozialstaat zu finanzieren. Eine Politik für die Armen aber ist gegen die Mitte nicht zu machen." Es bestehe die Gefahr, dass Fundamentalkritik einem Populismus von rechts in die Hände arbeite. Viel wichtiger sei es, einen möglichst differenzierten Blick auf die Armut in Deutschland zu werfen. Ein schwieriges Unterfangen: "Wenn Sie den schweren Makel einer differenzierten Position nicht durch Prominenz und Status ausgleichen können, kommen Sie ja nicht in eine Talkshow rein." Im Interview mit der SZ sagt Cremer, ob die Hartz-IV-Sätze steigen sollten - und warum er glaubt, dass Deutschlands Mittelschicht nicht nur Flüchtlingen, sondern auch der deutschen Unterschicht Willkommensplakate zeigen sollte.

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