Camden Market:Aufruhr im Trödlerparadies

Der Camden Market in London ist beliebt bei Touristen. Doch der Markt am Kanal gehört nun einem Milliardär aus Israel. Der hat große Pläne - das macht manchem Angst.

Von Björn Finke

Charles Butler fällt auf. Nicht viele Besucher des Camden Markets tragen so wie er einen schicken Anzug. Dieser Markt besteht eigentlich aus mehreren Märkten: eine zusammengewürfelte Ansammlung von Imbissbuden, Trödler-, Tinnef- und Modeläden. Eingepfercht in alten Lagerhäusern und Höfen am Regent's Canal, einem Kanal im Norden Londons. Das Kraut-und-Rüben-Ensemble ist eine der größten Touristenattraktionen der Hauptstadt. Und so eine Art Einkaufszentrum für diverse Jugendszenen. Ob Techno, Gothic oder Punk - passende Kleidung und Accessoires finden sich zuhauf.

Daher schieben sich an diesem Vormittag reichlich Touristen mit Rucksäcken, Kameras oder gemeingefährlichen Selfie-Sticks durch die Gänge. Und Trauben von Jugendlichen auf der Jagd nach T-Shirts und Postern mit Slogans, die Eltern garantiert missbilligen. Charles Butler, der Mann im feinen Anzug, achtet aber mehr auf die Backsteinbauten als auf die Menschen. Wie ein Feldherr auf seinem Hügel weist er mit ausgestrecktem Arm mal hier-, mal dahin. "Da vorne kommt ein Dach drauf", sagt er. "Hier bauen wir ein Restaurant. Und wir müssen die Wege verlegen." Wie die Besucher jetzt über die Märkte liefen, sei nicht optimal.

Butler, der Feldherr von Camden, hat Großes vor mit den traditionsreichen Märkten. Er will sie hübscher und moderner machen. Will drum herum Wohnungen und Büros errichten. Die etwas schmuddeligen Märkte auf der Industriebrache mögen eine Hochburg der Alternativkultur sein - doch zugleich gehören sie inzwischen einer börsennotierten Immobilienholding. Und deren Vorstandschef Butler möchte für seine Investoren den Wert der Liegenschaften ordentlich erhöhen. In den Präsentationen für Anleger ist die Rede vom "starken Steigerungspotenzial", von der "einzigartigen Marke", von "strategischen Zukäufen": Managersprech im Trödlerparadies.

Der Manager hofft, dass bald mehr Besucher aus reichen Vierteln kommen

Die Pläne kommen zu einer heiklen Zeit: In London wird gerade viel über Gentrifizierung diskutiert, also darüber, was passiert, wenn einst günstige Stadtviertel schick werden, wenn Makler und Immobilienentwickler anrücken und sich Alteingesessene ihre eigene Nachbarschaft nicht mehr leisten können. Und nicht immer bleibt die Debatte friedlich. Bei Protestumzügen kam es zu Randale; auch in Camden organisierte eine linke Gruppe im Sommer eine Demonstration, bei der am Ende Flaschen auf Polizisten flogen.

Camden ist berühmt für seine Musikszene, für die vielen Kneipen und Klubs mit Bands auf der Bühne: Bekannte britische Gruppen hatten dort ihre ersten Auftritte. Amy Winehouse lebte, musizierte, trank und starb in dem Viertel. Obwohl manche Ecken sehr fein sind, gilt Camden immer noch als vergleichsweise bezahlbare Nachbarschaft für Kreative im teuren London. Da stoßen Vorhaben wie das von Marktherr Butler auf Misstrauen.

Der Manager will den krawalligen Protestumzug vom Sommer nicht so ernst nehmen: "Solche Demonstrationen gibt es überall in London", sagt er. Außerdem gehe es bei seinem Projekt nicht um Gentrifizierung, sondern darum, "in enger Zusammenarbeit mit Nachbarn und Gemeindevertretern" das Umfeld zu verbessern.

Immerhin entstehen neue Wohnungen. Butlers Immobiliengesellschaft baut an der Stelle eines Marktes, der unter freiem Himmel am Kanalufer stattfand, einen Komplex mit 170 Apartments, von denen einige besonders günstig sein sollen. Zudem werden dort Läden und ein Kino untergebracht. Eine Grundschule errichtet Market Tech - so der Name von Butlers Gesellschaft - ebenfalls. Das und die erschwinglichen Apartments gehörten zu den Vorgaben der Stadtverwaltung.

Die Firma bietet in den Camdener Märkten zudem 1000 Büroarbeitsplätze an, die vor allem auf junge Unternehmen aus kreativen Branchen abzielen. Die Büros sind in den Obergeschossen von Gebäuden untergebracht, in denen unten Händler und Restaurants um Kunden buhlen.

Bei den Gastronomen und Läden wünscht sich Marktchef Butler demnächst ein Angebot, das auch wohlhabendere Flaneure anspricht. Bewohner von teuren benachbarten Vierteln wie Hampstead Village oder Belsize Park besuchten bislang kaum den Camden Market, klagt er. Weniger Imbissbuden und Souvenirläden, dafür mehr gute Restaurants und hippe Modemarken - das soll Reiche in die alten Lagerhäuser locken.

Butler investiert zugleich in Technik: So stellt er den Händlern Kassenterminals zur Verfügung. "Bislang läuft bei manchen noch alles über Bares. Die zahlen auch ihre Miete an uns in bar", sagt der Manager. Besucher können auf ihren Handys kostenlos Wlan nutzen und eine App herunterladen, ein Mini-Programm, das angibt, was wo zu finden ist. Hübscher Nebeneffekt: "Wir können dadurch nachvollziehen, wie sich die Menschen auf den Märkten bewegen, welche Wege sie wählen", sagt Butler. So erkenne er, wo Verbesserungen nötig sind.

Market Tech hat zudem einen Internet-Laden namens Camdenmarket.com aufgemacht. Dort sollen die Händler aus den Lagerhäusern am Kanal ihre Ware weltweit im Netz verkaufen. "Mit all dem helfen wir den Geschäften, ihren Umsatz zu steigern", sagt Butler. "Und dann ist es nur fair, wenn sie uns etwas von den Zusatzeinnahmen abgeben." Daher sehen die neuen Mietverträge eine Umsatzbeteiligung vor.

Hinter Market Tech steht Teddy Sagi, ein leicht umstrittener Israeli. Er hat seine Milliarden mit Internet-Firmen gemacht, saß einmal wegen krummer Geschäfte hinter Gittern. Mit seinem Kapital fing Market Tech vor anderthalb Jahren an, die verschiedenen Teile der Camdener Märkte aufzukaufen. Insgesamt zahlte die Gesellschaft mehr als eine halbe Milliarde Pfund. Dafür haben nun erstmals alle Bereiche der Märkte einen einzigen Besitzer.

Im Dezember vorigen Jahres ging Market Tech an die Börse und wurde mit einer Milliarde Euro bewertet. Sagi hält aber weiterhin die Mehrheit an der Firma. Der Aktienkurs notiert im Moment etwas unter dem Ausgabepreis - der großen Wachstumsstory vom Trödelmarkt an der Börse scheinen Anleger nicht recht zu trauen.

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