Bundesverfassungsgericht:Atomausstieg - rechtmäßig oder nicht?

CSU peilt Atomausstieg 2022 an

Das Atomkraftwerk Isar bei Landshut.

(Foto: dpa)

Eon, RWE und Vattenfall sehen sich durch die Abschaltung ihrer Kernkraftwerke enteignet. Sie fordern eine Entschädigung in Milliardenhöhe.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es wird ein wirklich dickes Urteil, so viel lässt sich prognostizieren. Mehr als 130 Seiten soll die Entscheidung zum Atomausstieg umfassen, die das Bundesverfassungsgericht am Dienstag verkünden wird, und dieser Text ist quasi nur die Kurzfassung. Das interne Votum, das der Berichterstatter Michael Eichberger, also der federführende Richter, verfasst hat, soll mehr als 1000 Seiten lang gewesen sein.

Nun könnte man sagen: Es geht ja auch um viel Geld! Die drei klagenden Energieversorger Eon, RWE und Vattenfall würden bei einem Erfolg vermutlich zweistellige Milliardensummen fordern. Der wahre Grund für die imposante Seitenzahl ist aber nicht das Geld, sondern das Recht: Die Sache ist juristisch anspruchsvoll. Und es könnte sein, dass das Gericht verfassungsrechtliches Neuland betritt.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerden ist der hektische Atomausstieg von 2011. Nach dem Reaktorunfall in Fukushima wurden sieben ältere AKWs sofort abgeschaltet, der Reaktor in Krümmel war zu der Zeit bereits vom Netz. Für die übrigen Standorte wurden feste Abschalttermine vorgegeben. Im Jahr 2022 soll das Projekt Atomstrom in Deutschland zu Ende sein.

Atomausstieg als mögliche Enteignung der Konzerne

Die mündliche Verhandlung des Ersten Senats war eine Veranstaltung, bei der Heerscharen von Managern, Anwälten und Professoren den Saal füllten. Geschliffene Plädoyers, anspruchsvolle Erörterungen - aber letztlich lassen sich die beiden Tage vom März auf zwei Begriffe reduzieren: Demokratie und Eigentum.

Die demokratische Grundthese des Verfahrens, vertreten von der Bundesregierung, lautet: Dem Gesetzgeber steht es frei, jederzeit aus der Hochrisikotechnologie Kernkraft auszusteigen. "Fukushima hat auch in Deutschland eine Neubewertung nötig gemacht", sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) in der Verhandlung. Zwar wandte Eon-Chef Johannes Teyssen ein, der Unfall habe nicht das Risiko verändert, sondern nur die Risikowahrnehmung. Aber auch die Konzerne akzeptierten, was in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit dem Kalkar-Beschluss von 1978 klar ist: Die Politik genießt bei der Bewertung, ob die Gefahren der Kernkraft noch hinnehmbar sind, einen großen Spielraum - das "Restrisiko" ist folglich eine politische Größe.

Wer die Zeche der Wende zahlen muss, ist damit aber noch nicht beantwortet. Die Milliardenklage hängt am zweiten zentralen Begriff des Verfahrens, am Eigentum: Sind die Konzerne durch die jähe Abkehr vom Atomstrom womöglich "enteignet" worden? Oder so etwas ähnliches? Können sie Geld für ihre nutzlos gewordenen Investitionen fordern? Oder hatten sie einfach das Pech, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben?

So wie die Verhandlung gelaufen ist, dürften die Richter den Atomausstieg wohl kaum als klassische Enteignung einstufen - die wäre in jedem Fall entschädigungspflichtig. Sondern sie werden wohl den Terminus der "Inhalts- und Schrankenbestimmung" des Eigentums anführen. Das Prinzip kennt jeder: Der Hauseigentümer darf nicht nach Belieben Mieter rauswerfen oder die Miete erhöhen - das Mietrecht setzt dem Eigentum Schranken. Dafür gibt es keine Entschädigung.

Ein Grundsatzurteil - aber die Geldfrage wird offen bleiben

Denkbar ist aber, dass das Gericht das Verhältnis zwischen Eigentumsbeschränkung und Entschädigung etwas flexibler gestaltet. In diese Richtung deutete eine Bemerkung des Richters Andreas Paulus: Die Entschädigung müsse ja nicht immer bei 100 Prozent liegen, sondern könnte auch niedriger ausfallen - je nachdem, wie hoch das öffentliche Interesse anzusiedeln ist.

Ein neues Entschädigungsrecht für politische Kehrtwenden wäre weit über die Kernkraft hinaus von Bedeutung - womöglich sogar für erneuerbare Energien, wenn eine künftige Regierung die Windräder im Binnenland loswerden wollte, weil sie nicht an den Klimawandel glaubt. Und es wird von großer Bedeutung sein, wie die Stellschrauben hier justiert werden: Die demokratische Freiheit der politischen Entscheidung fällt umso enger aus, je stärker das Eigentum geschützt ist.

Der Ausstieg von 2011 war 2002 schon so gut wie festgezurrt

Ein Grundsatzurteil also. Ob sich damit freilich die Milliardenträume der Kläger realisieren werden, ist ungewiss. Über konkrete Summen werden die Verfassungsrichter ohnehin nicht entscheiden. Die Richter schienen aber den Eingriff ins Eigentum der Versorger als nicht so gravierend anzusehen - und das hat vor allem einen Grund: Der Ausstieg von 2011 schrieb im Großen und Ganzen nur das fest, was bereits im Atomkonsens von 2002 angelegt war. Damals waren den Konzernen Reststrommengen zugesichert worden, die einer Laufzeit von 32 Jahren entsprachen. Daran orientierte sich die Koalition 2011, legte allerdings zusätzlich Abschalttermine fest.

Zwar waren die Gewinnaussichten der Unternehmen wenige Monate vor Fukushima wieder in den Himmel gewachsen, weil die schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten verlängert hatte. Aber das war nur ein Zwischenhoch. Wenn also, wie in der Verhandlung angedeutet, der eigentumsrechtliche Vorher-nachher-Vergleich zwischen 2002 und 2011 vorgenommen wird, wäre die Aussicht auf eine Entschädigung eher gering.

Krümmel wurde als lästiges politisches Anhängsel gleich mit abgeschaltet

Also kein Geld? Diese Frage wird man nicht pauschal, sondern nur von Kraftwerk zu Kraftwerk beantworten können. Vattenfalls AKW in Krümmel beispielsweise könnte ein Sonderfall sein. Sieben Kraftwerke wurden nach dem Ausstieg vom Netz genommen, weil sie älter waren als die anderen. Krümmel dagegen war deutlich jünger, wurde aber im Zuge des Ausstiegs gleichsam mitentsorgt - als politisch ungeliebter Pannenmeiler. Weil das ein Bruch mit der eigenen Ausstiegslogik ist, könnte hier zumindest ein Ansatzpunkt für eine Entschädigung liegen.

Allerdings muss - eine weitere Grundsatzfrage - zunächst geklärt werden, ob der schwedische Staatskonzern Vattenfall sich überhaupt auf deutsche Grundrechte berufen kann. Sollte Karlsruhe dem Konzern freilich ein Urteil verweigern, würde das Verfassungsgericht hier ohne Not das Feld den internationalen Schiedsgerichten überlassen. Für die staatliche Gerichtsbarkeit, die durch das Schiedsgerichtswesen ohnehin unter Druck gerät, wäre das ein Rückschlag. Vattenfall hat Deutschland vor einem Schiedsgericht in Washington auf 4,7 Milliarden Euro verklagt.

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