Bundestagswahl:Jamaika ist eine Chance - und ein großes Risiko

Illustration Jamaikakoalition

Wirtschaftspolitisch birgt eine Jamaika-Koalition Chancen. Sie könnte aber auch eine Regierung des Streits werden, die für wirtschaftliche Modernisierung gar keine Zeit findet.

(Foto: dpa)

Die schwarz-gelb-grüne Konstellation bietet für die Bundesrepublik zumindest wirtschaftspolitisch Chancen. Allerdings nur, solange sich nicht alle Gefahren als real erweisen.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Es ist aufschlussreich, wie andere Parteien die SPD anflehen, sich einer weiteren großen Koalition nicht kategorisch zu verweigern. Aufschlussreich - und bedenklich. Denn es flehen ja Vertreter jener Parteien, FDP und Grüne, die nach dem Nein der SPD als einzige mit der Union eine halbwegs vernünftige Regierung bilden können. Offenbar fürchten sie, für eine Jamaika-Koalition in die Pflicht genommen zu werden. Heißt das, eine solche Regierung wäre eine ganz falsche Idee? Nein. Im Gegenteil: Diese Konstellation bietet für das Land zumindest wirtschaftspolitisch Chancen. Allerdings nur, solange sich nicht alle Gefahren als real erweisen, die sich in der Scheu von FDP und Grünen andeuten.

Angesichts einer Wahl, nach der erstmals seit 70 Jahren Rechtsextreme den Bundestag bevölkern, sollte man vielleicht mit dem Positivem beginnen. Also dann: Eine Regierung mit diesen kleinen Parteien bietet einen großen Vorteil. Wichtige wirtschaftliche Themen, die die bisher Volksparteien genannten Union und SPD vernachlässigten, rücken jetzt in den Vordergrund. Es handelt sich zuvorderst um Digitalisierung, Bildung und generell Investitionen in die Zukunft.

Diese Themen werden in der wirtschaftspolitischen Debatte gern in die zweite Reihe geschoben. Entsprechend lustlos behandelte sie die große Koalition. Doch von diesen Fragen hängt stark ab, welchen Platz Deutschland in der Wirtschaftswelt der nächsten Dekaden einnimmt. Und das Land sieht dabei alt aus.

Digitalisierung wird nicht als jene Herausforderung verstanden, die Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen radikal verändert. Bildung wird nicht als jener Zentralbereich verstanden, in dem die Bürger auf die digitale Arbeitswelt von morgen vorbereitet werden müssen; inklusive der Aufgabe, junge Menschen mit Startnachteilen zu den Fachkräften zu formen, nach denen die Firmen rufen. Was die Infrastruktur angeht, lebt Deutschland von der Substanz, Straßen und Schulen bröckeln. Und auch die Unternehmen investieren im Land zu wenig.

Es ist bemerkenswert, wie sehr sowohl FDP als auch Grüne diese Probleme betonen, die der großen Koalition nur Fußnoten wert waren. Und nicht nur das: Die kleinen Partner einer Jamaika-Unternehmung sind teils bis in Details einig. Das gilt für die Forderung nach einem Digitalminister genauso wie für die Idee, mit dem Verkauf staatlicher Telekom-Aktien den Netzausbau zu finanzieren, um das peinlich langsame Surfen im Internet zu beschleunigen.

Solche Übereinstimmungen erstaunen angesichts der ideologischen Feindschaft, die das öffentliche Bild von Gelb-Grün prägt. Im Grunde aber sind sie kein Wunder, weil sich die Wählerklientel überschneidet. In beiden Fällen handelt es sich oft um gut verdienendes Bürgertum, das sich mit Zukunftsfragen beschäftigen kann, während es Wählern anderer Parteien stärker um ihre aktuelle Existenz geht. FDP und Grüne versuchen zudem nicht, wie SPD und Union das ganze Wählerspektrum abzudecken. Sie preschen mit Modernisierungsideen vor, die das Land vielleicht braucht, die Volksparteien aus Rücksichtnahme aber scheuen.

Durch ihre Struktur und Strategie können die kleinen Parteien für eine Regierung die Avantgarde spielen - und so dem Land nutzen. Ein gutes Beispiel dafür: Die wirtschaftspolitische Erneuerung der SPD Ende der 90er-Jahre, die der Bundesrepublik die nötige Modernisierung nach den bleiernen Kohl-Jahren verschaffte, begann einst mit den Grünen. Eines wäre bei Jamaika aber anders als bei Rot-Grün: Es geht nicht um zwei, sondern inklusive der CSU um vier Parteien. Und auch wenn Rot-Grün heftigen Streit um Kriegseinsätze und Atomausstieg auszutragen hatte: Diesmal stehen noch mehr Konflikte an, bei denen der Markenkern mindestens einer Partei berührt ist.

Die Grünen wollen durch den Ausstieg aus Kohle und Verbrennungsmotor ihre stagnierende Wählerschaft zumindest halten, kollidieren dabei jedoch mit allen Partnern. Die FDP blockiert Transfers an andere Euro-Staaten, um die Abwanderung ihrer Klientel zur AfD zu begrenzen, torpediert damit jedoch deutsch-französische Währungsreformen. Und die CSU wird markig gegen Migranten tönen, ebenfalls wegen der AfD, was kaum zu grüner Menschenfreundlichkeit passt. So könnte Jamaika eine Regierung des Streits werden - die für wirtschaftliche Modernisierung gar keine Zeit findet.

Addiert man dazu, dass Deutschland ungleicher geworden ist, einer Jamaika-Koalition aber die soziale Stimme fehlt, sieht es nach einem Patt aus: Die Chancen einer solchen Regierung sind groß - ihre Risiken auch.

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