Bundestagswahl:Die Vollbeschäftigung, ein großer Traum

NRW - Agentur für Arbeit

"Arbeit für alle" war schon das Ziel des früheren Wirtschaftsministers Ludwig Erhard. Ganz neu ist die Idee also nicht.

(Foto: Martin Gerten/dpa)

Die Union verspricht in ihrem Wahlprogramm, die Arbeitslosigkeit bis 2025 zu halbieren. Das ist möglich, aber schwierig. Alle Fragen und Antworten.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Große Worte überlässt Bundeskanzlerin Angela Merkel normalerweise lieber anderen. Diese Woche war das nicht so. "Wir setzen das Ziel, dass wir 2025 Vollbeschäftigung haben wollen", sagte die Kanzlerin bei der Präsentation des CDU/CSU-Wahlprogramms. Aber geht das überhaupt? Oder taugt Vollbeschäftigung nur als Wahlkampfhit für Traumtänzer? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was bedeutet Vollbeschäftigung?

Vollbeschäftigung heißt nicht, dass jeder eine Arbeit hat. Einen gewissen Rest an Arbeitslosigkeit wird es immer geben, etwa weil Menschen nach einer Firmenpleite vorübergehend ohne Job sind oder weil ein Uni-Absolvent nicht sofort nach dem Studium seine erste Stelle antreten kann. Manche sprechen deshalb bereits von Vollbeschäftigung, wenn die Arbeitslosenquote unter vier Prozent sinkt, andere sehen dies erst bei einer Quote von zwei bis drei Prozent erreicht.

Gab es schon einmal Vollbeschäftigung in Deutschland?

Ja, in den Sechzigerjahren auf dem Höhepunkt des Wirtschaftswunders. Die Arbeitslosigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg war damals abgebaut. Werte unter einem Prozent waren der Normalfall, Deutschland machte sich auf die Suche nach den sogenannten Gastarbeitern. Selbst in der Rezession von 1966/67 lag die Arbeitslosenquote nur wenig über zwei Prozent. In den Siebzigerjahren war es damit vorbei. Die Zahl der Arbeitslosen stieg und stieg.

Wie sieht die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt heute aus?

Deutschland rückt immer näher an die Vollbeschäftigung heran. Im Juni sank die Zahl der Arbeitslosen auf 2,47 Millionen - das ist der niedrigste Stand in einem Juni seit 1991. Die Quote beläuft sich nun auf 5,5 Prozent. Zum Vergleich: Als der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) nach der Jahrtausendwende die Arbeitsmarktreformen einleitete, war der Wert noch zweistellig. Anfang 2005 zählte die Bundesagentur für Arbeit (BA) 5,1 Millionen Menschen auf der Jobsuche.

Gibt es bereits Vollbeschäftigung?

Ja, die Nürnberger BA zählt allein 14 Kreise und kreisfreie Städte, in denen die Quote sogar unter zwei Prozent liegt. Sie befinden sich alle in Bayern. Am besten schneidet demnach Eichstätt ab (1,3 Prozent), gefolgt von Neumarkt in der Oberpfalz, Regensburg, Erding und Pfaffenhofen an der Ilm. Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sagt deshalb: Die Zahlen zeigten, "dass Vollbeschäftigung im Sinne einer Arbeitslosigkeit unter drei Prozent möglich ist". Der deutsche Arbeitsmarkt ist allerdings gespalten: Vor allem in Nordrhein-Westfalen und in Teilen Ostdeutschlands ist die Arbeitslosigkeit nach wie vor hoch. Am höchsten ist sie allerdings in Bremerhaven mit einer Quote von 13 Prozent. Es folgen Duisburg, Pirmasens, Herne und der Landkreis Uckermark.

Warum Vollbeschäftigung nicht immer positiv ist

Eine gewisse Bewegung am Arbeitsmarkt muss es immer geben: Wenn Menschen einen neuen Job suchen und vorübergehend in dieser Zeit Arbeitslosengeld beziehen können, kann das ein Vorteil sein: Sie sind nicht gezwungen, das erstbeste Jobangebot zu nehmen und damit womöglich unter ihren Möglichkeiten zu bleiben. Sie können um- und aufsteigen. Eine absolute Vollbeschäftigung wäre für die Arbeitgeber eher schwierig. Sie hätten Probleme, Arbeitskräfte zu finden, weil es vermutlich dann zu wenig geeignete Arbeitskräfte gibt, was teilweise schon jetzt der Fall ist.

Ist der Plan der Union neu?

Nein, schon der frühere Wirtschaftsminister Ludwig Erhard redete von "Arbeit für alle". Das Stabilitätsgesetz von 1967 nannte Vollbeschäftigung ausdrücklich als Ziel der staatlichen Wirtschaftspolitik. Der frühere Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sprach von der "Schnellstraße zur Vollbeschäftigung". Ungewöhnlich ist aber, etwas in einem Wahlprogramm bis 2025 zu versprechen, das aber eigentlich nur für die nächsten vier Jahre gedacht ist. Wer prüft dann noch, ob die Union ihr Versprechen gehalten hat?

Was ist an dem Versprechen der Union noch tückisch?

Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält es für problematisch, in ein Wahlprogramm als Ziel Vollbeschäftigung hineinzuschreiben. Dazu sei der Einfluss der Regierung auf den nationalen Arbeitsmarkt in einer globalisierten Wirtschaft zu gering. Brenke verweist auf zahlreiche Risiken gerade für Deutschland als Exportnation, die den Traum von der Vollbeschäftigung schnell zunichte machen könnten. Dazu zählt er die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump, höhere Leitzinsen der Notenbanken oder den Ausstieg Großbritanniens aus der EU. So ein Versprechen könne deshalb "zu politischen Enttäuschungen führen", warnt Brenke.

Was empfehlen Ökonomen, um der Vollbeschäftigung näherzukommen?

Ifo-Chef Fuest sagt: "Von alleine wird Vollbeschäftigung sich nicht einstellen." Auch wenn wegen des Geburtenrückgangs das Angebot an Arbeitskräften sinke, könne es "zu Arbeitslosigkeit kommen, wenn die Menschen nicht richtig qualifiziert sind". Deshalb sei es nötig, das Bildungssystem zu verbessern. So sieht es auch der Chef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Joachim Möller: "Den Zugang zu einer guten Bildung zu erleichtern - das ist absolut zentral, wenn wir irgendwann wieder Vollbeschäftigung haben wollen." Darauf weist auch DIW-Experte Brenke hin. "Je stärker die Arbeitslosigkeit abgebaut wird, desto schwieriger wird es, denjenigen einen Job zu vermitteln, die arbeitslos sind." Viele unter den derzeit 900 000 Langzeitarbeitslosen seien schlecht qualifiziert oder hätten gar keinen Berufsabschluss. Hinzu komme, dass die Unternehmen in Zukunft immer weniger Bedarf für einfache Arbeiten, etwa als Lagerarbeiter oder als Kassiererin, hätten. Nach wie vor verließen aber Jahr für Jahr Zehntausende in Deutschland die Schule, ohne nicht einmal einen Hauptschulabschluss zu haben.

Was ist mit dem Fachkräftemangel?

DIW-Chef Marcel Fratzscher warnt: "Das Problem heute, und mehr noch in zehn Jahren, sind nicht fehlende Arbeitsplätze, sondern ist ein zunehmender Fachkräftemangel." Bereits heute gebe es mehr als eine Million offener Stellen. Dieses Problem werde in den kommenden Jahren größer, wenn immer mehr aus der Generation der Babyboomer in Rente gingen. "Das wird das Wirtschaftswachstum und damit auch den Wohlstand in Deutschland schwächen", sagte Fratzscher der Nachrichtenagentur Reuters. Außerdem arbeiteten zu viele Menschen in Teilzeit oder in unsicheren, befristeten oder gering bezahlten Jobs. "Oberste Priorität muss es sein, dass Arbeit sich wieder mehr lohnt und vor allem Frauen und Zuwanderer bessere Chancen im Arbeitsmarkt bekommen", fordert der DIW-Chef.

Ist es nötig, den sozialen Arbeitsmarkt auszubauen?

"Die Halbierung der Arbeitslosigkeit wird nur funktionieren, wenn die Langzeitarbeitslosigkeit endlich effektiv bekämpft wird", sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, denkt dabei auch daran, einen sozialen, öffentlich geförderten Arbeitsmarkt zu schaffen - zumindest für diejenigen, die ohnehin keine Chance mehr auf dem regulären Arbeitsmarkt haben. Auch sein Vorgänger Frank-Jürgen Weise sprach sich schon dafür aus, diesen Menschen lieber Arbeit als Hartz IV zu bezahlen.

Für diese Idee hat sich auch die Union geöffnet. Im Wahlprogramm heißt es: "Langzeitarbeitslosen, die aufgrund der besonderen Umstände auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance haben, werden wir verstärkt die Möglichkeit geben, sinnvolle und gesellschaftlich wertige Tätigkeiten auszuüben." Auch wolle man "finanzielle Mittel bereitstellen, damit jungen Menschen, deren Eltern von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, in ganz Deutschland der Weg in Ausbildung und Arbeit geebnet wird". Das war nicht immer so: Als die CDU mit Ursula von der Leyen die Arbeitsministerin stellte, wurden die Mittel für die Eingliederung von Hartz-IV-Empfängern von 6,4 auf 3,3 Milliarden Euro gekürzt.

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