Bundessozialgericht:Hartz-IV-Empfänger klagen wie nie zuvor

Die Bürger wehren sich: 2009 gab es bei den Sozialgerichten fast 200.000 neue Klagen und einstweilige Rechtsschutzverfahren gegen Hartz IV.

Die Zahl der Hartz-IV-Klagen ist im vergangenen Jahr auf ein Rekordhoch gestiegen: "Wir beobachten dies mit großer Sorge", sagte der Präsident des Bundessozialgerichts (BSG), Peter Masuch, bei der Jahrespressekonferenz seines Gerichts in Kassel.

Hartz-IV-Klagen, Foto: dpa

Die deutschen Sozialgerichte verhandeln so viele Hartz-IV-Klagen wie nie zuvor. Auffälig: Im Osten wird mehr geklagt als in den alten Bundesländern.

(Foto: Foto: dpa)

Er forderte die Bundesregierung auf, die ersten fünf Hartz-IV-Jahre auszuwerten und das Gesetz nachzubessern. Im Bereich Gesundheit gehöre angesichts steigender Kassenbeiträge das Thema Prävention wieder auf die Tagesordnung, forderte der Präsident.

Bundesweit erhöhte sich 2009 die Zahl der Hartz-IV-Verfahren um 11,1 Prozent auf 193.981. Damit war der Anstieg allerdings deutlich geringer als in den Jahren davor; 2008 hatte er noch 27,8 Prozent betragen. BSG-Presserichter Thomas Voelzke machte dabei ein deutliches Ost-West- und ebenso ein Nord-Süd-Gefälle aus.

So habe es in Hessen mit 6,1 Millionen Einwohnern nur gut halb so viele Verfahren gegeben wie in Sachsen-Anhalt mit 2,4 Millionen Einwohnern. Insgesamt gingen mehr als die Hälfte aller Klagen und Eilanträge in den neuen Ländern ein. Auch in der zweiten Instanz sowie beim BSG selbst lägen die Eingänge auf Rekordhoch. Beim BSG betreffe inzwischen jedes vierte Verfahren Hartz IV.

Masuch warnte vor einem weiteren Anstieg. Schon die geplante Aufspaltung der vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig verworfenen Arbeitsgemeinschaften werde zwangsläufig zu mehr Arbeit der Gerichte führen, ebenso die geplante Anhebung der Zuverdienstgrenzen. Richter Voelzke sagte, mit einer Pauschalierung der Unterkunftskosten könne der Bund zumindest teilweise gegensteuern.

Gerichtspräsident warnt vor Gesundheitskürzungen

Im Gesundheitswesen würden die Ausgaben und damit auch die Kassenbeiträge weiter steigen, sagte Masuch. "Niemand darf sich da etwas vormachen." Dennoch sprach er sich gegen eine Begrenzung der Leistungen beispielsweise für alte Menschen aus. Stattdessen müsse die Politik endlich das Thema Prävention angehen. Ein entsprechender Gesetzentwurf aus 2005 sei nach zweijähriger Diskussion aber leider wieder in der Schublade verschwunden.

"Gesundheitsgerechtes Verhalten muss sich auszahlen", forderte der BSG-Präsident. Kindergärten und Schulen müssten die Gesundheitskompetenzen der Menschen besser fördern, sagte Masuch weiter. Bislang erwarteten viele Patienten die beste Heilung durch neue und teure Medikamente.

Acht von zehn Patienten mit einer Erkältung verließen mit einem Rezept für Antibiotika die Arztpraxis, obwohl diese hier "völlig wirkungslos sind". Sie würden wohl verordnet, weil die Ärzte den Erwartungen ihrer Patienten entsprechen wollten, mutmaßte Masuch.

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