Bürgerämter:Schlange stehen fürs Warten

Bürgerämter: In München gibt es im Bürgeramt Wartemarken, morgens. Dann sind sie vergriffen.

In München gibt es im Bürgeramt Wartemarken, morgens. Dann sind sie vergriffen.

(Foto: Robert Haas)
  • Stundenlang auf einen Termin warten - oder gar nicht erst einen bekommen: Je nach Stadt gibt es bei Wartezeiten und Bürgerfreundlichkeit in Ämtern große Unterschiede.
  • Ein Überblick aus München, Bonn, Berlin, Hamburg und Frankfurt.

Von SZ-Autoren

Nach der Arbeit zum Amt eilen, eine Wartenummer ziehen, ewig in überfüllten Fluren ausharren - es gibt wirklich Schöneres als einen Gang zum Bürgerbüro. Da erstaunt das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Bundesregierung, die das Statistische Bundesamt vorgestellt hat (PDF). Demnach seien die Deutschen mit der öffentlichen Verwaltung überwiegend zufrieden. Befragt wurden die Teilnehmer nach konkreten Erfahrungen in bestimmten Lebenslagen. Vor allem bei Eheschließungen, Geburtseinträgen und bei Fahrzeuganmeldungen fühlt sich ein Großteil der Befragten gut aufgehoben.

Unerfreulich wirken Ämter dann, wenn es auch der Anlass des Besuch ist - etwa bei Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Pflegebedürftigkeit. Kritik gab es an komplizierten Formularen. Warte- und Öffnungszeiten in den Behörden schneiden mittelmäßig ab. Über das Bürgeramt, die alltäglichste aller Behörden, verrät die Erhebung dagegen wenig. Helge Braun, der Koordinator der Bundesregierung für Bürokratieabbau, sagt, er sehe vor allem im Bereich E-Government, also den Internetangeboten der Behörden, Verbesserungsbedarf. "Die Zufriedenheit der Bürger hat viel damit zu tun, wie weit der Weg durch die Behördenlandschaft ist." Je nach Stadt gibt es bei Wartezeiten und Bürgerfreundlichkeit aber durchaus große Unterschiede. Ein Überblick.

Anne Kostrzewa

München: Schulfrei für das Amt

Selbst wenn der Bürger so jung ist, dass nicht einmal die Eltern sein biometrisches Passfoto von dem anderer Babys unterscheiden könnten - wer in München lebt und einen Pass braucht, muss persönlich zum Amt. So ist die Regel, und entsprechend lang sind die Schlangen. Fast täglich müssen alle sechs Bürgerbüros der bayerischen Hauptstadt wegen Überfüllung vorzeitig schließen, oft Stunden vor dem offiziellen Ende. Es gibt Wartemarken, am Morgen. Nachmittags sind sie meist schon vergriffen.

Die Stadt musste also eine Lösung finden, vor allem für schulpflichtige Kinder: Vor den Sommerferien gab es in München "behördenfrei". Die Bürgerbüros sind regelmäßig so überfüllt, dass der Chef des Kreisverwaltungsreferats, Wilfried Blume-Beyerle, von deren "Zusammenbruch" sprach. Münchens Bevölkerung wächst seit Jahren, und mehr Einwohner bedeuten auch mehr Behördengänge. Eigenen Angaben zufolge bearbeiten die Bürgerbüros etwa 900 000 Anliegen im Jahr. Allerdings ist das Personal statt aufgestockt jahrelang abgebaut worden. Der Stadtrat hat nun zwar 78 neue Stellen bewilligt, doch bis sie ausgeschrieben und die neuen Mitarbeiter eingestellt sind, wird es noch einige Zeit dauern. Kurzfristig hat man 15 Leiharbeiter eingestellt.

Die Stadt probiert es nun mit technischer Innovation. Die Einführung eines neuen IT-Systems führte Mitte Juli erst einmal zu einem Totalabsturz - die Bürgerbüros blieben einen Tag geschlossen. Doch geblieben ist der Plan, den Computer besser zu nutzen. Die Stadt überlegt, Selbstbedienungsterminals aufstellen. Bürger könnten zudem Termine vorab im Internet vereinbaren, um Warten zu vermeiden, das ist noch eine Idee. Könnte ein Onlinedienst helfen? Das ist nicht sicher.

Inga Rahmsdorf

Bonn: Nachbarschaftshilfe

Am Ende gab einer der obersten Verantwortlichen zu, es sei "grottig" gelaufen. Andreas Leinhaas, Chef des Organisationsamtes in Bonn, musste sich bei den Bürgern entschuldigen. Die groß angekündigte Einführung eines Systems zur flächendeckenden Terminvergabe per Internet und Telefon in den neuen Bürgerämtern endete im Juni im Chaos. Die Stadt hatte versprochen: Nie wieder Wartemarken, Termine könnte man von zu Hause aus noch für denselben Tag buchen. Stattdessen standen schon nach der ersten Woche mit dem neuen System mehr als Hundert Menschen in der Schlange, Termine konnten erst für Wochen später vereinbart werden, die Hotline war dauerbesetzt. Die Stimmung war mies.

In die neuen Ämter waren auch Kfz-Zulassungsstelle und Führerscheinstelle integriert worden. So sollten 1,3 Millionen Euro in Form von 26 Stellen eingespart werden. Hinterher hieß es vonseiten der Stadt kleinlaut, die ersten 17 dieser Stellen hätten nicht sofort wegfallen dürfen. Es war einfach zu wenig Personal da für das neue "Turbo-Amt", wie es eine lokale Boulevardzeitung getauft hatte. Und dann sei der Krankenstand unter den Mitarbeitern noch so hoch gewesen. Um die Situation zu retten, bat Bonn seine Nachbarstadt um Hilfe: Die Hotline wurde zum Call-Center der Stadt Köln umgeleitet. Denn dort läuft es besser: Kölner Ämter haben "Schnellschalter", für einfache Anliegen, dazu Wartemarken und auch noch Internetbuchung. Köln ist breit aufgestellt, die Wartezeit für einen reservierten Termin beträgt gerade einmal vier Tage. Und am Rhein hilft man sich bei allen Rivalitäten dann doch.

Jannis Brühl

Berlin: Alle streiten, einem nützt's

Vermutlich hätte es auch den Berliner Bezirken geholfen, sich besser abzustimmen. Vielleicht wären sie so sogar der Blamage entgangen. Berlin wächst, die Verwaltung aber spart. Die Terminvergabe über das Internet gilt technisch im Vergleich zum Angebot vieler anderer Städte als gut ausgereift. Sie sollte die Situation der Ämter entspannen. So stellten auch hier viele Bürgerämter gleich komplett auf die Onlinetermine um. Spontane Besuche waren dann gar nicht mehr vorgesehen. Doch das führte eben zu neuen Problemen - weil die Termine blitzschnell ausgebucht waren und die Wartezeiten locker acht Wochen betrugen. Sich fristgerecht innerhalb von zwei Wochen am neuen Wohnsitz anzumelden, ist in Berlin unmöglich.

Zwar nehmen die Bürgerämter die verspäteten Anmeldungen stillschweigend hin, doch wer früher eine Meldebestätigung braucht, hat eben Pech. Pech hatten nach der Umstellung auch die wenigen Bürgerämter, die noch spontane Termine zuließen, wie zum Beispiel Neukölln. Da Berliner für viele Anliegen in jedes beliebige Bürgeramt in der ganzen Stadt gehen können, wurden die Neuköllner regelrecht überrannt. Sie ließen schließlich nur noch Spontantermine von im Bezirk gemeldeten Bürgern zu, was wiederum die anderen Bezirke ärgerte.

Seit Kurzem steht ein Hinweis im Netz: In Notfällen werde am Infoschalter "nach einer individuellen Lösung Ihres Problems gesucht". Unnötig zu erwähnen, dass die Schlangen vor dem Schalter zuweilen sehr lang sein können. Und so schließt sich der Kreis. Während die Stadt jetzt den Ärger verwalten muss, hat sich ein Berliner Start-up den Konflikt zunutze gemacht. Die Betreiber habe einen Algorithmus programmiert, der das System der Bürgerämter permanent nach freien Spontanterminen durchsucht - gegen eine Gebühr finden die Unternehmer innerhalb von wenigen Tagen eine Behörde. Die Frage, warum ein kleines Start-up eine solche Lösung hinkriegt und die Berliner Verwaltung nicht, ist für die Berliner Politik mindestens unangenehm.

Hannah Beitzer

Hamburg: Die Termin-Mafia

Glücklicherweise finden Berliner Politiker in Hamburg Leidensgenossen. Denn auch sie hatten ihn, den Traum von eleganten Internet-Ämtern. Doch der platzte schnell. Heute muss die Elb-Stadt eine "Termin-Mafia" jagen. Seit eineinhalb Jahren gibt es in Hamburger Behörden ebenfalls ein Onlinesystem zur Terminvergabe. Von "so gut wie keine Wartezeiten", sprach der zuständige Bezirksamtsleiter Thomas Völsch im Frühjahr - meinte damit aber nur die Wartezeiten direkt in den Kundenzentren bei einem reservierten Termin, den zu bekommen einiges an Geduld erfordert. Wer einen Termin, jetzt mal als Beispiel, in fünf bis acht Wochen um 11.25 Uhr errungen hat, sollte die Gelegenheit auch unbedingt nutzen, Termine zu verschieben ist nämlich nicht möglich.

Wer also kurzfristig Zahnschmerzen hat, ein krankes Kind oder ein dringendes Projekt, der kann den Termin nur stornieren und muss sich dann in der digitalen Warteschlange wieder ganz hinten anstellen. Etwa jeder fünfte vereinbarte Termin verfällt dennoch ungenutzt. Endlich im Amt angekommen, müssen sich die Hamburger oft noch einmal auf langes Sitzen einstellen. Die Termine, die das System verteilt, sind häufig zu knapp getaktet.

Nicht nur die Bürger sind davon mitunter ziemlich genervt, auch vonseiten der Mitarbeiter gibt es eine Reihe von Beschwerden. "Täglich beschimpft" würden die Mitarbeiter in den Hamburger Kundenzentren, sagt die Gewerkschaft. Noch schwieriger wird es, wenn man ein Auto anmelden will. Hier kommt die Termin-Mafia ins Spiel. Deren Geschäftsmodell: Sie blockten in einer Woche 70 Termine über eine einzige E-Mail-Adresse - und versteigerten die Termine dann meistbietend im Internet. Um das abzustellen, müssen Pkw-Halter seither nachweisen, den Termin selbst und auf ihren eigenen Namen reserviert zu haben. Sonst müssen sie unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Angelika Slavik

Frankfurt: Die Investoren

Der Reisepass, die Feinstaubplakette, eine neue Adresse - ist es denn wirklich so kompliziert? In Frankfurt ist es das nicht. Wie beispielsweise am vergangenen Donnerstag. Wer am frühen Vormittag feststellte, dass er ganz dringend seinen Hund anmelden muss, hatte keinen Stress. Der städtische Onlinekalender zeigte einen freien Termin im Bürgeramt Frankfurt-Hoechst um 08.45 Uhr, um 12.15 hätte man in das zentrale Büro kommen können. Wer mit dem Internet fremdelt oder keinen Computer hat, kann sich telefonisch anmelden, Laufkundschaft kann auch kommen, muss sich aber etwas gedulden - in normalen Zeiten im Schnitt eine Viertelstunde.

Was, bitte schön, macht man in Frankfurt, keiner Millionenmetropole, aber inzwischen Heimat von gut 700 000 Menschen, besser als in München oder Berlin? An der Größe der Kommune kann es nicht liegen. Jan Schneider, Stadtrat der CDU und zuständig für die Bürgerämter, weicht dieser Frage aus. Er kenne die Verhältnisse anderswo nicht. Lieber spricht er über das, was Frankfurt, München und Berlin gemeinsam haben. Alle Städte wachsen stetig, eine Herausforderung nicht nur an den Wohnungsmarkt, sondern auch die heimische Verwaltung. Kein Magistrat ist begütert, überall kämpft man mit Finanzproblemen, zusätzliches Personal wird nur in Notfällen eingestellt. Man muss sich etwas einfallen lassen.

In Ferienzeiten, wenn auch die städtischen Beschäftigten in Urlaub gehen, werden in Frankfurt beispielsweise kleine Bürgerämter vorübergehend geschlossen. Die dort Beschäftigten gehen zwischenzeitlich in größere Büros. Manche Frankfurter müssen dann einen längeren Weg in Kauf nehmen, Engpässe werden aber überbrückt. Eine vorausschauende Personalpolitik sei die Grundlage für ein einigermaßen reibungsloses Geschäft, sagt Schneider. Die Jobs in den Bürgerbüros seien häufig anstrengend, die Kundschaft ungehalten. Viele Angestellte blieben nicht lang, und für Nachwuchs müsse man frühzeitig Ausschau halten. Und neue Aufgaben, die zu Bürgerärger führen, sollte man tunlichst erkennen. Im Herbst etwa tritt das neue Bundesmeldegesetz in Kraft, das die Umzugsvorschriften ändert. Das bringt Mehrarbeit. Schneider hat deshalb sieben zusätzliche Stellen bekommen. Denn Frankfurt investiert - in Behördenfrieden.

Susanne Höll

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