Bürger:Der Maultaschen-König

Lesezeit: 4 min

Essen ist fertig: Das 80 Jahre alte Familienunternehmen Bürger will mit Spätzle, Schupfnudeln und anderen schwäbischen Spezialitäten jetzt auch den Norden Deutschlands erobern.

Von DAGMAR DECKSTEIN

Der altertümliche Begriff "Maulschelle" bedeutet nichts Gutes, meint er doch nichts anderes als eine schmerzhafte Ohrfeige alias Backpfeife oder Watschn. Also könnten "Maultaschen" in nichtschwäbischen Ohren möglicherweise auch eine eher negative Assoziation auslösen, und das wäre für Martin Bihlmaier keine allzu tolle Voraussetzung. Aber wohl ein lösbares Problem in einer inzwischen kosmopolitisch gewordenen Konsumwelt, in der auch exotische Genüsse längst zum Standardrepertoire hiesiger Supermärkte gehören. Und so will Martin Bihlmaier, 42, Chef des Maultaschen-Marktführers Bürger aus dem schwäbischen Ditzingen, unerschrocken nun auch den Norden Deutschlands erobern. Wobei der Norden für das Familienunternehmen schon in Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen beginnt. Durch intensive Plakat- und Radiowerbung sollen jetzt auch peu à peu Niedersachsen, Schleswig-Holstein und andere Nordlichter maultaschentechnisch aufgerollt werden. Gar nicht erst zu reden vom neuesten Viral-Marketing-Video-Coup, den Bürger nach Quentin-Tarantino-Art mit Cops und "Tasty Tasches" erst im Oktober startete.

Gefüllte Teigtaschen kennt zwar die ganze Welt von Empanadas in Südamerika über Piroggen in Polen bis zu Wan Tan in China oder Ravioli in Italien - aber die schwäbischen Maultaschen, darauf legt Bihlmaier dezidiert Wert, zeichneten sich durch ihre ganz besondere Füllung aus: Kalbsbrät, Speck, Spinat, Zwiebeln, Petersilie und eingeweichte Brötchen. Um ihren Ursprung ranken sich allerlei Legenden, und die verbreitetste besagt, dass genussfreudige Zisterziensermönche des Klosters Maulbronn einen originellen Weg gefunden haben, in Fastenzeiten das Fleisch zwar nicht vor dem lieben Gott, der ja alles sieht, aber wenigstens vor dem Kloster-Prior im Nudelteig zu verstecken.

Aus der alten Manufaktur Bürger im Stuttgarter Stadtteil Feuerbach ist ein großer Mittelständler mit 850 Beschäftigten geworden. (Foto: Bürger)

Als Richard Bürger 1934 die Firma im Stuttgarter Stadtteil Feuerbach gründete, wurden in erster Linie Mayonnaise, Fleisch- und Ochsenmaulsalat produziert. 1962 übergab Richard Bürger, der keine Nachkommen hatte, das Unternehmen an seinen Freund Erwin Bihlmaier. Der nahm alsbald die - damals noch handgefertigte - Maultasche ins Produktsortiment auf und leitete damit die Expansion der Firma Bürger ein. Erwins Sohn und Martin Bihlmaiers Vater Richard setzten den Weg mit Maultaschen und anderen schwäbischen Teigspezialitäten fort. Von Maultaschen allein kann auch ein schwäbischer Unternehmer nicht leben. So umfasst die Produktpalette aus dem Hause Bürger 150 weitere Spezialitäten und Fertiggerichte: Spätzle, versteht sich, Suppeneinlagen, aber auch Gnocchi oder Paella.

Spätzle und Schupfnudeln erzielten zweistellige Wachstumsraten beim Umsatz. Was die klassischen Maultaschen betrifft, da macht Bürger inzwischen sogar Konzessionen an den Publikumsgeschmack und bietet die Teigtaschen mit ziemlich unschwäbischen Füllungen wie Gemüse, Pilzen oder auch neuerdings in Vegan-Version an. Das, sagt Martin Bihlmaier, müsse Bürger einfach den Händlern zuliebe machen, die aufgrund dieses Trends auch solch eine Maultaschen-Version im Regal anbieten wollten. "Aber verdienen tun wir daran eher nichts", gibt Bihlmaier zu. "Da bedienen wir ja nur eine ganz kleine Nische."

Martin Bihlmaier, 42, führt seit 2008 den Familienbetrieb Bürger in dritter Generation. Der Betriebswirt ist auch Vorsitzender der "Schutzgemeinschaft schwäbische Maultasche". (Foto: oh)

Größter Abnehmer ist der Lebensmitteleinzelhandel, der 60 Prozent der Bürger-Jahresproduktion in Regalen und Kühltruhen feilhält. Weitere 30 Prozent erzielt Bürger mit Großverbrauchern wie Kantinen, Mensen, Altenheimen oder ähnlichen Einrichtungen sowie mit der Gastronomie. Für die restlichen zehn Prozent sorgt das Geschäft mit Industriekunden, zum Beispiel Firmen, die Tiefkühlware vertreiben und den Kunden an die Haustür liefern.

Mit der Eroberung neuer Regionen hat sich Bihlmaier junior, der den Familienbetrieb jetzt seit 2008 in dritter Generation führt, einiges vorgenommen. Andererseits gehört es sich für einen baden-württembergischen Marktführer, der täglich 350 Tonnen Lebensmittel - davon 50 Prozent eben diese Maultaschen, 1,5 Millionen Stück am Tag - produziert, sich weitere Wachstumschancen zu eröffnen. Gerne auch mit Spätzle, Schupfnudeln, Suppeneinlagen wie Grießklößchen, Mini-Maultäschle oder Markklößchen.

Aus der kleinen Manufaktur, die Richard Bürger anno 1934 in Stuttgart-Feuerbach gründete, ist inzwischen ein großer Mittelständler mit 850 Beschäftigen und, wenn es nach Martin Bihlmaier geht, bald mehr als 200 Millionen Euro Umsatz geworden. 185 Millionen Euro Umsatz erzielte Bürger im vergangenen Jahr, schon mal ein Zuwachs um 4,6 Prozent. 200 Beschäftigte arbeiten in der Verwaltung und in der Produktion kleinerer Chargen am Stammsitz in Ditzingen, 650 Mitarbeiter zählt inzwischen die 1982 im hohenlohischen Crailsheim errichtete und inzwischen mehrfach erweiterte Produktionsstätte. In der laufen heute allein 41 Maultaschen-Varianten durch die zwei Stockwerke hohen Dampfgarer. Zuvor wurde in den von Bürger-Ingenieuren selbst entwickelten Maschinen der Nudelteig ausgebreitet, das Brät darauf verteilt, das Ganze mithilfe sogenannter Schikanen zusammengerollt und schließlich in die 50-Gramm schweren Teigtaschen geschnitten. Wenn es sein muss, in der vorösterlichen Fastenzeit oder in den kalten Wintermonaten, legen die Crailsheimer noch mal eine Schippe drauf: Im März 2016 etwa war der stärkste Produktionsmonat bei Bürger, da liefen 500 Tonnen, stolze zehn Millionen mehr Maultaschen vom Band als gewöhnlich.

Vegetarisch hin, vegan her - Bürger verbrät etwa 35 Tonnen Rind- und Schweinefleisch pro Woche. Womit wir schon beim Generationswechsel sind, der, Martin Bihlmaier zufolge, "wirklich gut und geschmeidig" vonstatten gegangen sei. Vater Richard, inzwischen 77, mische zwar immer noch regelmäßig mit im Betrieb, beschränke sich aber erstens nur noch auf die Immobilienverwaltung und zweitens auf den wöchentlichen Fleischeinkauf in den Schlachthöfen der Region. "Das sind einfach so angestammte Gewohnheiten und Kompetenzen meines Vaters, und ich finde es gut, dass er diese Aufgaben weiter übernimmt", sagt der studierte Betriebswirt Martin Bihlmaier. "Bei allen anderen Fragen der Unternehmensführung lässt mir mein Vater völlig freie Hand nach dem Motto: Das verstehst' eh besser." Das ist, meint Bihlmaier junior, in vielen Familienunternehmen eher die Ausnahme als die Regel, in denen die Altvorderen einfach nicht loslassen können und nicht selten auch die Nachfolger wieder entthronen.

Der junge - nun ja: Maultaschen-König - ist obendrein, und wie sollte es anders sein, Vorsitzender der "Schutzgemeinschaft schwäbische Maultasche", nach deren Vereinszweck sich nur Maultasche nennen darf, was in Baden-Württemberg und Bayerisch-Schwaben hergestellt wurde.

Die Maulbronner Kloster-Variante der Entstehungslegende hat Bihlmaier erst vor einem Jahr aufs Harmonischste mit ebenfalls einem Traditions-Familienunternehmer zusammengerührt. Mit der Alpirsbacher Klosterbrauerei aus dem Schwarzwald. Mit dem Inhaber und Geschäftsführer Carl Glauner begründete Bihlmaier vergangenen Herbst eine Art Joint Venture: "Die Schwarzwald-Brauer steuern ihr Klosterbier zum Anrühren der Maultaschen-Brätmasse bei, und heraus kommt die Variante 'Kloster-Maultasche'." Und die, so Bihlmaier, "läuft wirklich sehr gut".

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: