Britische Studie:Eliten unter sich

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Arbeiterkinder haben es schwer in England - aber auch in Deutschland. Oft zähle nicht die Leistung, sondern das richtige Auftreten. Und das lernt man zu Hause.

Von Björn Finke, London

Die Studie hat einen etwas sperrigen Namen, aber der Inhalt ist umso brisanter: "Eine qualitative Untersuchung von jenseits des Ausbildungssystems liegenden Barrieren für Elite-Jobs" ist der 112 Seiten starke Bericht überschrieben, den eine Regierungskommission am Montag vorstellte. Seine Kernaussage ist knackiger: In Großbritannien tun sich begabte Kinder aus einfachen Verhältnissen sehr schwer damit, nach dem Studium Stellen bei begehrten Arbeitgebern zu erhalten. Denn die Personalverantwortlichen nutzen bei ihren Entscheidungen Kriterien, die systematisch Bewerber aus reichen Elternhäusern bevorzugen. "Elitefirmen verlangen offenbar von Kandidaten, einen Poshness-Test zu bestehen", sagte Kommissions-Chef Alan Milburn - also eine Prüfung in vornehmen Verhalten.

Im Vereinigten Königreich sind Klassenfragen ein zuverlässiges Aufregerthema; zahlreiche Studien zeigen, dass der Nachwuchs der working class auf wichtigen Posten in Politik, Wirtschaft, Kunst und Medien krass unterrepräsentiert ist. Stattdessen dominieren Absolventen teurer Privatschulen, deren privilegierte Ausbildung ihnen einen Platz an Spitzen-Universitäten wie Oxford und Cambridge sichert. Und die danach schnell einen tollen Job finden, weil ihr zukünftiger Chef im Zweifel selbst auf einer der edlen Schulen war und sich gerne mit Absolventen dieser Kaderschmieden umgibt.

Für die neue Studie der parteienübergreifenden Kommission für soziale Mobilität und Kinderarmut sprachen Forscher mit Managern von 13 angesagten Anwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaften und Banken im Königreich über deren Personalpolitik. Insgesamt stehen diese Unternehmen für 45 000 der besten Jobs im Lande. Im vergangenen Jahr gingen bis zu 70 Prozent der freien Stellen an Bewerber, die auf einer der Elite-Schulen waren, obwohl diese nur von gut zehn Prozent der Jugendlichen besucht werden.

Es ist allerdings keine britische Besonderheit, dass die besten Jobs in erster Linie Kandidaten bekommen, deren Eltern bereits auf einflussreichen Posten saßen. In Deutschland hat sich Michael Hartmann lange mit diesem Thema beschäftigt. Der Wissenschaftler war bis Ende vorigen Jahres Soziologie-Professor an der Universität Darmstadt. Für sein Buch "Eliten und Macht in Europa" wertete er die Lebensläufe von Geschäftsführern und Vorstandschef der größten Unternehmen in verschiedenen Ländern aus. Sein Ergebnis: In wichtigen Wirtschaftsnationen wie Deutschland, Großbritannien, Frankreich oder den USA stammen die meisten Top-Manager aus reichen Familien. Die Elite bleibt vornehm unter sich, sie vererbt ihren privilegierten Status an die nächste Generation.

Nicht Leistung zählt, sondern das richtige Auftreten. Und das lernt man zu Hause

Das liegt daran, dass gute Noten an der Hochschule und Fleiß für die Karriere weniger wichtig seien als Souveränität und Umgangsformen, sagt der Soziologe: "Der richtige Habitus, das richtige Auftreten sind entscheidend." Und wie man sich locker und selbstbewusst unter Führungskräften bewegt, lerne man eben am besten im Elternhaus. Vergleichsweise einfach ist es in den skandinavischen Staaten, als Kind armer Leute an die Spitze aufzusteigen. In diesen Ländern werde Leistung wichtiger genommen, sagt Hartmann. Chefs schauten weniger stark auf den Habitus als etwa in Deutschland oder Großbritannien - daher sind sie eher geneigt, Kindern aus einfachen Verhältnissen eine rasante Karriere zu ermöglichen.

In Deutschland gibt es Hartmann zufolge eine Besonderheit: Hierzulande ist es nicht so wichtig, auf welcher Universität jemand war, wohingegen in Frankreich, Japan, den USA oder Großbritannien eine Handvoll Spitzen-Universitäten zukünftigen Eliten den letzten Schliff verleihen.

Und eben ein paar teure Privatschulen. Im Vereinigten Königreich ist Eton College eines der kostspieligsten und bekanntesten Internate. Das Investment der Eltern zahlt sich aber aus: Im vergangenen Jahr griff der konservative Minister Michael Gove seinen eigenen Premier David Cameron an, weil in dessen engstem Kreis "grotesk" viele Eton-Absolventen zu finden seien. Cameron selbst stammt auch von der englischen Schule. Gove sagte, eine derartige Konzentration von Ehemaligen einer einzigen Schule im Zentrum der Macht gebe es nirgendwo sonst in der entwickelten Welt.

Die Studie der Regierungskommission liefert nun Hinweise darauf, wieso Kinder aus einfachen Verhältnissen in Bewerbungsgesprächen oft scheitern. So würden Personalchefs zu viel Wert darauf legen, ob die Kandidaten auf der Welt gut herumgekommen seien, ob sie selbstbewusst aufträten, geschliffen formulieren könnten oder mit welchem Akzent sie sprächen.

Einige Unternehmen bemühten sich, mehr Vielfalt in ihre Teams zu bekommen, doch zahlreiche andere hinkten hier hinterher, heißt es. Dort bleiben Kinder reicher Eltern lieber unter sich.

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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