Brexit:Wie in der Finanzkrise

Ein Brexit ohne Handelsvertrag bedroht 18 000 Jobs in der deutschen Autoindustrie. Wenn sich die EU und die Briten nicht einigen, werden nach dem Brexit Zölle auf Geschäfte über den Ärmelkanal eingeführt - und die Preise kräftig steigern.

Von Björn Finke, London

Für die Unternehmer Ihrer Majestät ist es eine Schreckensvorstellung: Einigen sich die britische Regierung und die EU nicht auf einen Freihandelsvertrag, werden nach dem Brexit Zölle auf Geschäfte über den Ärmelkanal eingeführt. Das würde die Wirtschaft im Königreich massiv belasten, schließlich sind die anderen EU-Staaten der größte Exportmarkt. Zugleich würden solche Zölle aber auch wichtigen Branchen in den verbleibenden EU-Ländern kräftig schaden - und dort Zigtausende Arbeitsplätze bedrohen. Besonders betroffen wäre die deutsche Autoindustrie. Ihre Exporte nach Großbritannien könnten um fast ein Drittel sinken, und dies würde in der Bundesrepublik 18 000 Arbeitsplätze gefährden.

Die düstere Schätzung stammt aus einer Studie der Wirtschaftsprüfer von Deloitte, die an diesem Donnerstag präsentiert wird. Bei einem Austritt ohne Handelsvertrag unterlägen Exporte den Regeln der Welthandelsorganisation WTO, und die sehen Zölle von zehn Prozent auf Autos und 4,5 Prozent auf Zulieferteile vor. Deloitte hat berechnet, was diese Zölle für den britischen Automarkt und die Kosten der Produzenten im Königreich und im Ausland bedeuten. Zudem berücksichtigen die Fachleute in ihrem Modell, dass das Pfund seit dem EU-Referendum stark an Wert verloren hat. Das verteuert Einfuhren aus der Fremde. Insgesamt würden Abwertung und Zölle Fahrzeuge aus der EU auf dem britischen Markt um ein Fünftel teurer machen.

Der durchschnittliche Preis eines Autos aus deutschen Fabriken stiege dann in Großbritannien um 5600 auf 32 100 Euro. Viele Briten würden darum wohl auf den Autokauf verzichten oder zu einem billigeren, zollfreien Modell aus heimischer Produktion greifen, heißt es in der Studie.

Der britische Wirtschaftsminister wirbt bei BMW in München für das Oxforder Werk

Die Zahl der verkauften Neuwagen aus Deutschland sänke demzufolge um 255 000 im Jahr - oder um 31 Prozent -, die Zahl der Autos aus anderen verbleibenden EU-Staaten um 395 000. So ein herber Einbruch auf dem britischen Markt "entspricht der Situation während der Finanzkrise 2009", sagt Deloitte-Chefvolkswirt Alexander Börsch.

Für deutsche Autowerke ist Großbritannien der wichtigste Auslandsmarkt; jedes fünfte aus Deutschland exportierte Fahrzeug geht ins Königreich. Insgesamt hat die Autoindustrie in der Bundesrepublik 808 000 Beschäftigte. Deloitte schätzt, dass 60 000 Jobs an den Exporten nach Großbritannien hängen. Ein Einbruch dieser Geschäfte bedroht demnach 18 000 Arbeitsplätze.

Die Konzerne könnten die Einbußen bei den Verkaufszahlen mindern, indem sie die Kostensteigerungen durch Zölle nicht komplett an die Kunden weitergeben. Dann würden die Preise im Königreich weniger stark zulegen, doch dafür sänke die Gewinnmarge der Hersteller.

Großbritannien ist für deutsche Autofirmen aber nicht nur als Exportmarkt wichtig. Sie haben auch Milliarden in dem Land investiert. So gehört die britische Edelmarke Bentley dem Volkswagen-Konzern; BMW besitzt die Marken Rolls-Royce und Mini. Die Münchner müssen demnächst entscheiden, in welchem Werk sie die Elektro-Version des Mini bauen, die von 2019 an zu kaufen sein wird. Wegen der Unsicherheit über die künftigen Handelsbeziehungen ist das Stammwerk in Oxford nicht mehr automatisch gesetzt, vielleicht bekommt eine Fabrik in Deutschland oder den Niederlanden den Zuschlag. Der britische Wirtschaftsminister Greg Clark reiste extra zur BMW-Zentrale nach München, um für das Oxforder Werk zu werben. Ob die Charmeoffensive etwas gebracht hat, wird sich bald zeigen.

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