Brexit:Wenig konstruktiv

Brexit: Proteste gegen den Brexit vor dem britischen Parlament: Die Regierung will Nachteile für die Wirtschaft verhindern. Die umstrittenen Vorschläge für die Industrie liegen vor, vielen gehen sie nicht weit genug.

Proteste gegen den Brexit vor dem britischen Parlament: Die Regierung will Nachteile für die Wirtschaft verhindern. Die umstrittenen Vorschläge für die Industrie liegen vor, vielen gehen sie nicht weit genug.

(Foto: Tolga Akmen/AFP)

Fans des EU-Austritts stürzen die britische Regierung in eine Krise, weil sie Vorschläge zum Handel mit der Europäischen Union ablehnen. Zur wichtigsten Branche, den Banken, liegt noch gar kein Plan vor.

Von Björn Finke, London

Der Außenminister wählte in seinem Rücktrittsschreiben drastische Worte: Die Brexit-Pläne, auf die sich das britische Kabinett geeinigt hat, machten das Land zu einer "Kolonie", klagte Boris Johnson. Ihr neuer Brexit-Kurs beschert Premierministerin Theresa May also viel Ärger. Doch immerhin könnten die Vorschläge für die Handelsbeziehungen, die Johnson so erzürnen, einige Probleme lösen. Für die wichtige Finanzbranche hingegen gibt es noch keine Lösung. Ein Überblick.

Wieso sind Brexit-Fans sauer?

May schlägt der EU vor, dass sich Großbritannien auch nach dem Austritt und der vereinbarten Übergangsphase an Brüsseler Regeln für Industrie- und Agrargüter hält. Ändert die EU Vorgaben, etwa zum erlaubten Energieverbrauch von Staubsaugern, wird das britische Parlament ebenfalls die Gesetze anpassen. Die Abgeordneten können sich weigern, aber zur Strafe würden die Firmen die Vorteile des einfachen Zugangs zum EU-Markt verlieren. Britische Gerichte sollen die Rechtsprechung des EU-Gerichts beachten. Brexit-Enthusiasten klagen, das Land folge dann Regeln, auf die London als Nicht-Mitglied der EU keinen Einfluss hat - wie eine Kolonie.

Warum schlägt May so etwas vor?

Britische Industriebetriebe und Bauern profitieren von den Vorteilen des EU-Binnenmarktes. Produkte von der Insel können überall auf dem Festland verkauft werden, ohne vor Ort Genehmigungen einholen zu müssen; die britische Genehmigung reicht. Ein einfaches Freihandelsabkommen zwischen London und Brüssel würde nur verhindern, dass Zölle eingeführt werden. May möchte aber mit ihrem Plan darüber hinaus durchsetzen, dass britische Exporteure weiterhin in den Genuss der Segnungen des Binnenmarktes kommen - es sollen sich also keine bürokratischen Hürden auftun. Zugleich will die Regierung anders als normale Binnenmarkt-Mitglieder die Einwanderung aus der EU kontrollieren können. So etwas ist in Brüssel als Rosinenpickerei verpönt. Diese Gespräche werden schwierig.

Und was ist mit der Zollunion?

May und die EU möchten verhindern, dass in Zukunft Grenzbeamte die Ladung von Lastwagen im Hafen von Dover oder an der inneririschen Grenze kontrollieren müssen. Dass Produkte weiter EU-Standards befolgen, etwa zum Verbraucherschutz, ist eine wichtige Voraussetzung dafür. Aber dies alleine reicht nicht. Großbritannien müsste auch eine Zollunion mit der EU eingehen. Das bedeutet, dass das Königreich auf Importe von anderen Kontinenten, zum Beispiel aus China, die gleichen Zölle erhebt wie die EU. Brexit-Fans lehnen das ab, weil London dann keine Handelsverträge für Güter mit China oder den USA abschließen und Zölle senken kann. Mays Vorschlag: Das Königreich geht eine Zollunion ein, die später durch ein neuartiges und nirgendwo erprobtes Zollabkommen ersetzt wird. Dieses Abkommen soll London die Freiheit lassen, eigene Handelsverträge zu unterschreiben. Die EU hält das jedoch für unrealistisch, und Brexit-Enthusiasten argwöhnen, dass "später" niemals heißt.

Bleiben die Banken außen vor?

Die britische Regierung betont, dass der Vorschlag, sich weiter EU-Regeln zu unterwerfen, nicht für Dienstleistungsbranchen gilt. Der Servicesektor steht für 80 Prozent der Wirtschaftsleistung. London ist ein globales Finanzzentrum; 85 Prozent der Geschäfte dort haben nichts mit der EU zu tun. Bankenlobbyisten und das Kabinett lehnen die Vorstellung ab, dass Brüssel die Regeln für den Finanzplatz setzt, ohne dass die britische Regierung mitbestimmt.

Aber der Industrie wäre das egal?

Die Fabriken auf der Insel sind Teil von komplizierten Lieferketten, sie importieren viele Zulieferteile aus Europa und exportieren fertige Produkte dorthin. Verzögerungen durch Grenzkontrollen und bürokratische Hürden würden dieses Modell gefährden. Daher werben Industrieverbände und -manager aggressiv dafür, EU-Standards weiter zu befolgen. May hat diese Bitten mit ihrem Vorschlag erhört: Um Fabrikjobs zu retten und Grenzkontrollen in Irland zu verhindern, nimmt sie den heiligen Zorn der Brexit-Rechtgläubigen in Kauf.

Was fordert die Finanzbranche?

Dank des Binnenmarktes können Banken von London aus Kunden auf dem ganzen Kontinent betreuen. Fachleute sprechen davon, dass die Konzerne einen EU-Pass für ihre Produkte haben. Diese Privilegien fallen nach dem Brexit weg: Weil die Branche Fremdbestimmung durch Brüssel fürchtet, steht eine Mitgliedschaft im Binnenmarkt nicht zur Debatte. Stattdessen werben die Verbände und May für ein Modell namens mutual recognition, gegenseitige Anerkennung. Großbritannien und die EU legen ihre eigenen Regeln fest und erkennen dabei an, dass die Regeln des Partners nicht gleich, aber gleichwertig sind. Banken sollen dann weiter ungehindert Geschäfte treiben dürfen. Die EU hält allerdings nichts von diesem Modell.

Gibt es eine Alternative?

Die EU gewährt Finanzfirmen aus einigen Ländern, etwa der Schweiz oder den USA, für manche Dienstleistungen ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt, weil Brüssel die Regeln des Staates als gleichwertig ansieht. Das heißt Äquivalenzprinzip. Dieses Verfahren ist jedoch kompliziert und bietet wenig Planungssicherheit. Im Vergleich zu heute oder zum Modell der mutual recognition würden Geschäfte in der EU mühsamer. Um sich zu wappnen, würden Londons Banken noch mehr Stellen aufs Festland verlagern als ohnehin geplant. Schätzungen zufolge geht es bisher um gut 5000 Jobs - nicht viel mit Blick auf die 751 000 Angestellten der Branche in der Stadt. Am Donnerstag will May detaillierte Vorschläge für die Handelsbeziehungen präsentieren, auf Grundlage der Kabinettseinigung. Die Banker Ihrer Majestät sollten besser keine Wunderlösung erwarten.

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