Brexit und die Folgen:Fluchtpunkt Berlin

Berlin

Auf nach Berlin: Die deutsche Hauptstadt wirbt in London um Start-Ups, die bereit sind, umzuziehen.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Von schwarzen Stofftüten mit Regenschirmen und anderen Geschenken: Wie die deutsche Hauptstadt in London um umzugswillige Firmengründer wirbt.

Von Björn Finke, London

Eine Nebenstraße in Londons Ausgehviertel Soho, zwischen Chinatown und der Einkaufshölle Oxford Street: Ein junges asiatisches Paar, wohl Touristen, eilt über den Bürgersteig. Ein bärtiger Mann spricht sie an, drückt den verdutzten Passanten eine schwarze Stofftüte in die Hand. Darauf ist "Berlin" gedruckt, und drinnen finden sich neben einem in London stets nützlichen Regenschirm Postkarten mit dem Slogan "Berlin meets London". Berlin trifft London.

Der Geschenkeverteiler steht vor einem schmalen Schaufenster, in dem groß "Pop up Lab Berlin" zu lesen ist. Aus der Tür schallt laute Elektromusik. Im schlauchartigen Laden ist es voll, viele Männer, wenig Frauen. Nachdem die Musik verstummt ist, lauschen sie dem Vortrag einer Unternehmensgründerin. In der einen Ecke des Geschäfts ist eine große Drohne platziert, dahinter werkelt ein 3-D-Drucker vor sich hin - hier stellen andere junge Firmen ihre Produkte aus. An einer Theke werden die kunstvoll geformten Pralinen einer Berliner Zuckerbäckerin gereicht. Berlin Partner, die Wirtschaftsförderer der Hauptstadt, hatten eine Woche lang - bis Samstag - den leeren Laden in Soho für ihr "Pop up Lab" gemietet. Londoner und London-Touristen konnten hereinspazieren und etwas über Berlins Gründerszene, Berliner Essen und Musik erfahren. "Das ist Teil unserer Imagekampagne, mit der wir das vibrierende Leben der Stadt zeigen wollen", sagt Stefan Franzke, der Chef von Berlin Partner.

Zuletzt war dieses Berlin-Labor in Tel Aviv zu Gast, nun sollte es nach New York gehen. "Aber wegen des Brexit sind wir lieber erst mal nach London gezogen", sagt der Manager. Schließlich will sich Berlin als Fluchtort empfehlen für Firmengründer, die das EU-Referendum verschreckt hat. "Wir machen hier knallhart Standort-Werbung", sagt Franzke. Offenbar mit Erfolg: Ein Londoner Gründer, mit dem er noch am Montagabend gesprochen habe, sei schon am Mittwoch nach Berlin geflogen, berichtet der Wirtschaftsförderer.

Seit der Volksabstimmung im Juni habe es gut 40 konkrete Anfragen von Unternehmen gegeben, die erwägen, ganz oder teilweise an die Spree zu ziehen - immerhin.

London ist in Europa die unbestrittene Hauptstadt für Internetgründer. Gut 150 000 Menschen arbeiten bei Online-Unternehmen: bei jungen und bei etablierten wie Google und Facebook, die gerade erst verkündeten, Hunderte Stellen zu schaffen - trotz Brexit. Für Fintechs, also Technologiefirmen im Finanzbereich, ist die Stadt mit ihren 44 000 Beschäftigten der Branche sogar weltweit die Nummer eins.

Zum Vergleich: In Berlin, Deutschlands Start-up-Kapitale, haben junge Technologiefirmen Franzke zufolge insgesamt 18 000 Angestellte. Doch die Aussicht, dass das Königreich voraussichtlich 2019 die EU verlässt, beunruhigt viele Manager in London. Für Firmen, die schnell wachsen wollen, ist es wichtig, problemlos Geschäfte auf dem Festland tätigen zu können. Außerdem sind die Start-ups auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen, und die britische Regierung will Einwanderung erschweren. In der Szene wird zwar nicht mit einem Exodus der Gründer gerechnet, aber der eine oder andere Jungunternehmer könnte durchaus Good-bye sagen.

Die Firmen, die sich bei ihm wegen eines möglichen Umzugs melden, hätten oft 10 bis 40 Mitarbeiter und würden nun ihr weiteres Wachstum planen, sagt Berlin-Werber Franzke: neue Märkte, mehr Beschäftigte, frische Investoren. "Und da ist die Frage, ob London noch der richtige Standort ist." Vielleicht ändere der Brexit am Ende nicht viel an den Bedingungen für die Wirtschaft, doch das könne heute eben niemand wissen, sagt er.

Neben Berlin buhlen auch noch viele andere europäische Städte um Londons Unternehmer. Franzke sieht die deutsche Hauptstadt wenig überraschend ganz vorne. "In Paris kommen sie auf der Straße mit Englisch nicht so weit. In Berlin ist das anders", sagt der Firmenwerber. "Und nach Frankfurt will keiner hinziehen."

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