Brexit:OP gelungen, Patient tot?

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Eberhard Sasse, 66, ist promovierter Politikwissenschaftler und Gebäudereinigungsmeister. Auch seine Frau und beide Töchter arbeiten im Familienunternehmen.

(Foto: Florian Peljak)

Der Münchner Unternehmer Eberhard Sasse sorgt sich um seine 1100 Mitarbeiter in Großbritannien. Bei ihnen entwickelt sich ein tiefes Gefühl der Unsicherheit.

Von Marc Beise

Der Münchner Unternehmer Eberhard Sasse ist häufig in Großbritannien unterwegs. Er macht dort Geschäfte, und natürlich verfügt er über ein weit verbreitetes Netz von Bekannten. Darunter befindet sich auch Viscount Weir, mit dem er sich gelegentlich zum Meinungsaustausch trifft. Dann berichtet der Adlige dem Deutschen, was er so vom Brexit hält, dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Viel, kann man zusammenfassen. Brüssel habe vor allem Gleichmacherei gebracht und den Briten ihre Freiheit genommen. Neulich hat der Viscount seine Meinung in einem kleinen Brief formuliert, sorgfältig und handschriftlich. Darin steht, übersetzt: "Selbst wenn der Brexit bedeutet, dass wir für ein paar Jahre weniger Wachstum haben werden, dann scheint mir das kein zu hoher Preis zu sein dafür, dass wir unsere Volkssouveränität zurückgewinnen."

Die Dr. Sasse AG ist ein Familienunternehmen, als Facility Managementgesellschaft bewirtschaftet sie Gebäude, Infrastruktureinrichtungen sowie deren technischen Anlagen. 1976 in München gegründet, unterhält sie in sechs Ländern regionale Gesellschaften und beschäftigt 5800 Mitarbeiter. In Großbritannien gibt es zwei Betriebe mit aktuell 1100 Mitarbeitern. Zu den Kunden zählen die Universität Oxford, die Flughäfen Bristol und Edinburgh, das Unicredit-Gebäude in London. Jede Nacht werden in London und Südengland 1500 Busse betreut, darunter die berühmten Londoner roten Doppeldecker.

Sasse kann den Viscount verstehen: Auch er findet, die EU müsse sich auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren und dürfe sich nicht "als Vormund der Mitglieder aufspielen". Dennoch hält er den Brexit nicht für eine Chance, sondern für eine Gefahr. Diese Sichtweise teilt Sasse mit vielen deutschen Mittelständlern, die zunehmend besorgt sind um ihre Geschäfte.

Es geht um viel: Deutschland exportiert im Jahr Waren und Dienstleistungen für mehr als 90 Milliarden Euro nach Großbritannien. Zukünftige Handelsschranken und Zölle würden, keine Frage, das Geschäft erschweren. Besondere Gefahr droht dem Automotiv-Bereich zusammen mit seinen mittelständischen Produktions- und Dienstleistungszulieferern. Den Wertverlust der britischen Währung konnten die deutschen Produzenten noch durch Preiserhöhungen in England auffangen.

Weil ihre Produkte begehrt sind, konnten sie diese Preiserhöhungen am Markt durchsetzen. Das heißt: Der Brexit kommt bisher vor allem die Briten teuer zu stehen. Entwarnung also? Dienstleister Sasse mit seinem personalintensiven Geschäft rechnet anders. Ihn sorgt die Veränderung des Klimas auf der Insel.

Die englischen Sasse-Kunden schätzten "German Quality" und legten großen Wert auf eine deutsche Geschäftsführung, berichtet der Unternehmer. So werden die Tochterbetriebe von einem deutschen Geschäftsführer geleitet. Dessen Kinder gehen auf eine deutsche Schule, wachsen zweisprachig auf und sind mit englischer und deutscher Lebensweise vertraut. Die Familie hat englische Freunde und empfindet das Königreich als seine zweite Heimat. Seit dem Brexit Votum im Juni 2016 entwickelt sich aber bei Sasses Leuten ein tiefes Gefühl der Unsicherheit.

Zwar ist in den letzten Wochen sowohl von Premierministerin Theresa May als auch von Außenminister Boris Johnson von einem Bleiberecht gesprochen worden. In der deutschen Community herrscht aber Unklarheit über die Handhabung des zukünftigen Aufenthaltsrechtes durch die englische Verwaltung. Wie weit reicht der Planungshorizont, muss man sich in Zukunft jährlich in die Schlange der Antragsteller aus aller Welt für eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung einreihen? Die ersten Familien haben schon ihre Konsequenzen gezogen, 30 Prozent haben bereits ihre Kinder in der deutschen Schule abgemeldet, berichtet Sasse.

Deutlich größer ist die Unsicherheit noch unter den fast zwei Millionen Osteuropäern, darunter mehr als 750 000 Polen. Unternehmer Sasse weiß, wovon er redet: Etwa 25 Prozent seines britischen Personals kommt aus Osteuropa. Das Problem haben viele Branchen. So sind Verkehrsunternehmen, Pflegeeinrichtungen, die Baubranche, aber auch die Gastronomie und der Handel ohne den osteuropäischen Mitarbeiter nicht mehr funktionsfähig. Hier müssten dringend verlässliche Regelungen geschaffen werden. Fordert Sasse - und zitiert seinen Freund, den Viscount. Der hofft auf einen staatsmännischen Auftritt der EU-Führer. Die sollten jetzt nicht beleidigt reagieren, sondern den Brexit als Chance sehen zu konstruktiven Reformen in Europa. Oder in den Worten von Eberhard Sasse: "Operation gelungen, Patient tot, das kann nicht die Lösung sein. Dann zahlt auch Deutschland drauf."

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