Brexit:Mays Populismus wird dem ganzen Land schaden

The Square Mile - London's Financial District

Großbritanniens Premierministerin May will weniger gering qualifizierte EU-Ausländer ins Land lassen.

(Foto: Getty Images)

Die britische Regierungschefin will die Zahl der Migranten deutlich verringern. Das soll den "kleinen Leuten" helfen. In Wahrheit gefährdet es den Wohlstand.

Kommentar von Björn Finke, London

Die 82 Seiten führen zu einiger Aufregung im Wirtschaftslager. Und sie schüren die Ängste der Ausländer. Eine Vorlage aus dem britischen Innenministerium, die an Journalisten durchgestochen wurde, skizziert die Einwanderungspolitik der Regierung nach dem Brexit. Viele Details fehlen noch, aber die Stoßrichtung ist klar: Für gering qualifizierte EU-Ausländer soll es schwieriger werden, zum Arbeiten auf die Insel zu kommen. Unternehmen mögen doch lieber Einheimische anstellen - "Britain first", lautet das Motto. Bei hoch qualifizierten Europäern hingegen soll es erst einmal keine Einschränkungen geben.

Premierministerin Theresa May will die Zahl der Migranten kräftig verringern und begründet das mit ihrer Sorge um das Los der einfachen Briten, der kleinen Leute. Denen beschere die Zuwanderung Nachteile, sagt sie. Diese herzerwärmende Rhetorik geht allerdings an der Wirklichkeit vorbei: Die Einschnitte werden die Lage schlecht verdienender Briten nicht verbessern. Stattdessen wird diese Politik dem ganzen Land schaden.

Seit 2004 dürfen Bürger aus osteuropäischen EU-Staaten zum Arbeiten nach Großbritannien umsiedeln. Dies ermöglicht das von Brexit-Fans innig gehasste Prinzip der Arbeitnehmer-Freizügigkeit in der Union. Und Hunderttausende sind gekommen. Darunter Akademiker, aber eben auch viele Handwerker und gering Qualifizierte. Vorkämpfer für härtere Kontrollen argumentieren, der Zustrom aus dem Osten habe die Löhne für einfache Jobs gedrückt - zu Ungunsten jener Briten, die schlecht ausgebildet sind.

Tatsächlich zeigen volkswirtschaftliche Studien, dass Zuwanderung die Gehälter für simple Tätigkeiten belastet hat, doch ist der Effekt ausgesprochen klein. Viel folgenschwerer als dieser Effekt ist die Tatsache, dass die Regierung nach der Finanzkrise Sozialleistungen gekappt hat, um das Haushaltsdefizit zu senken. Wollen Politiker das Los der Geringverdiener verbessern, sollten sie lieber Kürzungen im Sozialen rückgängig machen, anstatt über EU-Ausländer zu lamentieren.

Ein zweites populäres Argument der Einwanderungsgegner ist, dass die Neuankömmlinge vom Festland mit Briten um staatliche Dienstleistungen und um Wohnungen konkurrieren. Beim Gesundheitsdienst NHS müssen Patienten lange auf Termine warten; in Großstädten kämpfen Eltern um Plätze an guten Schulen. In London ein bezahlbares Apartment zu finden, fällt vielen schwer. Gäbe es weniger Migranten, gäbe es weniger Bewerber und damit weniger Probleme, so die scheinbar bestechende Logik.

Aber in Wirklichkeit würden sich die Probleme verschärfen. Der NHS ist angewiesen auf Schwestern und Pfleger aus der Fremde, viele Stellen sind offen. Die Brexit-Unsicherheit und der Wertverlust des Pfunds führen bereits dazu, dass dramatisch weniger Krankenschwestern aus dem EU-Ausland ankommen. Bauunternehmer beschäftigen ebenfalls zahlreiche Einwanderer. Ohne diese Arbeiter werden die Firmen kaum die dringend benötigten Wohnungen errichten können.

Sinkt die Zahl gering qualifizierter Migranten aus der EU, bleiben auch in Hotels und Cafés, Bauernhöfen und Schlachtbetrieben etliche Jobs unbesetzt. Vertreter dieser Branchen kritisieren die Vorschläge des Innenministeriums scharf. Die Regierung kontert, die Unternehmen sollten sich stärker anstrengen, Einheimische für diese Stellen zu finden. Wenn notwendig, müssten die Firmen diese Briten anlernen oder ausbilden, anstatt nur bequem auf Ausländer zurückzugreifen.

Die Kampagne ruiniert den Ruf Großbritanniens - auch bei Fachkräften

Allerdings ist es nicht gerade so, dass Heerscharen arbeitsloser Briten vor den Werkstoren Schlange stünden. Die Arbeitslosenquote beträgt 4,4 Prozent, der niedrigste Wert seit vier Jahrzehnten. Ziehen weniger EU-Ausländer auf die Insel, werden Unternehmen noch mehr Mühe haben, Stellen zu besetzen. Die Wirtschaft wird leiden, und das wird sich auf die Steuereinnahmen auswirken. Muss der Schatzkanzler härter sparen, etwa im Sozialen, werden das besonders die Ärmeren spüren - also gerade jene Menschen, denen Premierministerin May mit ihrer rabiaten Politik helfen will.

Ein weiteres Problem: Die Einschnitte zielen auf gering Qualifizierte ab, doch die leicht hysterische Debatte ramponiert zugleich den guten Ruf des Staates unter top ausgebildeten Ausländern. Bisher gilt Großbritannien als weltoffen, liberal und kosmopolitisch. Schon der Brexit fügt diesem Image Kratzer zu. Sollte Mays harsche Politik neben schlecht qualifizierten Ausländern auch rare, heiß begehrte Spitzenkräfte abschrecken, wäre der Schaden für die Wirtschaft immens. Einwanderung bringt Wohlstand, und Populismus kostet Wohlstand.

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