Brexit:Diese Branchen bedroht der Brexit

Bayerische Motoren Werke AG Unveil Their Latest Mini Automobile

Produktion des Mini im britischen Oxford.

(Foto: Simon Dawson/Bloomberg)
  • Bis Ende des Monats will Großbritannien den Austritt aus der EU beantragen - dieser wird auch wirtschaftliche Folgen haben.
  • Wie schwerwiegend die Konsequenzen sind, hängt stark von der Branche ab. Laut einer Studie sind vor allem Autohersteller und Logistikfirmen betroffen.

Von Björn Finke, London

Die roten Doppeldecker-Busse gehören zu London wie die Tower Bridge, der Buckingham Palace oder das wechselhafte Wetter. Aber viele von ihnen - jeder sechste, um genau zu sein - werden von einem ganz und gar unbritischen Unternehmen betrieben: der Deutschen Bahn. Der Staatskonzern kaufte 2010 den britischen Rivalen Arriva. Nun ist Arriva eine Tochtergesellschaft mit Sitz in Sunderland, im Norden Englands. Sie schickt Busse durch Städte und Züge übers Land. Die Deutsche Bahn ist dank Arriva einer der größten deutschen Arbeitgeber im Königreich, 33 000 Untertanen Ihrer Majestät sind für den Konzern dort tätig.

Insgesamt beschäftigen Firmen aus der Bundesrepublik eine halbe Million Menschen in Großbritannien, sie haben 2500 Niederlassungen gegründet, rechnet German Industry UK vor, der Verband deutscher Unternehmen auf der Insel. Außerdem ist das Königreich der drittgrößte Absatzmarkt für deutsche Exporte. Die Wirtschaft beider Länder ist also eng verflochten, doch der Brexit wird Geschäfte über den Ärmelkanal schwieriger machen. Premierministerin Theresa May unterrichtet Brüssel bis Ende des Monats über den Austrittswunsch, zwei Jahre später sind die Briten dann raus aus der EU - misslich für die Deutschland AG.

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SZ-Grafik; Quelle: Deloitte (auf Grundlage der Geschäftszahlen 2015)

Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Branchen in der Bundesrepublik: Für manche, etwa die Elektronikindustrie, sind Geschäfte in Großbritannien nicht so wichtig. Dafür leiden andere Sparten umso stärker unter dem Brexit. Zum Beispiel die deutsche Autoindustrie oder Verkehrs- und Logistikfirmen. Das zeigt eine Analyse der Wirtschaftsprüfer von Deloitte, die am Dienstag vorgestellt wird und der SZ vorliegt.

28 der 30 Dax-Konzerne haben Tochterfirmen im Vereinigten Königreich

Demnach setzten die britischen Tochtergesellschaften deutscher Autokonzerne zuletzt 40 Milliarden Euro im Jahr um . In keiner anderen deutschen Branche betreiben Unternehmen derart umsatzstarke Niederlassungen im Königreich. "Ein Ausscheiden der Briten aus der EU würde die deutsche Automobilbranche besonders stark treffen", sagt Thomas Schiller, Partner und Autofachmann bei Deloitte. Die Umsätze der Fabriken und Vertriebsgesellschaften in Großbritannien stehen für 5,6 Prozent des Gesamtumsatzes deutscher Autohersteller. In den Branchen Energie, Verkehr oder Bau stammt sogar ein zweistelliger Prozentanteil der Umsätze aus dem Königreich; die Bedeutung der britischen Tochterfirmen ist für diese Konzerne also sehr hoch.

In Summe setzen die britischen Standorte deutscher Unternehmen mehr als 150 Milliarden Euro um, heißt es in der Studie. Fast zwei Drittel davon entfällt auf Dax-Konzerne: 28 der 30 Mitglieder dieses Börsenindex unterhalten Niederlassungen im Königreich. Die Branche mit den meisten Beschäftigten bei britischen Tochterfirmen ist die Verkehrssparte. Hierzu zählt auch die Deutsche Bahn. Dahinter kommen Banken und Versicherer. Kein Wunder, schließlich ist London der wichtigste Finanzplatz des Kontinents. Für die Analyse untersuchte Deloitte die Geschäftszahlen von 1000 deutschen Unternehmen mit Tochtergesellschaften in Großbritannien. Die Ergebnisse für die Firmen rechneten die Berater auf die gesamte Branche hoch.

In der besonders betroffenen deutschen Autoindustrie zeigt der Brexit bereits Folgen. BMW erwägt, die künftige Elektrovariante des Mini nicht in Oxford bauen zu lassen, im englischen Stammwerk der Marke, sondern in Deutschland oder den Niederlanden. Solche Überlegungen überraschen nicht, denn der Austritt der Briten könnte Produktion und Exporte erschweren. Premierministerin May möchte nur ein Freihandelsabkommen mit Brüssel abschließen.

Die britischen Autofabriken beziehen 59 Prozent ihrer Teile aus dem Ausland

Einigen sich London und die EU auf so einen Vertrag, werden 2019 zumindest keine Zölle eingeführt. Scheitern die Gespräche jedoch, unterliegen Exporte den Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Und die sehen zum Beispiel Zölle von zehn Prozent für Autos vor. Das wäre bitter für die britischen Autofabriken, etwa das Mini-Werk. Es wäre aber auch schlecht für deutsche Hersteller ohne Fabrik im Königreich. Schließlich würde der Zoll ihre Verkäufe nach Großbritannien verteuern.

Ein weiteres Problem: Weil Großbritannien nach dem Brexit nicht in der Zollunion bleiben will, müssten Grenzer wieder Lastwagen kontrollieren. Das gilt selbst dann, wenn keine Zölle auf britische Produkte anfallen. Die Autofabriken im Königreich beziehen 59 Prozent ihrer Zulieferteile aus dem Ausland. Bisher halten die Werke nur Teile für wenige Produktionsstunden auf Lager. Das funktioniert nicht mehr, wenn Zollkontrollen den steten Nachschub verzögern könnten. Die Manager müssen Lager vergrößern und sich mit Zollpapieren herumschlagen. Der Brexit ist also ein Ärgernis für die Firmen. In manchen Branchen mehr, in anderen weniger.

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