Brexit:Die Zeit wird knapp für London

Die Finanzplatz-Lobby warnt vor dem Scheitern der Gespräche Mitte Dezember. Banken und Versicherungen fordern, dass nach dem EU-Austritt im März 2019 eine mehrjährige Übergangsphase starten soll.

Von Björn Finke, London

Bei der Europäischen Bankenaufsicht ging Frankfurt leer aus. Die EU-Mitglieder entschieden vergangene Woche, dass die Behörde mit ihren 167 Angestellten wegen des Brexit von London nach Paris umzieht und nicht an den Main. Doch dafür schafft eine weitere US-Großbank Stellen in Frankfurt, um sich so auf den Austritt der Briten vorzubereiten. JP Morgan habe zusätzliche Flächen im Büro-Hochhaus Taunusturm gemietet, auf denen 200 Mitarbeiter unterkommen könnten, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen Insider.

Es sind nur noch 16 Monate, bis Großbritannien die EU verlässt. Bisher können Finanzkonzerne von London aus Kunden auf dem ganzen Kontinent bedienen. Ist das nach dem Brexit nicht mehr problemlos möglich, müssen die Unternehmen Abteilungen von der Themse in EU-Staaten verlagern. So ein Umzug und das Beantragen einer Lizenz in einem anderen Land dauern, weswegen viele Konzerne schon mit den Vorbereitungen beginnen. Die Kommunalverwaltung von Europas wichtigstem Finanzplatz, die City of London Corporation, geht fest davon aus, dass der Brexit Jobs in der Stadt kosten wird. "Das ist unvermeidlich", sagt Jeremy Browne, der EU-Cheflobbyist der Behörde. "Allerdings wird die Zahl der bedrohten Stellen oft überschätzt." 85 Prozent der Geschäfte am Finanzplatz hätten nichts mit Europa zu tun und seien daher nicht betroffen.

"Deutschland muss einmal die ausgetretenen Pfade verlassen."

Insgesamt beschäftigen die Finanzbranche und von ihr abhängige Dienstleister, etwa Wirtschaftsprüfer, 751 000 Angestellte in London. Das sind mehr Menschen, als Frankfurt Einwohner hat. Im schlimmsten Fall könnte der Brexit jeden zehnten Job gefährden, sagt der Lobbyist, der bis 2015 für die Liberaldemokraten im Parlament saß. "Aber vielleicht wären einige dieser Stellen ohnehin irgendwann weggefallen", sagt der 47-Jährige. Der Finanzplatz London habe eine "darwinistische Fähigkeit zur Anpassung", er werde sich "in etwas Neues verwandeln". Die Bedingungen des Brexit seien ein wichtiger Faktor für die Zukunft der City, jedoch nicht der einzige. Der Aufstieg Asiens oder von Finanztechnologie-Firmen seien ebenfalls bedeutend.

Die Banken und Versicherer in London setzen große Hoffnungen auf den Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am 14. und 15. Dezember. Dort werden die Politiker entscheiden, ob die EU Gespräche mit Großbritannien über einen Handelsvertrag und Übergangsregelungen beginnt. Die Konzerne fordern, dass nach dem Brexit im März 2019 eine mehrjährige Übergangsphase starten soll, während der sich für Geschäfte über den Ärmelkanal nichts ändert. Dann hätten die Unternehmen mehr Zeit, sich anzupassen. Einigen sich London und Brüssel aber nicht bis Ostern auf die Grundzüge so eines Übergangszeitraums, werden die Geldhäuser vom Schlimmsten ausgehen und anfangen, Abteilungen von der Themse zu verlagern.

City-Vertreter Browne sagt, für manche EU-Regierungen könne es verlockend sein, so eine Übergangslösung herauszuzögern und damit mehr Jobs von London in ihre Länder zu locken. "Das ist allerdings eine Wette mit hohem Einsatz", sagt er. Wird die britische Regierung beim Gipfel im Dezember brüskiert, könnte sich "der politische Konsens" in Großbritannien weg von Verhandlungen mit Brüssel und hin zu einem harten Brexit ohne Handelsvertrag bewegen, fürchtet er. Die Finanzplatz-Lobby hofft, dass ein Handelsabkommen Londons Banken ermöglichen wird, auch nach Brexit und Übergangsphase ohne große Probleme Kunden auf dem Kontinent zu betreuen. Die existierenden Arrangements der EU mit anderen Staaten - etwa mit Norwegen, der Schweiz oder Kanada - könnten nicht als Blaupause dienen, sagt Browne, "ein neues Modell" sei nötig.

Als EU-Cheflobbyist der City besucht Browne oft die verschiedenen Mitgliedsstaaten. Mit Blick auf Deutschland sagt er, die Idee, ein ganz neues Modell für einen Handelsvertrag zu entwickeln, stelle für die deutsche Regierung eine besondere Herausforderung dar. "In Deutschland gibt es die Tendenz, lieber an bestehenden Regeln festzuhalten, anstatt diese anzupassen, so dass sie geänderte Umstände widerspiegeln", sagt er. "Deutschland muss vielleicht einmal die ausgetretenen Pfade verlassen."

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