Brexit:"Die Lage ist brandgefährlich"

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Immer mehr britische Firmen bereiten sich auf einen ungeordneten Brexit vor - auch mit Umzügen ins Ausland.

Weil die britische Politik noch immer kein grünes Licht für die zweite Phase der Austrittsgespräche aus der EU hat, macht sich in der Wirtschaft Frust breit. Immer mehr britische Firmen stellen sich auf einen ungeordneten Brexit ein. Die Kritik an Premierministerin Theresa May wird lauter, auch wenn sich kaum jemand öffentlich zum Thema äußern möchte. Hinter vorgehaltener Hand heißt es jedoch, Mays Bemühungen um eine Übergangsphase nach dem für März 2019 angepeilten EU-Austritt kämen einfach zu spät. Daher müssten die Unternehmen nun umplanen und sich neu ordnen - womöglich mit weniger Mitarbeitern auf der Insel.

Auch im Industriesektor schrillen die Alarmglocken, da es angesichts niedriger Gewinnmargen riskant ist, größere Umstrukturierungen anzugehen. "Keine Firma will Jobs oder Produktion verlagern. Doch die Wirtschaft wird es tun, wenn sie es muss", sagt der Präsident der Industrielobby CBI, Paul Drechsler. Es müsse nun schleunigst Klarheit über eine Übergangsphase geschaffen werden: "Das brennt uns wirklich auf den Nägeln." Der japanische Autobauer Honda, der rund acht Prozent der britischen Autoproduktion in seinem Werk in Swindon fertigt, geht auf Nummer sicher: Er erwägt, seine Lagerkapazitäten auf der Insel auszuweiten, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.

Aus einer großen internationalen Bank berichtet ein Insider, in einer Telefonschalte habe sich die Führungsebene auf das schlimmste Szenario vorbereitet. Es sei keine Frage mehr, dass es zu Verlagerungen von Geschäftsteilen auf dem europäischen Kontinent kommen werde: "Die Frage ist nur noch, wie stark sie ausfallen werden." Die davon betroffenen leitenden Angestellten seien bereits informiert worden, dass sie umziehen müssten.

Ein Vertreter einer US-Bank sieht das Risiko, dass die britische Regierung mitten in den Brexit-Verhandlungen angesichts des Streits über die grüne Grenze zwischen Irland und Nordirland auseinanderbrechen könnte: "Die Lage ist brandgefährlich", betont der Banker, der anonym bleiben will. Die EU fordert vor einer Zustimmung über den Eintritt in die zweite Phase Zugeständnisse in mehreren zentralen Bereichen. Umstritten ist hier vor allem, dass die EU und Irland keine harte Grenze zu Nordirland nach dem Brexit hinnehmen wollen. Die nordirische Partei DUP, die Mays Minderheitsregierung stützt, will wiederum nicht akzeptieren, dass in dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland weiter die Regeln des EU-Binnenmarkts gelten.

Den britischen Einzelhandel treibt die Sorge um, dass bei einem ungeordneten Brexit auch in den Handelsbeziehungen zu anderen Staaten der EU die Zollschranken hochgehen könnten. Entsprechend halten Supermarktketten wie Tesco und Sainsbury Branchenkreisen zufolge vorsorglich Ausschau nach Lieferanten im eigenen Land oder außerhalb der EU.

Eine Mammutaufgabe: Schließlich stammen rund 30 Prozent der britischen Nahrungsmittel aus der restlichen EU. Auf das Nachbarland Irland entfallen dabei sogar rund 70 Prozent der Rindfleischimporte.

© SZ vom 08.12.2017 / Reuters - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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