Brexit:Der Brexit macht die Frankfurter nervös

Frankfurt am Main

Die Hochhäuser sind Frankfurts Markenzeichen.

(Foto: dpa)
  • Dass der Brexit auch für Frankfurt Folgen haben wird, ist so gut wie sicher. Viele Banker könnten von London an den Main kommen.
  • In der Stadt gibt es Befürchtungen, dass sich das soziale Gefüge dadurch deutlich verändert.
  • Immobilienpreise könnten deutlich steigen. Und auch was die Kita-Plätze anbelangt, könnte der Brexit gravierende Auswirkungen haben.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Daniel Cohn-Bendit, 72, ist überpünktlich. Fünf Minuten früher als vereinbart kommt er mit langsamen Schritten die Treppe hoch. Er hat das Café Baguette Jeanette im Frankfurter Stadtteil Bornheim als Treffpunkt vorgeschlagen. Das Viertel hat es ihm angetan. Die Bankentürme sind in Sichtweite, doch vor der Tür des Cafés wirkt es dörflich. In der Berger Straße, beim Uhrtürmchen, ist Wochenmarkt. Die Menschen kaufen Gemüse und Käse.

Cohn-Bendit, graue Haare, runde Brille, legt zwei Smartphones auf den Tisch, eines mit französischer Telefonnummer und eins mit deutscher. Wenn dort Eilmeldungen eingehen, schaut er drauf. Er bestellt, mit leichtem französischen Akzent, Apfeltörtchen und Kaffee. In Paris war er im Mai 1968 prominenter Sprecher der Studentenrevolte. Frankreich wies den Revoluzzer deshalb aus. Der spätere EU-Parlamentarier zog nach Frankfurt, war in den Siebzigerjahren linker politischer Aktivist, trat den Grünen bei und arbeitete von 1989 an als Dezernent des Amts für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt.

Er kennt die Stadt seit 50 Jahren. "Dass es hier 30 Prozent Migranten gibt und 80 Prozent aller Bürger sich wohlfühlen, das ist ein Faszinosum und macht Frankfurt für mich attraktiv", sagt er. Frankfurt habe eine interessante Mischung von Menschen beibehalten. Doch nun drohe eine Verschiebung des Gleichgewichts. Mit dem EU-Austritt Großbritanniens werden Tausende Banker in die Mainmetropole kommen. "Die Innenstadt wird dann für die meisten Menschen unbezahlbar, weil die Preise steigen. Dann ist Frankfurt in sozialer Hinsicht nicht mehr multikulti, der Brexit könnte das Faszinosum der Stadt wegspülen."

Frankfurt ist in Aufruhr. Wie viele Banker werden von der Themse an den Main umziehen? Was bedeutet das für den Kampf um Wohnungen, Schulplätze, Parkplätze? Mutiert die Stadt nun erst recht zu einer Stadt des Geldes? Oder ist es nicht vielmehr eine große Chance, wie es Hubertus Väth stellvertretend für die Business-Elite sagt. Seine Standortinitiative Frankfurt Main Finance rechnet mit 10 000 zusätzlichen Bankern über die nächsten fünf Jahre; die Frankfurt School of Finance kalkuliert gar mit 20 000 Jobs. Stellt das die Stadt nicht vor eine Zerreißprobe?

Ein bisschen hat der Brexit nachgeholfen

Der Verband der Auslandsbanken erwartet, dass die Banken spätestens im dritten Quartal dieses Jahres damit anfangen werden, Stellen aus London zu verlagern oder auf dem Kontinent neu zu besetzen. Ein paar sind schon gekommen.

Susanne Schröter sitzt entspannt in einem Sessel in der Lobby des Frankfurter Sofitel und rührt in ihrem Cappuccino. Das Luxushotel am Opernplatz in der Frankfurter Innenstadt wurde erst Ende 2016 eröffnet und ist noch nicht so überlaufen wie andere Häuser in der Umgebung. Vor nicht allzu langer Zeit stand hier, an erster Adresse, wo die Banker nebenan in den teureren Restaurants zu Mittag essen, noch das graue Umspannwerk eines örtlichen Energieversorgers. Es gibt wohl kaum eine Ecke in Frankfurt, die sich in jüngster Zeit mehr gemacht hat.

Daniel Cohn-Bendit

Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit warnt, die Stadt könnte aus dem Gleichgewicht geraten, wenn es sich viele nicht mehr leisten können, hier zu wohnen.

(Foto: Alina Emrich/Agentur FOCUS)

Hinter dem Hotel ragen die Doppeltürme der Deutschen Bank in den Himmel. Dort arbeitet die 38-jährige Bankerin seit ein paar Wochen. Gerade läuft der Umzug ihrer Familie, des Ehemanns mit zwei kleinen Kindern, von London nach Frankfurt. Der Brexit war nicht direkt der Auslöser für den Umzug, aber ein wenig nachgeholfen hat er schon. Die Bank hat ihre Abteilung ohnehin teils nach Frankfurt verlagert, um deutschen Kunden näher zu sein. Susanne Schröter ist Investmentbankerin, berät Unternehmen, wenn sie sich über Anleihen finanzieren wollen. "Der Brexit war ein ganz großer Schock", sagt sie. "Da fühlt man sich mit einem Mal nicht mehr so willkommen." Ihr Mann ist Brite. Die Familie lebt seit 2013 in London, vorher mehrere Jahre in Hongkong.

Und jetzt das im Vergleich kleine Frankfurt? 730 000 Einwohner, Daniel Cohn-Bendit spricht von der "Provinzmetropole".

Aufbruchsstimmung - zumindest bei der Bankerin

Susanne Schröter findet, eine kleine Stadt wie Frankfurt habe viele Vorteile, provinziell sei es hier nicht. Frankfurt sei offener als München oder Hamburg. Sie selbst stammt aus der Nähe von Fulda. "Ich spüre hier überall eine große Aufbruchstimmung", sagt sie. Die Stadt sei heute noch internationaler als vor zehn Jahren. Natürlich habe London mehr zu bieten, aber man nehme das dann ja doch nicht wahr, gerade mit Kindern. In London habe sie sich jeden Morgen 50 bis 60 Minuten "in die Tube gequetscht", um in die Bank zu kommen. Künftig wird sie wohl mit dem Rad zur Arbeit fahren. Die Familie hat eine Wohnung im früher linksalternativen und heute schick-familiären Stadtteil Nordend gefunden. Von dort aus sind es maximal 15 Minuten zur Zentrale der Deutschen Bank.

Aber auch Schröter weiß, was ihr Chef John Cryan meint, wenn er die schlechte Infrastruktur kritisiert. Eine Wohnung zu finden, sei noch vergleichsweise einfach gewesen. Kindergartenplätze für den Nachwuchs indes, die würde Schröter in Frankfurt heute noch suchen, wäre nicht plötzlich in einer Kita der Deutschen Bank etwas frei geworden.

Brexit: Susanne Schröter, Investmentbankerin bei der Deutschen Bank, ist von London nach Frankfurt gezogen. Sie spürt eine „große Aufbruchstimmung“.

Susanne Schröter, Investmentbankerin bei der Deutschen Bank, ist von London nach Frankfurt gezogen. Sie spürt eine „große Aufbruchstimmung“.

(Foto: Deutsche Bank)

Tatsächlich ist das ein großes Problem in der Stadt. Allein die Deutsche Bank, die mehrere Hundert Mitarbeiter aus England abziehen will, hat sich für das nächste Schuljahr einige Hundert Plätze an internationalen und deutschen Schulen und Kindergärten in der Rhein-Main-Region gesichert. Auch die US-Investmentbank Goldman Sachs soll sich nach Angaben von Finanzkreisen 80 der begehrten Schulplätze rund um Frankfurt gesichert haben.

Deutsche-Bank-Chef John Cryan hat die Stadt zwar neulich zum Brexit-Gewinner ausgerufen: "Für mich ist das Rennen eigentlich schon gelaufen, ehe es angefangen hat." Er forderte aber auch eine Verbesserung dessen, was man nüchtern Infrastruktur nennt. Es brauche "attraktive Wohnviertel, mehr Theater, Restaurants und vor allem mehr internationale Schulen". Dann könne der Brexit zu einem riesigen Konjunkturprogramm für Frankfurt werden, so der 57-jährige Brite.

Von "Zankfurt" zum Metropolgefühl

Derweil jagt in angelsächsischen Zeitungen bereits ein wohlwollendes Frankfurt-Porträt das nächste. Nach der Sunday Times und dem Guardian pries unlängst selbst die Financial Times, das Zentralorgan der Londoner City, die Vorzüge der Main-Metropole: "An warmen Abenden radelt man nach der Arbeit an den Main oder zu einem der Schwimmbäder in den Vorstädten." Vor allem die Sache mit den kurzen Wegen scheint sich immer mehr zum Markenzeichen zu entwickeln. Die Stadt hat einen Lauf. Da fiel kaum ins Gewicht, dass man gerade das Rennen um die Ansiedelung der europäischen Bankenaufsicht Eba gegen Paris verloren hat.

Cohn-Bendit hat früher hier demonstriert, gegen den Kapitalismus und die Banken, die es damals schon in der Stadt gab. "Bankfurt", "Zankfurt", "Schweinfurt" - die Linken liebten die Verballhornung des Namens. Und jetzt? "Es gab Revolten, das war auch richtig, wenn auch mit viel Falschem. Wir haben heute den Kapitalismus mit viel Falschem, aber auch einigem Richtigen", sagt Cohn-Bendit, der die meisten Wolkenkratzer der Stadt mag. "Das gibt ein Metropolengefühl".

Es klingt verrückt, aber womöglich ist Frankfurt inzwischen derart offen und liberal, dass nicht nur Menschen aller Nationen, sondern eben auch Banker willkommen geheißen werden. Doch der Burgfriede kann schnell wieder zu Ende sein, dann nämlich, wenn die City ein Zentrum für Reiche wird. Um das zu verhindern, fordert Cohn-Bendit: Die Banken und Unternehmen müssten verpflichtet werden, mehr zu zahlen als ihre Steuern. "Sie sollten das Leben in der Stadt zusätzlich mittragen, sich an Fonds zum sozialen Wohnungsbau beteiligen, ähnlich dem Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel", sagt Cohn-Bendit. Man müsse da innovativ denken. "Eine Stadt verliert ihren Charakter, wenn sie sozial eindimensional wird."

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