Brasilien:Die schwimmen im Geld

Daily Life in Rio One Month before the Olympic Games

Der Traum vom großen Glück: In der Guanabara-Bucht von Rio wird seit einigen Tagen Geld angespült.

(Foto: Buda Mendes/Getty Images)

Das Meer bei Rio spült gerade ein Vermögen an - blaue Hunderter und braune Fünfziger in Massen. Bei den Bewohnern ist nun das Schatzsuchfieber ausgebrochen.

Von Boris Herrmann

Die ersten Scheine tauchten vergangenen Sonntag auf. Das Meer war ziemlich wild an diesem Tag. In der Guanabara-Bucht von Rio, berühmt für ihr Postkartenpanorama und ihr süßlich riechendes Brackwasser, spült es an solchen Tagen immer allerlei Unrat an: Plastiktüten, alte Schuhe, Sondermüll, in seltenen Fällen auch Leichenteile. Diesmal entdeckten die Fischer an der Kaimauer im Stadtteil Urca aber blaue Hunderter und braune Fünfziger in den Wellen, die größten Banknoten, die es in Brasilien gibt. Einige sprangen direkt ins Wasser. Der Ausflugskapitän Roberto Pereira, 42, holte Neoprenanzug und Sauerstoffflasche und machte den Tauchgang seines Lebens. Er sagt: "Es war wie im Märchen, da unten schwebte das Geld im Wellengang." Jedes Mal, wenn das Meer gegen die Steine schlug, tauchte wieder mehr auf. Pereira sammelte ein, was er erwischen konnte. Mehrere Päckchen zu 100-Reais-Noten waren dabei, verschnürt mit einem Gummiband, ansonsten viele einzelne Fünfziger. Am Ende des Tages zählte er 45 000 Reais, gut 12 000 Euro. Knapp die Hälfte haben sie am nächsten Tag in seiner Bank angenommen und in Trockengeld umgetauscht, der Rest war zu nass und zerfleddert. "Immer noch eine gute Ausbeute", sagt Pereira, "dafür arbeite ich sonst drei Monate lang."

Jetzt ist in Rio natürlich das Schatzsucherfieber ausgebrochen. Seit Tagen tauchen und schnorcheln vor dem kleinen Hafenbecken in Urca Fischer, Kapitäne und Anwohner in der bräunlichen Brühe herum - auf der Suche nach dem großen Glück.

Es ist ein alter Menschheitstraum, einen Schatz im Meer zu finden. Meistens geht es um Münzen und Edelsteine, diesmal um Papier. "Irgendwo da unten muss noch ein geplatzter Geldkoffer sein", sagt ein Junge aus einer nahe liegenden Favela, der wie viele andere mit einer Taucherbrille bäuchlings auf einem Surfbrett liegt und immer wieder den Kopf ins Wasser steckt. Ein Fischer sagt: "Hier gibt es kaum noch Fische, die man auf dem Markt verkaufen kann. Jetzt fischen wir nach Geld, das spart einen Arbeitsschritt." In einem Land, in dem praktisch wöchentlich ein Politiker verhaftet wird, weil er Bestechungsgeld angenommen hat, kursieren nun allerlei Theorien darüber, wer da Beweismaterial im Meer versenkt haben könnte. Gerade wurden in Rio wieder zwei Ex-Gouverneure überführt, die Millionen kassiert haben sollen. Viele Cariocas fühlen sich außerdem an das Jahr 1987 erinnert, an den "Sommer der Marihuana-Büchsen". Damals wurden an den Stränden massenweise Blechdosen mit hochwertigstem Gras angespült. Später kam heraus, dass die Ladung von verfolgten Drogendealern über Bord geworfen worden war. Insgesamt 22 Tonnen. Noch heute sagen die Kiffer in Rio, wenn der Joint besonders gut schmeckt: "Das hat Büchsen-Qualität!" Die Angst von Roberto Pereira ist, dass bald einer auftaucht, der sein meergewaschenes Bargeld wiederhaben will. Er hat seinen Fund deshalb schleunigst investiert: in Reparaturen seines Kahns. Im Übrigen sei noch mehr da unten: "Beim nächsten höheren Wellengang bin ich wieder im Wasser."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: