Bohrinsel "Elgin":Total kämpft gegen Gasleck und schlechte Nachrichten

Zum ersten Mal haben Mitarbeiter des Energieriesen Total die lecke Förderplattform "Elgin" in der Nordsee begutachtet. Es wird Monate dauern, bis das austretende Gas gestoppt ist. Doch zunächst gilt es, die schlechten Nachrichten einzudämmen, denn der größte Konzern Frankreichs sieht sein Image in Gefahr.

Stefan Ulrich, Paris

Seit zwei Wochen entweichen Tag für Tag schätzungsweise 200.000 Kubikmeter explosives Gas aus der lecken Nordsee-Bohrinsel Elgin des Energiekonzerns Total. Doch es ist nicht nur Erdgas, das die Plattform freisetzt. Zugleich verströmt Elgin jede Menge schlechte Nachrichten, die das Ansehen von Total beeinträchtigen. Das weltweit operierende Unternehmen versucht daher mit Hochdruck, nicht nur das Gas, sondern auch die negativen Botschaften einzudämmen. Vor allem soll der Eindruck vermieden werden, der Vorfall sei mit der Öl-Katastrophe des Jahres 2010 rund um die BP-Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko vergleichbar, die BP in größte Schwierigkeiten brachte.

Total's Elgin Wellhead Platform is seen in the North Sea off the coast of Scotland

240 Kilometer vor der schottischen Küste: Es wird Monate dauern, bis das Leck an der Bohrinsel Elgin behoben ist.

(Foto: REUTERS)

Tatsächlich sind die Unterschiede beträchtlich. Das in der Nordsee austretende Gas wird die Umwelt aller Voraussicht nach wesentlich weniger beeinträchtigen als das Öl im Golf. Auch die Folgekosten sind kaum vergleichbar. BP musste 32 Milliarden Dollar an Rückstellungen bilden. Auf Total dürften Kosten im unteren einstelligen Milliardenbereich zukommen. Am Donnerstag betrat eine Expertengruppe von Total erstmals die havarierte Plattform. Das Team habe sich fast vier Stunden dort aufgehalten und sei dann per Hubschrauber ins schottische Aberdeen zurückgebracht worden, teilte der Konzern mit. Wie es nun weitergeht, steht im Detail noch nicht fest. Vermutlich wird es aber Monate dauern, bis das Leck geschlossen ist.

Für ein normales Unternehmen wäre auch das katastrophal. Doch Total ist kein normales Unternehmen, sondern mit einem Umsatz von 185 Milliarden Euro (2011) der größte Konzern Frankreichs. Der Gewinn lag bei zwölf Milliarden Euro. 96.000 Menschen in mehr als 130 Staaten arbeiten für das Unternehmen, das zu den fünf größten Mineralölkonzernen der Welt zählt. Wichtigster Einzelaktionär ist der belgische Geschäftsmann Albert Frère. Zu den größten Anteilseignern zählen außerdem der chinesische Staatsfonds Safe sowie der von Katar. Beide halten jeweils zwei Prozent des Kapitals.

In Frankreich, das in seiner Wirtschafts- und Industriepolitik traditionell auf Großunternehmen setzt, zählt Total zu den Kronjuwelen der Republik. Trotz des Unfalls in der Nordsee gelten seine Technik- und Sicherheitsstandards auf den Bohrinseln im Branchenvergleich als gut. Dennoch hat der Konzern mit einem schlechten Image zu kämpfen. Das Meinungsforschungsinstitut Ipsos veröffentlicht seit 2008 alljährlich ein Image-Barometer, an dem 30 große französische Unternehmen gemessen werden. Total landet jedes Mal auf dem letzten Platz. Gründe dafür mögen die hohen Benzinpreise und die großen Konzerngewinne sein, aber auch die Korruptionsaffären und Umweltkatastrophen der Unternehmensgeschichte.

Die Ursprünge von Total liegen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. 1924 wurde die Compagnie Française des Pétroles (CFP) gegründet, um die französischen Ölinteressen in Irak und später in aller Welt wahrzunehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg beutete die CFP auch Ölvorkommen in der Sahara aus. Durch Verstaatlichungen in Irak und in Algerien erlitt das Unternehmen Rückschläge. Dafür konnte es in der Nordsee neue Energiequellen erschließen. CFP nannte sich 1985 in "Total-CFP" und 1991 in "Total" um.

Korruptionsvorwürfe und Françafrique

Lange Zeit steuerte der französische Staat, der bis zu 35 Prozent der Anteile hielt, die Geschicke des Konzerns mit. Seit 1999 ist er aber nicht mehr beteiligt. Im selben Jahr fusionierte Total mit der belgischen Petrofina, und dann, 2000, mit der französischen Elf-Aquitaine-Gruppe. Elf Aquitaine sah sich immer wieder mit Korruptionsfällen konfrontiert, etwa bei der Übernahme der deutschen Leuna-Werke und des Minol-Tankstellennetzes nach der Wende. Zudem war Elf in das sogenannte Françafrique verstrickt, ein undurchsichtiges Interessengeflecht zwischen Politikern, Wirtschaftsführern und Staatsorganen in Frankreich und dessen ehemaligen afrikanischen Kolonien.

Berüchtigt wurde in Frankreich die "Affaire Elf", ein weit verzweigter Korruptionsskandal, bei dem es unter anderem um schwarze Kassen, Schmiergeldzahlungen und illegale Parteienfinanzierung ging. 2003 wurden der frühere Vorstandsvorsitzende Loïk Le Floch-Prigent und sein Generalbevollmächtigter Alfred Sirven wegen Veruntreuung zu jeweils fünf Jahren Gefängnis verurteilt. André Tarallo, der "Monsieur Afrique" im Elf-Konzern, erhielt vier Jahre Haft.

Total machte immer wieder negative Schlagzeilen. So soll es in ein Schmiergeldsystem verwickelt gewesen sein, mit dem das Ölembargo gegen das frühere Saddam-Hussein-Regime in Irak umgangen werden sollte. Wegen der Vorwürfe wird dem Total-Konzern, seinem Chef Christophe de Margerie sowie etlichen weiteren Angeklagten ab Januar 2013 in Paris der Prozess gemacht. Viel Kritik zog Total wegen seines Engagements in Myanmar auf sich, wo das Unternehmen seit 1992 Gas fördert. Menschenrechtler wie die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi kritisierten, damit stabilisiere Total die Militärdiktatur. Präsident Nicolas Sarkozy sagte 2007: "Frankreich appelliert an alle privaten Unternehmen, an Total zum Beispiel, größtmögliche Zurückhaltung bei Investitionen in Myanmar zu üben."

Wechselhafte Beziehungen zur Politik

Umweltkatastrophen befleckten das Ansehen von Total ebenfalls. 1999 sank das überladene Tankschiff Erika, das im Auftrag von Total fuhr, vor der Küste der Bretagne und löste eine Ölpest aus. Ein Pariser Gericht verurteilte den Konzern 2008 dazu, knapp 200 Millionen Euro an Strafen und Schadensersatz zu bezahlen. Zwei Jahre später kam es in Toulouse zur größten Industriekatastrophe Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 21. September 2001 explodierten in der zu Total gehörenden Düngemittel-Fabrik AZF Dutzende Tonnen von Ammoniumnitrat. 31 Menschen starben, Tausende wurden verletzt, Zehntausende Häuser und Wohnungen beschädigt. Die genaue Unglücksursache konnte nie ermittelt werden. Total musste zwei Milliarden Euro Entschädigung bezahlen.

Die Beziehungen des Konzerns zur Politik sind wechselhaft. Einerseits sind die Präsidenten im Élysée dafür bekannt, sich besonders für die Interessen großer französischer Firmen einzusetzen, insbesondere im Ausland. Als Sarkozy beispielsweise 2008 Syrien besuchte, wurde er von Total-Chef de Margerie begleitet, der drei Öl- und Gasabkommen abschloss. Andererseits gerieten Sarkozy und Total auch gelegentlich aneinander. Als de Margerie vor einem Jahr warnte, der Benzinpreis werde über zwei Euro steigen, kritisierte der Präsident diese Behauptung als "anstößig". Doch de Margerie sollte recht behalten. Diesen März kostete bleifreies Superbenzin in Paris erstmals mehr als zwei Euro.

Auch im Gerangel um die Stilllegung einer Raffinerie in Dünkirchen kam es zum Konflikt zwischen dem Präsidenten und dem Konzern. Sarkozy machte sich 2010 für den Erhalt der französischen Standorte stark. Total sagte schließlich zu, nach Dünkirchen keine weiteren Raffinerien zu schließen. Im derzeitigen Präsidentschaftswahlkampf kritisierte Sarkozy, es könne nicht angehen, dass Großkonzerne wie Total zeitweise keine Unternehmensteuer bezahlten. Im Falle seines Wahlsieges will er eine Extra-Steuer für solche Konzerne einzuführen, die in den Medien bereits "Total-Steuer" heißt.

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