Börsenfusion:Jetzt geht's um den Chef

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Londoner Börse: Der Hauptsitz nach einer Fusion mit der Deutschen Börse könnte nach Frankfurt kommen. (Foto: Daniel Leal-Olivas/AFP)

Deutsche-Börse-Chef Kengeter hat zwar eine Mehrheit für die Fusion mit London: Frankfurt dürfte Hauptsitz werden. Aber kann sich Kengeter im Amt halten?

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

Zuletzt war es alles andere als sicher, dass der Deal überhaupt zustande kommt. Doch jetzt hat Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter immerhin die erste wichtige Hürde genommen: Eine Mehrheit der Eigentümer ist dazu bereit, die geplante Fusion mit der Londoner Börse durchzuziehen. Um bei dieser Abstimmung auf Nummer sicher zu gehen, hatte die Deutsche Börse die Mindestquote am Montag von 75 auf 60 Prozent gesenkt und die Annahmefrist um zwei Wochen verlängert.

Dennoch ist es auch jetzt noch alles andere als sicher, dass das Geschäft zustande kommt. Das EU-Austrittsvotum der Briten hat alles verändert. Im Fusionsplan heißt es, dass London der Holding-Sitz für das fusionierte Unternehmen wird - und der Deutsche Kengeter Chef der Firma wird.

Der Brexit habe die Verhandlungsbasis der Deutschen verbessert, meinen manche

Nach dem Brexit sieht es so aus, also ob Frankfurt den Sitz bekommt. Was wird da aus Kengeter? "Es versteht keiner, warum Kengeter für den Brexit-Fall nicht vorher klar vereinbart hat, dass der Sitz eben nicht in London sein kann", hieß es bei einem großen Aktionär. Man habe den Eindruck gewonnen, er wolle den Deal, koste es, was es wolle. Aber so eine "Selbstverwirklichungsshow" komme bei Investoren nicht immer gut an. Am Finanzplatz Frankfurt wird nun spekuliert, was die Briten dafür fordern werden, sollte der Sitz tatsächlich nach Frankfurt kommen. "Es kann gut sein, dass sie dann zumindest den Posten des Vorstandschefs selbst besetzen wollen", sagte ein anderer großer Eigentümer.

Andere meinen, die Briten könnten überhaupt nichts mehr fordern: Der Brexit habe die Verhandlungsbasis der Deutschen verbessert, weil sich die Briten den Zugang zum EU-Binnenmarkt nicht entgehen lassen wollten. Die fusionierte Börse jedenfalls dürfe ihren Holding-Sitz nicht in London haben, hatte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier gesagt. Die Landesregierung muss die Fusion genehmigen.

Im Gespräch ist daher auch der Aufbau einer Doppel-Holding in London und Frankfurt. Doch eine solche Struktur wäre kompliziert, und die Rivalität der Standorte absehbar. Auch juristisch ist der Plan heikel. Bankenrechtler Uwe Schneider von der Universität Mainz hält "einen Doppelsitz der Börse" gar für "rechtlich nicht möglich", wie er der Börsenzeitung sagte.

Vereinfacht gesagt, unterscheidet Schneider zwischen dem juristischen Sitz (Satzungssitz) und der operativen Konzernzentrale (Verwaltungssitz). Zwei Satzungssitze für die Konzernholding, davon einer im Ausland, seien unmöglich, weil das "zu schwer zu lösenden Konflikten" zwischen britischem und deutschem Recht führen würde. Und selbst wenn beide Sitze in Deutschland wären, sei es später immer noch möglich, dass die operative Konzernzentrale nach London ausweiche.

Eine weitere Möglichkeit wäre es, den Holding-Sitz in ein EU-Drittland zu verlegen, etwa in die Niederlande nach Amsterdam. Das war bei der später gescheiterten Fusion zwischen Deutscher Börse und New Yorker Börse geplant. Allerdings heißt es in Finanzkreisen, diese Option sei unwahrscheinlich, weil zu teuer und kompliziert.

Immerhin sprach sich am Mittwochabend Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret für die Fusion aus: "Es mag zunächst bizarr klingen, aber ein solcher Zusammenschluss macht nach dem Referendum wirtschaftlich noch mehr Sinn." Wenn Großbritannien die EU verlasse, seien Brücken zwischen den Volkswirtschaften wichtiger denn je. "Die geplante Fusion zwischen London Stock Exchange und Deutscher Börse hat das Potenzial, eine solche Brücke zu werden", sagte er.

Die nächste große Hürde für die Börsenfusion ist nun die Zustimmung der Aufsichtsbehörden - allen voran die der hessischen Börsenaufsicht und der EU-Kommission. Darüber hinaus regt sich im europäischen Ausland neuer Widerstand gegen die Fusion. Nach Frankreich fordern nun auch Portugal und Belgien die EU-Kommission auf, den Deal zu untersagen. Er beeinträchtige den Wettbewerb zwischen den Börsen, schrieb Portugals Finanzminister Mario Centeno an EU-Kommissarin Margrethe Vestager, hieß es bei der Nachrichtenagentur Reuters. Die Börsen in Lissabon und Brüssel gehören - wie Paris und Amsterdam - zum Mehrländerkonzern Euronext, der bei einer deutsch-britischen Fusion noch stärker ins Hintertreffen geraten würde.

Im Schlagabtausch zwischen Frankfurt und Paris geht es auch darum, wer sich das billionenschwere Abwicklungsgeschäft von Euro-Derivaten sichert. Die zuständige LCH. Clearnet gehört der Londoner Börse. Dieses Geschäft jedoch könne nach dem Brexit nicht mehr von Großbritannien aus betrieben werden, so die Finanzaufseher. Bei einer Fusion würde es wohl nach Frankfurt wandern. Platzt der Deal, dürfte Frankreich den Zuschlag bekommen. Die LCH. Clearnet hat einen Ableger in Paris.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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