Börse:Wir waren Dax

Der Aufstieg in die Elite der 30 größten Börsenunternehmen ist für viele Manager ein großes Ziel. Oft aber beginnen damit die Probleme - wie bei Pro Sieben Sat 1, das jetzt aus dem Index fliegt.

Von Caspar Busse, Markus Zydra und Benedikt Müller, München/Frankfurt

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Zum 25. Geburtstag des Index im Jahr 2013 feiert ein Händler als "Dax-Man". Die Mitgliedschaft im Dax adelt jedes Unternehmen - nicht selten jedoch beginnen mit dem Aufstieg die Probleme.

(Foto: Ralph Orlowski/Reuters)

Am Hauptsitz des Unternehmens in Unterföhring bei München hing ein überdimensionales Wandplakat. "Wir sind Dax" stand da geschrieben, zusammen mit den Namen der etwa 2000 Mitarbeiter in der Hauptverwaltung. Gerade erst war bekannt geworden, dass der Fernsehanbieter Pro Sieben Sat 1 in den Deutschen Aktienindex (Dax) aufsteigt, dem die 30 größten börsennotierten Konzerne des Landes angehören - als erstes Medienunternehmen überhaupt. Die Fernsehleute waren ziemlich stolz. Die Beförderung sei "Würdigung unserer Arbeit der vergangenen Jahre und Ansporn zugleich", erklärte seinerzeit, im März 2016, der damalige Vorstandschef Thomas Ebeling.

Zwei Jahre später ist der Dax für Pro Sieben Sat 1 schon wieder Geschichte - aus, vorbei. Überraschend schnell muss das Medienunternehmen die Eliteliga verlassen und schon am 19. März Platz machen für Covestro. Das weithin unbekannte Leverkusener Unternehmen, lange Jahre ein Geschäftsbereich des Bayer-Konzerns, ist erst seit Oktober 2015 überhaupt an der Börse. Es stellt Kunststoffe her, die etwa in Autoteilen, Brillengläsern oder Computer-Gehäusen stecken. Zudem fertigt Covestro Schaumstoffe, mit denen sich beispielsweise Gebäude dämmen lassen. Die weltweit hohe Nachfrage nach Kunststoffen hat die Aktie beflügelt.

Die Aufnahme in den Dax ist gut fürs Image - auch und gerade für das des Vorstands

Der Aufstieg ihres Unternehmens in den Dax, das mit Abstand wichtigste Börsenbarometer in Deutschland, ist für viele Manager der große Traum. Der Dax - das sind noch immer die großen traditionellen Industriekonzerne, die Banken und Versicherer, die Elite der deutschen Wirtschaft. Zusammen sind die 30 Firmen derzeit an der Börse rund 1,1 Billionen Euro wert. Der Dax adelt jedes Unternehmen, ist gut für das Image, auch und gerade für das des Vorstands. Die Konzerne stehen im breiten öffentlichen Interesse, auch international werden sie eher beachtet. Dax-Chefs finden leichter Gehör, haben schneller Zugang zur Politik. Investoren auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten schauen besonders gerne auf die Unternehmen, Fondsgesellschaften, die den Index nachbilden wollen, müssen die Aktien kaufen. So schwankt der Börsenwert von Dax-Konzernen normalerweise auch weniger stark.

Doch oft beginnen gerade mit einem schnellen Aufstieg in den Dax die Probleme - wie bei Pro Sieben Sat 1. Die Konzerne stehen plötzlich unter sehr intensiver Beobachtung, Schwachstellen werden aufgedeckt, kleine strategische Korrekturen oder Pannen führen zu großen Kursausschlägen. Die Fernseh-Aktie aus Unterföhring etwa verlor drastisch an Wert, die Zahlen waren nicht so gut wie erwartet. Gerade erst ist Vorstandschef Ebeling vorzeitig gegangen, jetzt gab es eine kritische Studie eines Spekulanten mit dem Titel "Kartenhaus"- und dann noch der Dax-Rauswurf.

Wird es Covestro auch so ergehen? Das Unternehmen ist zwar erst seit zweieinhalb Jahren unabhängig, betreibt seine Geschäfte aber schon seit Jahrzehnten, zuvor als Kunststoff-Sparte von Bayer. Die Leverkusener profitieren davon, dass ihre Kunden aus der Auto-, Bau- und Elektronikindustrie derzeit volle Auftragsbücher haben. Gerade Autohersteller versuchen gegenwärtig, schwere Stahlteile durch robuste Kunststoffe zu ersetzen, um Gewicht zu sparen. Die Kunststoffpreise könnten allerdings weltweit auch wieder sinken, wenn Hersteller den Trend aufgreifen und neue Fabriken eröffnen. "Wir freuen uns sehr über die Aufnahme in den Dax", sagte Covestro-Chef Patrick Thomas jetzt. Der Brite wird seinen Posten im Sommer an Markus Steilemann abgeben.

"Zukünftig wird Covestro eine noch größere Aufmerksamkeit gewinnen", so Thomas. Die Kunststoff-Manager sind glücklich über ihre Unabhängigkeit von Bayer. So müssen sie etwa nicht mehr beim Mutterkonzern um Geld betteln, wenn sie investieren wollen. Zugleich aber dürfte ihnen der Fall Pro Sieben Sat 1 auch Warnung sein, zumal die Fernsehleute längst nicht die Einzigen sind. Bei einigen folgte auf einen schnellen Dax-Aufstieg sogar der ebenso schnelle Niedergang: Die Immobilienbank Hypo Real Estate verschwand, ebenso die Bauelementefirma Epcos und der Vermögensberater MLP.

Der Index der 30 wichtigsten Börsenunternehmen wird seit 1988 berechnet. Seither hat sich die Zusammensetzung immer wieder verändert. Konzerne wie Feldmühle, Veba und Nixdorf sind - teils nach Fusionen - aus dem Index verschwunden, BASF, Siemens, Daimler und Linde dagegen immer noch dabei. Wer in den Dax will, muss wertvoll sein - im Finanzjargon spricht man von der Marktkapitalisierung, die sich aus der Multiplikation des Aktienkurses mit der Anzahl der frei verfügbaren, also nicht in Besitz eines Hauptaktionärs befindlichen Anteilsscheine ergibt. Zudem kommen nur solche Firmen in den Dax, deren Papiere häufig gehandelt werden.

Das bedeutet: Ein Dax-Konzern muss interessant sein für internationale Investoren, für Fonds und Pensionskassen. Die Deutsche Börse berechnet in regelmäßigen Abständen, welche 30 Unternehmen die höchste Marktkapitalisierung und den stärksten Handelsumsatz aufweisen. Wer schwächelt, fliegt schnell raus und steigt ab. Neben dem Dax gibt es noch den M-Dax und den S-Dax, wo Unternehmen Aufnahme finden, die kleiner sind und weniger häufig gehandelt werden. Im Tec-Dax sind wichtige Technologiefirmen vertreten.

Als Pro Sieben Sat 1 vor zwei Jahren aufstieg, wollte man übrigens langfristig bleiben. Dieser Versuch ist nun gescheitert.

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