Börse:Traut euch!

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Der Dax steigt immer weiter, aber in Deutschland profitieren die Wenigsten davon. Zu groß ist die Scheu vor Aktien. Der Boom macht nur die Reichen reicher.

Von Catherine Hoffmann

Der Klassenkampf hat schon bessere Tage gesehen. Auf absehbare Zeit hat der Kapitalismus gesiegt. Doch die alten Konflikte sind dadurch nicht befriedet, sie werden heute statt auf der Straße auf allen möglichen Schauplätzen ausgetragen - an der Börse zum Beispiel, wo die Aktienkurse beinahe täglich neue Rekorde erreichen und Unternehmensgründer zu Milliardären werden. Doch an den meisten Menschen geht der Aufschwung vorbei, der sich am 12. Oktober dieses Jahres mit einer spektakulären Marke offenbarte: Erstmals stieg der Dax über 13 000 Punkte.

Von den steigenden Kursen profitieren vor allem die oberen Einkommensschichten, denn sie besitzen die größten Aktienpakete. Geringverdiener haben ihr Erspartes, so sie denn überhaupt welches besitzen, normalerweise auf einem Bankkonto geparkt. Und auch in der Mittelschicht bevorzugen deutsche Sparer Bares, Tages- und Festgeld oder Anleihen. So verschärft die Hausse an den Börsen die Ungleichheit im Land und vertieft die Spaltung.

Hinter dem Boom stecken maßgeblich die großen Zentralbanken im Euro-Raum, in den USA und Japan, die mit ihrem billigen Geld nicht so sehr die Inflation anheizen - sondern vor allem die Vermögenspreise: Anleihen, Aktien und Immobilien sowie luxuriöse Sammelund Spekulationsobjekte, Kunst und Oldtimer etwa, werden Jahr um Jahr teurer. Das geht schon ziemlich lange so: Die Währungshüter haben die kurzfristigen Zinsen von etwa 13 Prozent im Jahr 1980 schrittweise auf heute nahe null gesenkt. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 kaufen sie im großen Stil auch Anleihen von Staaten und Unternehmen. So sinken die Renditen der Zinspapiere und parallel dazu die Zinsen auf dem Konto.

Wer es sich leisten kann, schichtet sein Vermögen in Aktien um; das lässt die Kurse kräftig steigen. Gleiches gilt für die Immobilienpreise, die in einigen Metropolen schon Blasen treiben. Die Vermögenspreisinflation erfreut vor allem Besserverdiener und Reiche, die ihr Geld an der Börse und im Immobilienmarkt investiert haben. Normale Sparer müssen dagegen zusehen, wie der Zins für ihre Guthaben allmählich verschwindet und damit - schleichend - auch die Kaufkraft ihres Vermögens. Die Inflation ist zwar gering, aber eben doch höher als der (nominale) Zins. Kurz gesagt: Die Reichen werden immer reicher, und alle anderen ärmer.

Ein Großteil der Menschen bekommt die Umverteilung vermutlich gar nicht mit, weil ihnen entgangene Zinsen und Kursgewinne, die sie nicht gemacht haben, nicht in den Sinn kommen. Und weil die Preissteigerungen bei Luxusgütern naturgemäß nur die allerwenigsten betreffen. Nur wer ein Haus oder eine Wohnung für die Familie sucht, merkt, dass die Preise abgehoben haben.

Nun hilft es aber wenig, auf Mario Draghi zu schimpfen, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, oder auf Janet Yellen, Chefin der US-Zentralbank. Sie allein sind nicht für die Gerechtigkeitsprobleme verantwortlich zu machen. Die Verteilungskonflikte nehmen seit Jahrzehnten zu, die Gründe dafür sind vielfältig: Die radikale Veränderung der Weltwirtschaft, die Globalisierung, der technische Fortschritt, die Digitalisierung, der demografische Wandel, die Schwäche der Gewerkschaften, die Flexibilisierung von Arbeitsmärkten: Das sind Kräfte, die mächtiger sind als jede Notenbank.

Im Übrigen hat die ultralockere Geldpolitik auch Gutes bewirkt. Nullzinsen und Anleihekäufe stützen die Wirtschaft, weil dank günstiger Kredite mehr Immobilien gebaut werden, weil Unternehmen und Staaten Investitionen einfacher finanzieren können. Der Aufschwung sichert Jobs und schafft neue Arbeitsplätze. Davon profitieren dann vor allem Geringverdiener und die Mittelschicht, die einen Großteil ihres Geldes durch Arbeit verdienen, während die Reichen hauptsächlich von der Rendite ihres Kapitals leben. Niedrige Zinsen helfen also auch Menschen, die nicht Millionen auf dem Konto haben.

Betrachtet man die Bürger aber allein als Sparer, dann schadet ihnen der Nullzins, zumal, wenn sie ihr Geld so anlegen, wie es die Deutschen tun: Sie bevorzugen vermeintlich sichere Anlagen und verabscheuen das Risiko. 5,68 Billionen Euro Geldvermögen haben die privaten Haushalte angehäuft. Ein Großteil davon wird als Bargeld oder Bankeinlage gehalten, dicht gefolgt von Ansprüchen aus Lebensversicherungen und Anlagen zur Altersvorsorge. Aktien sind dagegen wenig verbreitet. Nur jeder siebte Bürger besitzt Dividendenpapiere oder Aktienfonds. Die Krisen der vergangenen Jahre haben das Vertrauen der Deutschen in die Börse zutiefst erschüttert. Besonders groß war es vermutlich ohnehin nie.

Fragt man die Deutschen, was ihnen wichtig ist im Leben, nennen sie sehr häufig "finanzielle Absicherung" und dazu einen "sicheren Arbeitsplatz". Der Begriff "Risikobereitschaft" steht dagegen an letzter Stelle, noch hinter der Lust auf Abenteuer. Das hat eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Bankenverbands ergeben. Testet man die spontane emotionale Reaktion auf verschiedene Schlüsselbegriffe, zeigt sich ein ähnliches Bild: "Sicherheit" finden praktisch alle sympathisch. Mit ausgesprochener Abneigung reagiert die Bevölkerung dagegen auf "Risiko", "Manager" und "Aktien", nur "Regulierung" und "Gentechnik" sind ihnen noch verhasster. Kein Wunder, dass die Deutschen die Hausse an den Börsen verpassen.

Dagegen hilft nur eine Revolution. Die Sparer müssen raus aus der Komfortzone. Statt über die Zentralbanker zu meckern und darauf zu hoffen, dass die Zinsen bald wieder steigen, sollten sie es mit ein bisschen Unternehmergeist versuchen und mehr Geld in Aktien stecken. Auch wenn ihnen die Kapitalisten als verdächtig gelten.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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