Börse:Die Jahresendrally wird abgesagt

Rein statistisch ist der Dezember der beste aller Monate für den Dax. Dieses Mal aber rechnen Experten allenfalls noch mit einem Zwischenhoch.

S. Boehringer

Kommt sie oder kommt sie nicht? Es ist die Frage der Woche in vielen Online-Foren und Finanzportalen - und die letzte Hoffnung vieler Anleger, 2008 doch noch versöhnlich zu beenden. Es geht um die Jahresendrally an den Börsen, dem Phänomen, dass die Aktienkurse in den letzten vier Wochen des Jahres oft noch einmal kräftig steigen.

Börse: Im Dezember ist der Dax häufig gestiegen - in diesem Jahr sieht es dagegen eher schlecht aus.

Im Dezember ist der Dax häufig gestiegen - in diesem Jahr sieht es dagegen eher schlecht aus.

(Foto: Foto: dpa)

Doch die Hoffnung darauf wird immer vager. Denn immer wenn der Dax in den vergangenen Wochen einen Versuch unternahm, die horrenden Verluste seit Jahresanfang etwas zu verkleinern, wurde die Aufholjagd durch eine neue Schreckensmeldung jäh gestoppt. Ohnehin gilt: "Jahresendrallys gibt es tendenziell dann, wenn das ganze Jahr für Aktien auch gut gelaufen ist", sagt Werner Bader, verantwortlich für die Aktienanalyse für Privatkunden bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

60 Jahre an der Spitze

Zwar ist der Dezember im Durchschnitt der vergangenen 60 Jahren tatsächlich statistisch wesentlich besser gelaufen als die anderen elf Monate (Grafik). Ein Kursplus von 2,45 Prozent hat das Deutsche Aktieninstitut (DAI) für den Weihnachtsmonat seit 1948 ausgerechnet. Zum Vergleich: Der zweitbeste Monat, der Juli, brachte im Schnitt 1,62 Prozent, der drittbeste, der November, 1,58 Prozent. "Allerdings kann daraus keine Anlageempfehlung abgeleitet werden, denn zwischen dem besten und dem schlechtesten Dezemberergebnis liegen erhebliche Schwankungen", erklärt DAI-Experte Franz-Josef Leven.

Derzeit schaukeln die Aktienkurse auf und ab wie selten zuvor. Tagesveränderungen von mehr als drei Prozent, wie sie vor der Finanzkrise die absolute Ausnahme waren, sind in diesen Tagen schon fast die Regel. Trotzdem hoffen offenbar nicht nur viele Kleinanleger, die sich in Internetforen austauschen, auf eine Jahresendrally. Auch Entscheider börsennotierter Gesellschaften setzen schon seit Wochen auf steigende Kurse.

"Vergangene Woche gab es so viele Käufe von Topmanagern wie noch nie seit Beginn der Erhebung 2003", sagt Manuel Schüssler vom Forschungsinstitut für Asset Management an der Uni Aachen. Gemeinsam mit Kollegen wertet er alle zwei Wochen die Daten der Bundesfinanzaufsicht Bafin zu den Aktiengeschäften der sogenannten Insider aus. Vorstand, Aufsichtsrat und Mitglieder anderer Führungsgremien in Unternehmen müssen es regelmäßig den Börsenkontrolleuren melden, wenn sie Aktien des eigenen Unternehmens kaufen oder verkaufen. "Bislang haben diese Insider meist richtig gelegen mit ihren Kauf- und Verkaufsentscheidungen", berichtet Schüssler. "90 Prozent der Studien zum Thema kommen zu dem Ergebnis, dass die Entscheider regelmäßig mehr Rendite erzielen als durchschnittliche Anleger."

Gute Jahre, schlechte Jahre

Ob die Spitzenmanager auch dieses Jahr Recht behalten werden? Zumindest sprechen die Konjunkturdaten überhaupt nicht dafür, dass sich die Aktienkurse noch stark nach oben bewegen. Und auch Profi-Anleger wie Fondsmanager haben derzeit keinen Anreiz, ihre Aktienquote zum Jahresende noch zu erhöhen. Dieses sogenannte Window-Dressing findet in der Regel nur in guten Aktienjahren statt. In schlechten Jahren wie 2008 - der Dax hat sich fast halbiert - "verkaufen viele institutionelle Investoren lieber, um nicht noch mehr Verluste zu riskieren", sagt Bader von der LBBW.

Betrachtet man die aktuelle Krise als Ausnahmesituation, die nicht den üblichen Regeln folgt, gibt es allerdings durchaus Gründe, die noch für ein Aufholen in den letzten Tagen des Jahres sprechen. So sind die Kurse so stark eingebrochen, dass einige Experten auf dem derzeitigen Niveau schon von einer "Untertreibung" sprechen und die Phase mit der "Übertreibung" etwa zur Jahrtausendwende vergleichen.

Inzwischen sind viele Unternehmen an der Börse weniger wert, als die Vermögensaufstellung in ihrer Bilanz es ausweist. Dazu "müssten diese Firmen entweder jahrelang Verlust machen oder sicher eine Kapitalerhöhung benötigen", sagt Aktienexperte Bader - eine Erwartung, die viele Analysten für übertrieben halten. Dies könnte eine Chance sein für langfristig orientierte Anleger, die ohnehin in nächster Zeit stärker in Aktien investieren wollten.

Nur ganz Mutige steigen ein

"Wegen der Einführung der 25-prozentigen Abgeltungsteuer ab Januar kann man jeden Aktienkauf im alten Jahr wie einen Rabattkauf betrachten", sagt Bader. Vorausgesetzt, die Titel bleiben wenigstens zwölf Monate im Depot, denn nur dann sind Kursgewinne steuerfrei.

Wer jetzt einsteigt, muss aber Mut und Geduld mitbringen. "Selbst wenn es doch noch zur Jahresendrally kommt, wird sie sich unter großen Schwankungen hochschaukeln", schreibt Aktienhändler Dirk Müller, bekannt auch als Mr. Dax an der Frankfurter Börse, in einer Kolumne. Und: "Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es spätestens im Anschluss an eine solche Erholung wieder deutlich abwärts geht", so der Experte von der Maklerfirma MWB Fairtrade. Es könnte also, wenn überhaupt, eine echte Bärenrally kommen, meint auch Bader von der LBBW: "Für eine dauerhafte Trendwende an den Aktienbörsen ist es zu früh."

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