Boeing:Dumm gelaufen

Der Flugzeughersteller wollte sich des Rivalen Bombardier entledigen. Wirt­schaftsminister Ross sprang dem Konzern zur Seite und drohte mit Strafzöllen. Eine Behörde lehnte das nun ab.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Betrachtet man die ganze Sache in der Rückschau, dann wird man sich bei Boeing wohl eingestehen müssen, dass es dümmer kaum hätte laufen können: die Kunden sauer, das Image lädiert, der Rivale gestärkt - sollte Konzernchef Dennis Muilenburg am Wochenende noch Zweifel am Ausmaß des Desasters gehabt haben, dann reichte ihm der Blick auf ein Foto im Kurzmitteilungsdienst Twitter. Dort halten Tom Enders und Alain Bellemare, die Vorstandsbosse der konkurrierenden Flugzeugbauer Airbus und Bombardier, fröhlich grinsend die Sektgläser in die Kamera.

Dabei hatte es noch vor Wochen so gut ausgesehen für Muilenburg und seine Klage, dass Bombardier die Passagierjets der C-Reihe in den USA zu "absurd niedrigen" Preisen verkaufe. Wirtschaftsminister Wilbur Ross höchstpersönlich sprang dem führenden US-Luftfahrtkonzern zur Seite und erklärte, er werde den kanadischen Hersteller mit Strafzöllen von bis zu 300 Prozent belegen, sollten sich die Boeing-Vorwürfe als zutreffend erweisen. Doch die unabhängige Internationale Handelskommission (ITC) der USA entschied nun anders: Mit vier zu null Stimmen schmetterte sie den Protest als unbegründet ab und brachte damit nicht nur Boeing eine schmerzhafte Niederlage bei, sondern auch der zollwütigen Regierung in Washington. Sie hatte US-Firmen wiederholt dazu ermutigt, Beschwerde gegen missliebige ausländische Konkurrenten einzulegen, und zudem den Import von Solaranlagen, Waschmaschinen und Oliven mit Strafzöllen belegt.

Hauptabnehmer der C-Serie sind unter anderem Air Canada und die Lufthansa-Tochter Swiss

Viele Experten hatten deshalb erwartet, dass die ITC dem Protest stattgibt - und sei es nur, um sich nicht den Zorn von Präsident Donald Trump zuzuziehen. Dass es nun anders gekommen ist, zeigt, dass der Rechtsstaat auch unter Trump funktioniert und die verbreitete Sorge über eine Politisierung unabhängiger Behörden womöglich übertrieben ist. Ross beeilte sich denn auch, die politische Niederlage in einen Sieg umzudeuten: Die Entscheidung der ITC zeige, "wie robust unser System der Gewaltenteilung ist", so der Minister.

Boeing: Produktion des Bombardier CS100 im kanadischen Mirabel bei Montreal.

Produktion des Bombardier CS100 im kanadischen Mirabel bei Montreal.

(Foto: Ryan Remiorz/AP)

Boeing hatte argumentiert, Bombardier könne die Maschinen der C-Reihe nur deshalb so billig verkaufen, weil das Unternehmen vom Staat gestützt werde. Tatsächlich halten sowohl die Regierung in Ottawa als auch die Provinz Quebec Anteile an dem Unternehmen. Anders als Boeing bewertete die ITC diese Beteiligungen jedoch nicht als unerlaubte Subventionen, die Bombardier einen Wettbewerbsvorteil verschafften und der US-Industrie schadeten. Die Kanadier können nun damit beginnen, die mindestens 75 von der US-Fluggesellschaft Delta bestellten Jets des Typs CS 100 auszuliefern. Delta erklärte, Boeing habe kein vergleichbar gutes Flugzeug mit 100 bis 150 Sitzen anbieten können und deshalb versucht, den Rivalen mithilfe der Behörden zu stoppen. Es sei gut für die Fluggesellschaften und die Kunden in den USA, dass dieser Versuch gescheitert sei.

Die Boeing-Beschwerde und die Zoll-Gefahr hatten Bombardier im vergangenen Herbst dazu bewogen, Schutz bei Airbus zu suchen und die Mehrheit an der C-Serie an den europäischen Luftfahrtkonzern abzugeben. Für Airbus-Chef Enders war das Geschäft ein Coup: Er verstärkt nicht nur die Präsenz seines Unternehmens auf dem Heimatkontinent des größten Konkurrenten, vielmehr kann Airbus nun auf die teure Entwicklung eigener kleinerer Flugzeuge verzichten. Boeing hingegen dürfte die Gespräche mit dem brasilianischen Bombardier-Konkurrenten Embraer über eine Zusammenarbeit weiter intensivieren.

Mit seinem rabiaten Vorgehen gegen Bombardier hatte der Konzern aus Seattle nicht nur Delta, sondern auch eine Reihe anderer US-Fluggesellschaften gegen sich aufgebracht. So stellten sich die Airlines Jetblue, Spirit und Sun Country in Schreiben an das Handelsministerium und die ITC hinter Bombardier, obwohl sie allesamt bisher gar nicht zu den Kunden der Kanadier gehörten. Hauptabnehmer der C-Serie sind unter anderem Air Canada und die Lufthansa-Tochter Swiss. Airbus erklärte, man werde das eigene Werksgelände in Mobile im US-Bundesstaat Alabama erweitern, um die C-Serie außer in Kanada auch in den Vereinigten Staaten bauen zu können. Gut möglich, dass Trump diese Investitionsentscheidung schon bald als Erfolg für sich reklamieren wird.

Der Beschluss der ITC stieß außer in Kanada auch in Großbritannien auf Zustimmung, wo Bombardier Teile fertigt. Boeing hingegen zeigte sich enttäuscht, dass die Behörde die "illegalen Geschäftspraktiken" von Bombardier in den Vereinigten Staaten nicht gestoppt habe. Der US-Konzern hat nun noch die Möglichkeit, die ITC-Entscheidung gerichtlich anzufechten. Experten halten die Erfolgsaussichten einer solchen Klage aber für eher gering.

"Rasch und angemessen"

Die EU-Kommission hat die Vereinigten Staaten vor der Verhängung einseitiger Handelshemmnisse gewarnt. "Die EU ist bereit, rasch und angemessen zu reagieren, falls unsere Exporte von restriktiven Handelsmaßnahmen der USA beeinträchtigt werden sollten", sagte ein Sprecher der Brüsseler Behörde am Montag. "Wir sind zudem überzeugt, dass Handel fair und offen, aber auch regelbasiert sein muss."

US-Präsident Donald Trump hatte zuvor die EU vor negativen Folgen ihrer seiner Meinung nach "unfairen" Handelspolitik gewarnt.

"Für uns ist Handelspolitik kein Nullsummenspiel, es geht nicht um Sieger und Verlierer", sagte der EU-Kommissionssprecher weiter. "Wir hier in der EU glauben, dass Handel "win-win" sein kann und sollte." In Handelsfragen verhandelt die EU-Kommission in der Regel für die 28 EU-Staaten. Die USA sind mit Abstand der wichtigste Handelspartner der EU. Die EU-Warenexporte dorthin lagen 2016 bei 362 Milliarden Euro. Die Warenimporte aus den USA beliefen sich im gleichen Zeitraum auf etwa 247 Milliarden Euro. Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA liegen seit Trumps Amtsantritt vor gut einem Jahr auf Eis. dpa

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