100 Jahre BMW:Rechenzentrum auf Rädern

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"Mensch und Maschine werden verschmelzen." BMW-Designchef Adrian van Hooydonk (rechts) präsentiert eine Zukunftsstudie. (Foto: Lennart Preiss/Getty)

BMW feiert in München 100. Geburtstag - und findet sich mitten im Spagat zwischen alten Benzinschleudern und digitaler Zukunft.

Von Thomas Fromm, München

Die Bühne in der Olympiahalle ist über eine halbe Stunde lang nur in blau und anthrazit gehalten. Spartanisch dekorationslos, wie man das heute im modernen Theater so macht. Einzige Requisiten: Ein Rolls Royce. Ein Mini. Ein BMW. Ein Motorrad. Kühler Minimalismus statt große Show, die kommt erst später.

Auftritt Norbert Reithofer, der bis zum vergangenen Jahr noch BMW-Chef war und jetzt dem Aufsichtsrat vorsteht und aus dem anthrazitfarbenen Meer heraus die Gäste begrüßt. "Lieber Horst Seehofer, hier in Bayern liegen unsere Wurzeln."

Auftritt Seehofer: "Liebe BMWler in aller Welt", sagt er, denn heute sind die Arbeiter aus 30 Werken weltweit zugeschaltet. Ladies and gentlemen, a big applause! "Laptop und Lederhose passen auf dieses Unternehmen ganz gewiss", sagt der Politiker und spricht über Standorttreue, Tradition und Zukunft.

Die Frage ist nun, ob BMW in einigen Jahren überhaupt noch Autos bauen wird, so wie wir sie heute kennen. Ob alle Hersteller noch Autos bauen werden, die wie Autos aussehen. Zuletzt bei der Automesse in Genf standen sie ja noch, die Sportwagen, Boliden und SUVs. Jetzt, bei der Feier zum 100. Geburtstag, könnte der Münchner Autokonzern nur eine Nostalgie-Reise in die Vergangenheit anbieten. Stattdessen aber zeigt er auch: die Zukunft.

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Ein fahrendes Rechenzentrum, dem man das aber bitte nicht ansehen soll

BMW als Science-Fiction-Company. Es gibt eben nicht viel Zeit, um zurückzublicken, auf all die alten Autos, die Isettas, Barockengel und 3er, und Konzernchef Harald Krüger will deshalb nach vorne schauen - auf die nächsten 100 Jahre. So wird am Tag des Jubiläums eine Studie in die erste Reihe geschoben, sie heißt "Vision Next 100", ist 4,90 Meter lang. Ein Auto, das man zwar selbst noch fahren kann, das aber auch genauso gut ohne Fahrer auskommt. Es gibt nämlich immer auch eine Art zweiten Fahrer - den "Companion", der neue virtuelle Freund und ständige Beifahrer, der mit anderen Fahrern und Companions kommuniziert und über das Armaturenbrett Kontakt mit dem Fahrer aufnimmt.

Ein minimalistisches Auto eigentlich, eine Art Rechenzentrum, dem man genau das aber bitte nicht ansehen soll. Sitze von Fahrer und Beifahrer, die sich drehen, ein Auto mit Sensoren gespickt. "Alles wird sehr aufgeräumt sein im inneren Bereich", sagt Designchef Adrian van Hooydonk. "Wir stellen uns vor, dass Mensch und Maschine noch mehr verschmelzen werden."

Verschmelzen mit einem fahrenden Computer - das klingt sehr interessant. Da muss man noch sehen, ob man das auch wirklich so will. Aber vielleicht hilft etwas Lifestyle-Marketing: Das Auto soll zur "Sitzlandschaft" werden, einer Art mobile Wohnzimmer-Utopie. In 20 oder 30 Jahren soll das alles so kommen, sagt Krüger. Und bis dahin? Geht die Vergangenheit erst einmal weiter. Autos, die wie Autos aussehen, bis auf Weiteres Diesel, Benzin, Elektrowagen. Man muss ja irgendwie sein Geld verdienen, bis irgendwann der Companion übernimmt.

100 Jahre sind eine lange Zeit, und die Konkurrenz war schon 30 Jahre vorher da. Bei Daimler haben sie deshalb eine Glückwunsch-Anzeige für die Kollegen von BMW vorbereitet, da heißt es, die ersten Jahrzehnte ohne BMW seien doch eigentlich langweilig gewesen. Damals, um die vorletzte Jahrhundertwende herum. Es ging dann jahrzehntelang hin und her, Ende der 50er Jahre stand Daimler kurz davor, den damals kriselnden BMW-Konzern zu schlucken, der berappelte sich wieder und wurde 2005 größter Premiumbauer der Welt. Jetzt dreht sich das Ganze wieder; Daimler wächst schneller als BMW und Audi, und es ist nicht ausgeschlossen, dass Ende des Jahres der alte Daimler-Konzern wieder auf dem Thron sitzt.

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Ausgerechnet im Jahr 100.

Meister bei Stückzahlen, Volumen-Primus, die Nr. 1 auf den internationalen Absatzmärkten - ist das überhaupt noch die Währung, in der weiterhin abgerechnet wird? In Zukunft wird es wohl wichtiger sein, die von der Politik vorgegebenen CO₂-Ziele einzuhalten, um hohe Geldstrafen zu vermeiden. Es wird darauf ankommen, Autos zu bauen, die mehr haben als Lenkrad, Kupplung und Gaspedal. Die Generation Smartphone will Autos teilen, nicht besitzen, und das alles möglichst digital. Ob mehr S-Klassen oder mehr 7er verkauft werden, ist dann vielleicht egal.

Die Dieselprobleme von Volkswagen sind weit weg

Auch deshalb hält sich der Konzern, der sich so großartig feiert, nicht lange mit den vergangenen 100 Jahren auf. Die Spielregeln von einst sind eh nicht mehr gültig. "Wir sind heute schon Mobilitätsanbieter, die BMW Group ist heute schon kein ausschließlicher Fahrzeughersteller mehr", sagt Krüger - es klingt, als wolle da einer partout nicht mehr als Autobauer wahrgenommen werden. Die alte Autowelt hat einen faden Beigeschmack, und bei BMW feiert die Branche nicht nur, sondern denkt auch nach über sich.

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Die Dieselprobleme bei den Kollegen von Volkswagen sind von München aus gesehen weit weg, aber sie haben die gesamte Branche aufgeschreckt. "Auch für die anderen ist das keine schöne Sache", sagt einer aus der Autoindustrie "Aber für VW muss das ein Albtraum sein." "Albtraum" - man kann es immer noch nicht fassen, was da passiert ist.

VW ist Thema, ganz klar, auch auf der Bühne. "Transparenz gehört bei uns zu den Genen", heißt es dort. "Wir haben eine Unternehmenskultur, bei der wir miteinander reden und alle Themen offen ansprechen." Der Name Volkswagen fällt nicht. Aber die Botschaft ist klar.

Irgendwann lässt BMW seine anthrazitfarbene Theaterbühne verschwinden. Es wird jetzt natur-grün, und Kinder erzählen, wie sie sich die Mobilität von morgen wünschen. Und dann fahren sie doch noch im Parcours, die Autos. Alte, bunte Minis, es riecht jetzt nach Autoabgasen in der Halle. Ist doch irgendwie schwierig, so eine 100-Jahr-Feier ganz ohne Reminiszenzen. Vor allem, wenn man die Motoren auch noch im Namen hat.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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