Bischöfin Käßmann:"Gewinn machen und entlassen geht nicht"

Die Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, über die Mentalität der Gier und was Investmentbanker vom Apostel Paulus lernen können.

Alexandra Borchardt

Die Würde eines Menschen definiere sich nicht über den Arbeitsplatz, sagt Margot Käßmann, die Landesbischöfin von Hannover. Es sei unverantwortlich, sich nur für Rendite zu interessieren. Für die Theologin kommt es auf die innere Haltung zur Aufgabe an, egal ob Reinigungskraft oder Manager. Jeder müsse Verantwortung für seine Taten übernehmen und die Kräfte dafür einsetzen, dass die Welt etwas besser werde.

Bischöfin Käßmann: Margot Käßmann: "Die Würde eines Menschen definiert sich doch nicht über seinen Arbeitsplatz."

Margot Käßmann: "Die Würde eines Menschen definiert sich doch nicht über seinen Arbeitsplatz."

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Frau Käßmann, wann hat Sie das letzte Mal ein Manager um Rat gefragt?

Margot Käßmann: Rat? Nicht direkt. Aber ich war in zwei Unternehmen eingeladen, um Vorträge zu halten - was mich gewundert hat. Es gab eine Zeit, da hieß es aus der Wirtschaft immer, der Markt reguliert sich selbst, die Kirche hat uns nichts zu sagen.

SZ: Nehmen wir mal an, ein Manager oder Unternehmer käme zu Ihnen, der damit ringt, Menschen entlassen zu müssen. Was würden Sie ihm raten?

Käßmann: Ich würde sagen, dass Transparenz für alle wichtig ist und Glaubwürdigkeit. Und ich würde ihn dazu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn sich am Ende herausstellt, dass es vielleicht doch nicht der richtige Weg war.

SZ: Mitarbeiter entlassen ist also moralisch vertretbar?

Käßmann: Nicht, wenn jemand gleichzeitig Gewinn macht.

SZ: Der Unternehmer muss also warten, bis er rote Zahlen schreibt?

Käßmann: Genau. Gewinn machen und Mitarbeiter entlassen, das verträgt sich nicht. Es gibt eine soziale Verantwortung von Unternehmen.

SZ: Sie sind aber streng.

Käßmann: Ja. Zu mir kam zum Beispiel mal jemand, der wollte seinen Betrieb in die Ukraine verlagern, weil es da billiger ist.

SZ: Das könnte doch gut für die Menschen in der Ukraine sein.

Käßmann: Könnte sein. Aber dem habe ich gesagt, er möge seinen Familiensitz dann doch bitte auch in die Ukraine verlagern. Ich meine, die Leute leben hier, sie profitieren von kostenfreien Schulen, können in jedes Krankenhaus gehen, die Straßen werden saniert, und dann investieren sie woanders und zahlen hier nicht mal Steuern dafür. Das finde ich unsolidarisch.

SZ: Wenn jetzt ein Investmentbanker käme, der vorher Millionen verdient hat und jetzt arbeitslos ist: Hätten Sie für den Verständnis?

Käßmann: Ich bin ja Seelsorgerin. So würde ich ihm sagen, was schon der Apostel Paulus gesagt hat: Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.

SZ: Damit kann er vielleicht wenig anfangen.

Käßmann: Die Würde eines Menschen definiert sich doch nicht über seinen Arbeitsplatz. Für mich ist der erfolgreiche Unternehmer genauso viel wert wie der sterbende alte Mann. Ich würde ihm aber auch sagen: Jetzt sieh zu, wie du wieder Arbeit findest. Wenn er schon so gut mit Geld umgehen kann, könnte er zum Beispiel Schuldnerberater werden. Es gibt so viele Menschen in Not. Die Wartezeit bei unseren Beratungsstellen beträgt im Moment sechs Monate. Warum nicht mal was Soziales machen?

Lesen Sie weiter, warum Eliten eine besondere Verantwortung tragen.

"Gewinn machen und entlassen geht nicht"

SZ: Stecken wir in dieser Krise, weil unsere Eliten versagt haben?

Bischöfin Käßmann: Bischöfin Käßmann: "Das Gefühl für das Maß ist verlorengegangen."

Bischöfin Käßmann: "Das Gefühl für das Maß ist verlorengegangen."

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Käßmann: "Eliten", "versagen", das sind so große Worte. Ich denke schlicht, dass diese Mentalität der Gier nicht zukunftstauglich ist. Aber das hat nicht nur was mit Eliten zu tun. Diese Schnäppchenjägermentalität, die gibt es im ganzen Land, diese Egomanie . . .

SZ: Ziemlich prominent war der Fall der Oldenburgischen Landeskirche, die sich mit Lehman-Papieren verspekuliert hat. Das war doch sicher keine Egomanie, sondern entsprang dem Wunsch, etwas Christliches mit dem Geld zu tun.

Käßmann: Aber auch da gibt es ja Grenzen. Diese Vorstellung, dass Geld arbeitet, die finde ich absurd.

SZ: Wir sind also alle verantwortlich für die Krise?

Käßmann: Natürlich haben Eliten eine besondere Verantwortung. Sie müssen besonders glaubwürdig und zuverlässig sein. Dazu gehört eine innere Haltung, die sagt: Ich will dem Vertrauen gerecht werden, das viele Menschen in mich setzen.

SZ: Dürfen die dann auch Millionen verdienen?

Käßmann: Ich habe nichts dagegen, wenn jemand viel verdient. Eine Neidgesellschaft ist mit dem neunten und zehnten Gebot nicht vereinbar. Die sagen, dass du nicht ständig das begehren sollst, was der andere hat. Aber diese ganz exorbitanten Summen lassen sich mit Leistungen nicht mehr begründen. Das Gefühl für das Maß ist da verlorengegangen. Als Bischöfin sehe ich so viel Armut, Menschen, für die mir kein Ausweg einfällt - und bei anderen dann dieser Überfluss, der auch Selbstüberschätzung zur Folge hat.

SZ: Jesus sagte ja auch, eher gehe ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel komme . . .

Käßmann: Geld haben an sich ist auch im Sinne Jesu nichts Verwerfliches. Aber zu denken, ich bin ein Macher, ich mache mir mein Leben selbst - das ist mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar. Es ist eine Gnade, ein Geschenk, wenn dir diese Leistungskraft gegeben ist.

SZ: Also kommt es darauf an, was man mit dieser Kraft bewirkt.

Käßmann: Genau. Es gibt viele engagierte Unternehmer, die Stiftungen gründen, Gutes tun mit ihrem Geld. Das ist freies Unternehmertum im besten evangelischen Sinne. Hier in Niedersachsen haben wir zum Beispiel einen starken Mittelstand. Das sind häufig Menschen, die haben ein starkes Berufsethos, wie das schon Martin Luther gefordert hat. Die gehen keinem Job nach, die folgen ihrer Berufung.

SZ: Sind das eher die Unternehmer als die Manager?

Käßmann: Eher. Aber es kommt immer auf die innere Haltung zur eigenen Aufgabe an, ob das jetzt die Reinigungskraft ist oder der Chefmanager. Wer eine solche Haltung hat, bückt sich auch nicht vor Schmiergeld oder Lockvogelangeboten. Wenn sich jemand nur für die Rendite interessiert - das finde ich unverantwortlich.

SZ: Wenn Sie sich selbst als Führungskraft betrachten: Was war das größte Dilemma, in dem Sie sich bislang befunden haben?

Käßmann: Wir mussten unseren Haushalt in den letzten vier Jahren um 80 Millionen Euro herunterfahren. Da hat es letztlich auch einige wenige betriebsbedingte Kündigungen gegeben. Das waren bei 30000 Mitarbeitern nur eine Handvoll. Aber einem guten Mitarbeiter sagen müssen: Du musst gehen - das empfand ich als bitter und als persönliches Versagen.

Lesen Sie weiter, welche Eigenschaften eine gute Führungskraft mitbringen sollte.

"Gewinn machen und entlassen geht nicht"

SZ: Welche Eigenschaften braucht eine gute Führungskraft?

Käßmann: Offenheit, Glaubwürdigkeit, Kommunikationsfähigkeit, und sie muss den Menschen zugewandt sein. Ich muss dem Mitarbeiter in die Augen sehen können, wenn ich ihm schlechte Nachrichten überbringe. Und ich muss zugeben können, wenn ich gescheitert bin.

SZ: Diese Eigenschaft ist nicht sehr verbreitet.

Käßmann: Stimmt. Aber das christliche Menschenbild ist sehr realistisch. Es weiß seit Adam und Eva, dass der Mensch verführbar ist, seit Kain und Abel, dass er gewalttätig sein kann und seit Babel, dass er zum Größenwahn neigt.

SZ: Die Firma will dagegen den perfekten Mitarbeiter. Er soll motiviert, flexibel, stets leistungsbereit sein . . .

Käßmann: Dieser Leistungsdruck ist brutal. Viele sind in einem solchen Hamsterrad drin, dass sie gar nicht mehr über den Sinn des Ganzen nachdenken und darüber, dass das eigene Leben relativ kurz ist. Wir bieten seit einiger Zeit Klosteraufenthalte für Manager an.

SZ: Nach dem Power-Frühstück auch noch die Power-Sinnsuche?

Käßmann: Das ist keine Wellness-Spiritualität. Das dient nicht dazu, die Leistung zu verbessern, sondern dazu, sich zu überlegen, was die Ziele im Leben sind. Was soll einmal auf meiner Grabplatte stehen?

SZ: Geht es da nicht letztlich auch wieder nur um das Ich?

Käßmann: Wir haben zum Beispiel ein Programm, das heißt Altera, da gehen Manager für eine Woche in eine diakonische Einrichtung, deren Mitarbeiter gehen dafür ins Unternehmen. Wenn Führungskräfte mal in einem Hospiz gearbeitet haben, erleben sie, dass die Menschen dort auch eine Würde haben.

SZ: Könnte die Finanzkrise auch etwas Gutes haben?

Käßmann: Bei manchen hat sie eine neue Achtung für die Politik gebracht. Es muss wieder so sein, dass die Politik die Wirtschaft dominiert, nicht umgekehrt.

SZ: Woher nehmen Sie dieses Vertrauen in die Politik?

Käßmann: Die Politik ist stärker verankert in der Wirklichkeit der Menschen, weil immerhin alle paar Jahre Wahlen sind.

SZ: Und die Manager müssen sich in noch kürzeren Zeiträumen vor ihren Aktionären verantworten.

Käßmann: Ja, aber wenn es den Aktionären allein um die Rendite geht und nicht zum Beispiel darum, wie das Unternehmen mit seinen Mitarbeitern umgeht oder was es herstellt, ist für die Gesellschaft als Ganzes nichts gewonnen.

SZ: Und der Politiker weiß, wie man Arbeitsplätze schafft?

Käßmann: Nicht unbedingt, aber er oder sie erlebt öfter Menschen, die keinen Arbeitsplatz mehr haben. Die Manager, die ganz weit oben sind, haben doch gar keine Vorstellung davon, wie es da draußen wirklich aussieht.

SZ: Was muss sich ändern?

Käßmann: Dieses Bewusstsein, dass ich mich engagieren muss, das muss wachsen. In Amerika zum Beispiel steht schon in den Schulzeugnissen der Kinder, wofür die sich engagieren, und darauf wird auch bei Bewerbungen Wert gelegt. Wenn jeder Mensch so lebt, dass er Verantwortung übernimmt für das Gewebe, das uns zusammenhält - für den eigenen Ort, für mein Land, für Europa, für die Welt - dann kann sich viel ändern.

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