Biolebensmittel:Giftiger Streit

Biolebensmittel: Die Zahl der Bio-Supermärkte wächst stetig. Zuletzt stieg der Jahresumsatz der Branche um elf Prozent.

Die Zahl der Bio-Supermärkte wächst stetig. Zuletzt stieg der Jahresumsatz der Branche um elf Prozent.

(Foto: Robert Haas)

Die EU will die Regeln für Biolebensmittel verschärfen. Die Öko-Verbände sind über die Pläne der Kommission empört. Denn die will vor allem strengere Grenzwerte für Pestizide. Ein gute Sache, könnte man da als Verbraucher denken. Doch die Sache hat einen Haken.

Von Silvia Liebrich

Bio-Produkte sind gefragter denn je. Was klein in muffigen Bioläden begann, hat sich zu einem Massenmarkt entwickelt. Und das macht die Branche wie jede andere anfällig für Betrügereien. Der bisher größte Fall flog vor vier Jahren auf, als gefälschte Öko-Lebensmittel im Wert von 220 Millionen Euro europaweit in den Handel gelangten. Eine Firma hatte von 2007 bis 2010 konventionelle Ware aus Rumänien und Italien als Öko-Produkte verkauft. Auch Kontrolleure, die Biobauern eigentlich überwachen sollen, waren beteiligt. Groß war danach die Empörung. Die Politik kündigte strengere Regeln für den Handel mit Bio-Produkten auf EU-Ebene an. Geschehen ist bis heute: nichts.

Stattdessen wird seit knapp drei Jahren in Brüssel über eine Reform der EU-Ökoverordnung gestritten. Spätestens bis Ende des Jahres sollte eigentlich ein Vorschlag auf dem Tisch liegen. Doch der Termin wackelt. Für großen Unmut sorgt vor allem ein Vorschlag der Kommission, der vorsieht, die Grenzwerte für Pestizide in Bio-Lebensmitteln zu verschärfen. Das treibt nicht nur die Öko-Verbände auf die Barrikaden, sondern stößt auch im Europäischen Parlament auf breite Ablehnung.

Leicht zu durchschauen ist diese Auseinandersetzung nicht. So mancher Käufer von Bio-Ware dürfte sich ohnehin fragen, was Pestizide überhaupt in Öko-Produkten verloren haben. Geht es bei Bio nicht darum, ganz auf giftige Spritzmittel zu verzichten? "Das ist schwierig in einer Landwirtschaft, in der 95 Prozent der Bauern konventionell arbeiten und Pestizide einsetzen", sagt Martin Häusling, Agrarexperte und Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament. Will heißen: Wenn der Nachbar Gift versprüht, kann ein bisschen davon ungewollt auf den Acker des Bio-Landwirts niederrieseln. Deshalb werden nach den geltenden EU-Bio-Regeln geringe Rückstände bis zu einem bestimmten Grenzwert toleriert. Wird der Wert überschritten, darf der Erzeuger sein Obst oder Gemüse nicht als Bio verkaufen. Die Öko-Branche gehört zu den wenigen Bereichen in der Lebensmittelbranche mit klaren Regeln für die Produzenten.

Dass die EU-Kommission nun vor allem mit schärferen Grenzwerten Misswirtschaft und Betrug vorbeugen will, hält Häusling für den falschen Weg. "Das würde die Verantwortung für sauberere Bio-Produkte allein auf den Öko-Sektor übertragen und wäre eine Umkehr der Beweislast." Die eigentlichen Verursacher blieben unbehelligt. Der Grünen-Politiker verhandelt im Auftrag des EU-Parlaments mit Kommission und Rat über die Öko-Verordnung.

Drastischer formuliert es Felix zu Löwenstein, Vorsitzender des Öko-Dachverbandes BÖLW. Er bezeichnet das Vorhaben der Kommission als "Bio-Verhinderungsgesetz", das die Existenz von Ökobauern gefährde. Eine Revision der EU-Bio-Regeln sei unter diesen Umständen inakzeptabel. Häusling, der selbst Bio-Landwirt ist, warnt vor einer solchen Blockadehaltung. "Es wird keine Revolution geben, aber wir brauchen eine Evolution auf EU-Ebene."

Ursprünglich wollte die Kommission für Pestizide in Bio-Ware so niedrige Grenzen wie für Babynahrung. Im Gespräch war auch, dass Bio-Ware, die mit einem Pestizid-Cocktail von mindestens drei Stoffen belastet ist, das Öko-Siegel verlieren sollten. Dann sei die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Mittel gezielt eingesetzt wurden. "Das ist weltfremd", meint Häusling, für einen solchen Vorwurf braucht es Beweise." Das Parlament werde dem keinesfalls zustimmen, damit seien diese Vorschläge der Kommission vom Tisch - und der Streit geht in die nächste Runde.

Ungelöst bleibt laut Häusling eines der Hauptprobleme der Öko-Branche: "Wir brauchen einheitliche Kontrollstandards in der EU." Die bisherige Verordnung gilt seit 1992 und wird in den Ländern sehr unterschiedlich umgesetzt. Ein weiteres Manko sei der fehlende Datenaustausch. Der könnte helfen, Betrugsfälle wie in Italien zu vermeiden, glaubt Häusling. "Es würde auffallen, wenn ein Händler mehr Bio-Weizen aus Rumänien verkauft, als dort angebaut wird."

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