Billiglinie Ryanair:Der Staatsanwalt fliegt mit

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Ryanair unter Druck: Aufnahme eines Ryanair-Flugzeugs auf dem Flughafen Barcelona

(Foto: AFP)
  • Ryanair-Vorstand Michael Hickey will mit seiner irischen Billig-Fluggesellschaft weiter wachsen, besonders in Deutschland. Das setzt die Konkurrenten Air Berlin und Easyjet unter Druck.
  • Unter der Billigstrategie leiden SZ-Recherchen zufolge besonders die Piloten. Zahlreiche Kapitäne haben zweifelhafte Verträge unterschrieben.
  • Dafür interessieren sich nun deutsche Justizbehörden. Dabei geht es auch um den Verdacht auf Sozialversicherungsbetrug und Steuerhinterziehung.

Analyse von Björn Finke und Jens Flottau

Aus den Fenstern geht der Blick auf die anderen Hochhäuser in Londons Bankenviertel und den überraschenderweise fast wolkenlosen Himmel. Weniger überraschend ist es, was der Mann am Kopfende des Raums, Ryanair-Vorstand Michael Hickey, bei seiner Vorstellung der Jahresbilanz am Dienstag berichtet: Die irische Billig-Fluggesellschaft will weiter aggressiv wachsen, zu Lasten ihrer Rivalen in Europa. Und die Kosten seines Unternehmens seien mit Abstand die niedrigsten in der Branche. Natürlich würden sie niedrig bleiben.

Besonders viel verspricht sich das Unternehmen, das im vergangenen Jahr 90,6 Millionen Passagiere transportierte, von Deutschland: Der geringe Marktanteil von vier Prozent soll sich in den kommenden vier bis fünf Jahren vervierfachen, neue Verbindungen und Flughäfen sollen hinzukommen. Für den angeschlagenen Rivalen Air Berlin und auch für Lufthansa sind das bedrohliche Aussichten - Analysten sagen wegen der Angriffe von Ryanair und Easyjet einen Preiskrieg voraus.

Gut für den Kunden. Doch gibt es eine wichtige Gruppe von Arbeitnehmern, die für Ryanairs Billig-Strategie einen hohen Preis zahlt: die Piloten. Recherchen von WDR, NDR und der Süddeutschen Zeitung haben ergeben, dass sich die Kapitäne zum Teil auf zumindest zweifelhafte Vertragskonstruktionen einlassen müssen. Diese dubiosen Deals interessieren inzwischen auch die Justiz.

Es geht um den Verdacht auf Sozialversicherungsbetrug und Steuerhinterziehung

Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen in Deutschland stationierte Ryanair-Piloten und einen Personaldienstleister in England, der im großen Stil Piloten an die Billig-Fluggesellschaft vermittelt. Bei der Personalagentur handelt es sich den Informationen zufolge um die Firma Brookfield Aviation. Es geht um den Verdacht auf Sozialversicherungsbetrug und Steuerhinterziehung, die Räume der Firma wurden untersucht.

Für Ryanair fliegen nach einer Studie der Universität Gent etwa 3000 Piloten. Der Ryanair Pilots Group (RPG) zufolge, einer von der Airline nicht anerkannten Interessensvertretung, sind aber mehr als die Hälfte der Cockpit-Mitarbeiter nicht direkt bei Ryanair fest angestellt. Sie werden stattdessen von Personalagenturen wie Brookfield vermittelt und sind dazu verpflichtet, mithilfe von durch Ryanair ausgewählten Kanzleien Gesellschaften mit beschränkter Haftung nach irischem Recht zu gründen. Die Piloten sind dann formal Geschäftsführer ihrer eigenen Firmen und arbeiten selbständig.

Ryanair spart sich so die Abgaben für Kranken- und Sozialversicherung, es gibt kein Urlaubs- und Krankengeld. Die Piloten müssen sich selbst gegen Berufsunfähigkeit absichern und erhalten keine Betriebsrente. Zudem kann ihr monatliches Einkommen stark schwanken, denn Ryanair garantiert keine Mindestanzahl an Flugstunden. Das Risiko karger Monate ist gerade bei Ryanair hoch, weil die Billig-Fluggesellschaft in der nachfrageschwachen Winterzeit routinemäßig knapp hundert Maschinen am Boden lässt. Allerdings haben diese Piloten ähnliche Pflichten wie ihre fest angestellten Kollegen und wenig Chancen, parallel für ein anderes Unternehmen zu fliegen - daher der Verdacht auf Scheinselbständigkeit.

Die Studie der belgischen Universität Gent, in Auftrag gegeben von der Europäischen Kommission, zeigt, dass solch seltsame Beschäftigungsverhältnisse auch bei anderen europäischen Billig-Fluggesellschaften zunehmen. Einige Unternehmen gehen sogar noch weiter: Hier müssen Co-Piloten für ihre Einsatzzeiten im Cockpit bezahlen, statt Geld zu bekommen. Viele Pilotenanwärter lassen sich darauf ein, weil sie hoffen, eine ordentliche Stelle in ihrem Traumberuf zu finden, wenn sie erst ausreichend Flugstunden gesammelt haben. Dabei müssen Piloten, die nicht bei einem der Top-Arbeitgeber wie Lufthansa unterkommen, zuvor schon die teure Ausbildung vollständig selbst finanzieren.

Folgen der Ermittlungen könnten für Ryanair gravierend sein

Die Verhältnisse bei Ryanair beschäftigen nicht nur die Staatsanwaltschaft Koblenz, sondern unter anderem auch das Arbeitsgericht Wesel. Dort hat der ehemalige Ryanair-Pilot und Brookfield-Klient Erik Fengler die Airline und Brookfield verklagt, weil ihm seiner Ansicht nach noch mehrere Tausend Euro zustehen. Dabei wird das Gericht auch der Frage nachgehen, ob Fengler nicht ohnehin während seiner zwei Jahre als Pilot als abhängig Beschäftigter anzusehen war.

Die Folgen der Ermittlungen in Deutschland könnten für Ryanair gravierend sein, auch jenseits des Imageschadens: In Frankreich wurde die Airline wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsabgaben im vergangenen Jahr zu einer Zahlung von mehr als acht Millionen Euro verurteilt.

Wobei das Urteil keinen Armen trifft: Den Geschäftszahlen von Dienstag zufolge steigerte Ryanair seinen Gewinn im vorigen Jahr um zwei Drittel auf 867 Millionen Euro. Der Umsatz stieg um zwölf Prozent auf 5,7 Milliarden Euro. Im laufenden Jahr sollen der Gewinn und die Zahl der Passagiere um zehn Prozent zulegen - dann würde Ryanair 100 Millionen Fluggäste transportieren. Im Jahr 2023 sollen es gar 160 Millionen sein, weswegen die Iren ihre Flotte aufstocken. Plätze an Flughäfen - auch zentral gelegenen - zu bekommen, sei kein Problem, sagt Ryanair-Finanzvorstand Neil Sorahan: "Die stehen bei uns Schlange, weil andere Fluggesellschaften Verbindungen einstellen."

Die Passagiere profitieren: Flugtickets werden immer billiger

Der niedrige Ölpreis macht auch Kerosin billiger, ein wichtiger Kostenblock für Airlines. Sorahan schätzt, Konkurrenten könnten das für "irrationale Preissenkungen" nutzen. Daher rechnet der Konzern damit, dass seine durchschnittlichen Ticketpreise im Sommer um bis zu zwei Prozent und im Winterhalbjahr um vier bis acht Prozent fallen.

Einer Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zufolge wurden Tickets in Deutschland bereits in diesem Winter deutlich günstiger. Je nach Strecke und Anbieter waren im Durchschnitt nur 50 bis 130 Euro fällig, vor einem Jahr betrug die Spanne 70 bis 160 Euro.

Analysten von Bank of America Merrill Lynch warnen in einer Studie schon vor einem "Preiskrieg" durch Überkapazitäten am Himmel über Europa. Vor allem in Deutschland wachse das Angebot an Flügen deutlich stärker als die Nachfrage, heißt es da. Fallen die Preise tatsächlich deutlich, wäre das für Air Berlin existenzbedrohend. Der angeschlagene Konzern sieht in seinem Rettungsplan vor, die Erlöse pro Passagier zu erhöhen.

Auch die Deutsche Lufthansa bekäme Probleme. Sie baut gerade die Tochter Eurowings zu einem veritablen Billigflug-Anbieter aus. Die Kosten der derzeitigen Regionalfluggesellschaft Eurowings liegen nach Schätzungen 40 Prozent unter dem Lufthansa-Niveau - und damit in etwa gleichauf mit Easyjet, wenn auch nicht mit Ryanair. Jedoch wird auch Germanwings, eine Tochter, die deutlich höhere Kosten als Eurowings hat, Teil dieser neuen Billigplattform.

Es ist eben schwer, mit Ryanair und den dubiosen Spartricks der Iren mitzuhalten.

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