Big Data:Böse sind die anderen

A man is silhouetted against a video screen with an Apple logo as he poses with an Samsung Galaxy S4 smartphone in this photo illustration taken in the central Bosnian town of Zenica

Samsung-Handy vor dem Logo der Konkurrenz: Apple betont nun, dass ihm der Datenschutz mehr am Herzen liege als den Wettbewerbern.

(Foto: Dado Ruvic/Reuters)

Apple inszeniert sich als Anti-Google und beteuert, nicht an den gesammelten Daten verdienen zu wollen. Aber wie glaubwürdig ist das? Kritiker warnen vor Naivität.

Von Simon Hurtz

Seit einem Jahr präsentiert Apple auf seiner Webseite einen offenen Brief von Tim Cook, der zwei Botschaften vermittelt. Die eine steht in den ersten beiden Sätzen: "Das Vertrauen seiner Kunden bedeutet Apple sehr viel. Deshalb respektieren wir die Privatsphäre jedes Einzelnen." Danach erklärt der Apple-Chef, wie sich sein Unternehmen für Sicherheit und Datenschutz einsetzt und schließt dann die zweite Botschaft an: "Unser Geschäftsmodell ist sehr einfach: Wir verkaufen großartige Produkte. Wir erstellen keine Profile aus den E-Mail-Inhalten oder Surfgewohnheiten unserer Kunden, um sie dann an Werbetreibende zu verkaufen."

Man muss nicht allzu angestrengt zwischen den Zeilen lesen, um den impliziten Vorwurf zu erkennen: Aber andere tun das. Ohne Google und Facebook direkt zu erwähnen, grenzt sich Cook scharf von den Rivalen aus dem Silicon Valley ab. Bei kostenlosen Internetdiensten seien Nutzer nicht Kunden, sondern Produkte. Apple hingegen zeigt sich überzeugt, "dass ein tolles Benutzererlebnis nicht mit einem Verlust an Privatsphäre bezahlt werden darf". Damit diese Nachricht auch bei den Nutzern ankommt, hat Apple am Dienstag die Privatsphäre-Sektion auf seiner Homepage aktualisiert. Die augenfälligste Neuerung ist der Punkt "Verschlüsselung". Zwar verschlüsselt Apple Daten eigenen Angaben zufolge bereits seit mehr als zehn Jahren, doch jetzt kommuniziert der Konzern das erstmals ausdrücklich.

"Wer sich nicht schützt, wacht in fünf Jahren in einer Welt auf, in der er nicht leben will."

Im Gespräch betonen Mitarbeiter, die bei Apple für Privatsphäre und Datenschutz zuständig sind, wie essenziell dieses Vorgehen ihrer Meinung nach sei. Beinahe täglich höre man von Hacker-Angriffen, und auch die Datensammelwut der Geheimdienste sei besorgniserregend. Immer mehr Geräte würden immer mehr Daten sammeln, darunter sensible Informationen wie Gesundheits- oder Bewegungsdaten. Wer heute keine effektiven Maßnahmen zu deren Schutz anwende, laufe Gefahr, in fünf Jahren in einer Welt aufzuwachen, in der man nicht leben wolle. Auch Gus Hosein, Chef der Bürgerrechtsorganisation Privacy International, hält Verschlüsselung für unabdingbar. Hunderte Millionen Nutzer seien nun besser vor den Schnüffeleien der amerikanischen und britischen Geheimdienste geschützt. "Man muss abwarten, wie konsequent sich Apple gegen staatliche Anfragen auf Nutzerdaten wehrt, zum jetzigen Zeitpunkt deutet nichts auf vorauseilenden Gehorsam gegenüber Geheimdiensten hin. Ich hoffe, dass andere Firmen diesem Beispiel folgen." Die Einführung von verschlüsselten Whatsapp-Nachrichten oder die Bemühungen von Google würden zeigen, dass das einstige Nischenthema Verschlüsselung allmählich im Mainstream ankomme.

Neben der Fokussierung auf Datensicherheit wurde die Privatsphäre-Seite durch kürzlich vorgestellte Produkte ergänzt. Darunter Apple Music, CarPlay oder die mit iOS 9 eingeführten "Content Blocker", mit denen man im Safari-Browser werbefrei surfen kann. Letztere seien Apple zufolge aber ausdrücklich kein Angriff auf Google, wie es viele Analysten und Medien interpretierten. Nutzer sollten mehr Kontrolle bekommen und selbst entscheiden können, ob und welche Anzeigen ausgespielt werden. Man habe kein Interesse daran, das werbefinanzierte Geschäftsmodell anderer Firmen zu zerstören, nichtsdestotrotz dürfte es ein willkommener Nebeneffekt sein, wenn einer der größten Konkurrenten nun sein mobiles Anzeigengeschäft überdenken muss.

Besonders großen Wert legt Apple darauf, dass ein Großteil der Daten ausschließlich lokal gespeichert werde und jederzeit gelöscht werden könne. Statt Nutzerprofile zu erstellen, übertrage man individuelle Informationen anonymisiert und mit einer zufallsgenerierten Kennung versehen. Auch hier darf ein versteckter Seitenhieb nicht fehlen: Während "manche Unternehmen" versuchten, etwa den Standortverlauf für Werbezwecke zu nutzen, habe Apple daran kein Interesse, da man nicht von Werbung abhängig sei.

Der Konzern soll Dritten Einblick gewähren und Nutzern mehr Kontrolle geben, rät ein Analyst

Einige Branchen-Insider wie etwa Benedict Evans, der als Analyst für den Investor Andreessen Horowitz arbeitet, glauben, dass Apple die Bedürfnisse der Nutzer falsch einschätze. Wichtiger als Datenschutz sei ein überzeugendes Produkt. Kaum jemand nehme eingeschränkten Komfort oder schlechtere Suchergebnisse für mehr Privatsphäre in Kauf. Apple widerspricht dem. Die Gleichung "je weniger Anonymität, desto mehr Funktionalität" sei falsch. Apple Maps könne mit Googles Kartendienst mithalten, Siri müsse sich nicht hinter Google Now oder Microsofts Cortana verstecken. Auch Gus Hosein glaubt nicht, dass Apple den Stellenwert von Datenschutz und Datensicherheit als Verkaufsargument überschätzt. "Immer mehr Menschen legen Wert darauf, möglichst wenige persönliche Informationen preiszugeben." Mittlerweile trage jeder Smartphone-Besitzer einen Hochleistungs-Computer bei sich. Das müsse reichen, um Daten auszuwerten und Produkte auf einzelne Nutzer zuzuschneiden.

Obwohl Hosein insgesamt zufrieden mit Apples Datenschutz-Praxis ist und das Privatsphäre-Argument nicht für bloße PR-Strategie hält, sieht er Verbesserungspotenzial. "Schön und gut, dass Apple verschlüsselt und relativ glaubwürdig versichert, dass Datenschutz Priorität genieße. Aber glauben Sie mir: Wir werden auch in Zukunft Druck auf Apple ausüben. Ihre Betriebssysteme und Produkte sind hermetisch abgeriegelt. Wir wünschen uns, dass sie ihre Systeme öffnen, unabhängigen Dritten Einblick gewähren und den Nutzern mehr Kontrolle geben."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: