Bettler:Ach, edle Armut

Schroffe Herablassung statt dankbarer Großzügigkeit: Unsere Gesellschaft hat verlernt, mit dem uralten Gewerbe des Bettelns angemessen zu leben.

Michael Frank

Nein, sagen die Besorgten, sie gäben diesen Leuten nie etwas. Das seien doch alles nur Mitglieder wohlorganisierter Banden aus Rumänien. Und wenn nicht, dann die würden sie alles doch nur vertrinken. Honorige Bürger bekommen bei diesen Worten oft einen ganz steifen Schritt und blicken starr nach vorne, um ja nicht vom Anblick der kauernden Gestalt am Wegesrand irritiert zu werden.

Bettler: Bettler: Atmosphäre lauernder Scham und kalter Herablassung.

Bettler: Atmosphäre lauernder Scham und kalter Herablassung.

(Foto: Foto: istock)

Wenn die Rechtschaffenen dann am Abend ihre Spätlese entkorkt oder den Gin Fizz gemixt haben, sind sie gerne bereit, zu erläutern, warum man den Bettlern eigentlich nie etwas geben darf: Die einen seien Sklaven gerissener, halbkrimineller Ausbeuter, die zu unterstützen frevelhaft sei. Und dann der Alkoholismus. Man werde und dürfe nicht dazu beitragen, dass die Elenden ihr Schicksal durch exzessiven Genuss minderwertigsten Fusels noch verschlimmerten, dass zum materiellen Unglück noch die dumpfe Verworfenheit des Drogenkonsums trete. Ach ja, wenn die sich eine heiße Suppe kauften oder ein Schwarzbrot...

Kleiderfetzen über dem Kopf

Wir lernen, Armut ist eine anspruchsvolle Sache. Sie verlangt Abstinenz und Edelmut, Redlichkeit und Geschmack. Und wie es scheint, sind sich die Bettler ihrer Schuld, nicht abstinent, edel und geschmackvoll zu sein, bewusst: Eine ungute Mischung aus Verlegenheit, Furcht und Herausforderung spricht aus ihrem Blick, der geradem Hinsehen meist nicht standhält. Darin verrät sich eine merkwürdige Wechselbeziehung zwischen Geber und Bettler, denn beide haben das Gefühl dafür verloren, dass es sich bei der Bettelei um ein uraltes und ehrenwertes Gewerbe zum gegenseitigen Vorteil handelt. Wo früher Rituale von Großzügigkeit und Dankbarkeit zelebriert wurden, herrscht heute eine Atmosphäre lauernder Scham und kalter Herablassung.

Ausgerechnet jene abendländische Dressur, die wir Ethos nennen, hat den Bettlern ihre Ehre und den Wohlgestellten die souveräne Mildtätigkeit geraubt: Das Ethos von Tugend, Arbeitsamkeit und Frömmigkeit. Man muss nicht einmal nach Korea oder Japan gehen, wo das Erbe des antiken Tugend-Terroristen Konfuzius die Armen in die Knie zwingt: In Straßenunterführungen oder anderen belebten Orten kauern neben dem Menschenstrom Gestalten buchstäblich auf dem Gesicht, Kleiderfetzen über den Kopf gezogen, vor sich den Deckel eines Schuhkartons.

Nur niemandes Blick begegnen, denn Armut ist Schande, und Betteln bedeutet den Verlust des Gesichts; der des Lebens wäre kaum schlimmer.

Wundersam, dass im Abendland die Kirchgänger statistisch am wenigsten für die Armen übrig haben, die Protestanten noch weniger als die Katholiken (anonyme adventliche Großspendenaktionen sind eine andere Sache). Wo ist die Gewissheit hin, dass ein Almosen zur dereinstigen Heiligung beitrage, dass Geben seliger wäre denn Nehmen?

Not als Schande

Der Islam hat ein kluges Gesetz daraus gemacht: Wer nach dem Freitagsgebet nicht den Almosenheischenden oder dem armen Nachbarn am besten unbemerkt nach Kräften gibt, lädt sich Sünde auf die Seele und Schande auf sein Haus. Und wer da aus Not bettelt, der vollzieht ein islamisches Menschenrecht, erhobenen Hauptes, in aller Würde, als einer, der den anderen die Steine vom Pfad der Tugend räumt, das Edelsein bequem macht und folglich alle Achtung verdient.

Im Abendland dagegen wurde die Not zur Schande gemacht und der Bettler zum Schuldigen und Schuldner. Spendenfreude stellt sich nur ein, wenn der Bettler etwa jetzt im Advent vom Festkalender der Rührseligkeit zu profitieren versteht. Neben dem Talmi der Christkindlmärkte darf er gegen Entgelt gleichsam als lebende Krippenfigur jenen Part des christlichen Menschwerdungsmythos' geben, der den eigentlichen Kern der Weihnachtsbotschaft ausmacht: die nackte Armut des Kindes in der Krippe.

All dies hat Bettler tückisch und berechnend, aber auch sprachlos und ängstlich gemacht. Und sind sie nicht stumm und demütig, dann sind wir empört. Halten wir nicht jene alten Zigeunerweiber für besonders unverschämt, die dem Christenmenschen vor Kirchentüren auflauern, Zettel mit Blockschrift über Flucht, Verfolgung, viele Kinder, viel Hunger hinhalten; die - ihre Umhüllung kunstfertig in der Balance zwischen ärmlichen Lumpen und bunter Folklore haltend - ihre rotznasige Brut schwenken und mit einer Miene wie das Leiden Christi um Gaben winseln.

Lesen Sie im zweiten Teil, wo das alte Gewerbe noch lebt - und warum auch Bettler Ehre und Prinzipien haben.

Ach, edle Armut

Oder jener junge Mann, der vor den Kurgästen seinen durch einen Unfall entstellten Körper präsentiert, dem vom rechten Arm nur noch der bizarre Sporn des Schulterknochens geblieben ist, der auf Befragen bereitwillig den verhängnisvollen Hergang schildert. Oder jene zehnjährigen Teufelchen, die für ein paar Cent kreischend Komödie spielen.

Sie alle arbeiten in der Würde eines Gewerbes, das wie jedes andere anständige Gewerbe auf dem Prinzip des do ut des aufbaut, dem Prinzip zu geben, um zu bekommen. Zigeuner, Krüppel, Komödiant sind die letzten, die den Versuch wagen, ein Äquivalent zu bieten, dem Spender Sinn und Begründung für sein Gutsein und ein Gefühl höheren Selbstwertes zu vermitteln.

Mitgestalter der Sozialordnung

Anderwärts lebt das alte Bettlergewerbe. Zum Beispiel in Afrika. Wenn sich eine Blinde, meist von einem Kind geführt, einem Gehöft nähert, so kündigt sie ihr Kommen schon von Weitem mit dem Klappern der letztgespendeten Münzen in der Emailleschale an. Gemächlich tritt man vors Haus, erwartet die Alte, die in einer kunstvollen Ballade ihr Elend wie ihre Hoffnung auf Freigiebigkeit schildert. Jetzt erst und je nach der Schwere des Gebrechens wird der Obolus bemessen.

Danach aber folgt der Hauptakt: Der Lobpreis von Edelmut und Großherzigkeit. Ein Bettler von Anstand und Format geht in Afrika nicht weg, bevor er nicht Mensch, Haus und Vieh gesegnet, bis er nicht reich ausgemalt hat, mit welchen Fürbitten er himmlische Wohltaten und Gnadenfälle auf die herabwünschen wird, die ihm Gutes getan haben. Die Wohltäter wohnen der Lobpreisung mit Behagen bei, bekommen so ihren Lohn und dürfen auf weiteren hoffen, denn die Gebete der Armen, das weiß man überall, sind wirkungsvoller denn die der Satten.

Wir müssen uns das im alten Abendland, im alten Mitteleuropa ähnlich vorstellen, wo der Bettler ein fester Mitgestalter der Sozialordnung war, der, wie es Jan Neruda in den Kleinseitner Geschichten aus dem alten Prag berichtet, als be- und geachtete Gestalt mit Würde seinen Ansprüchen und Pflichten nachging. Auch heute ist das Paar blinder Sänger von der Karlsbrücke kaum wegzudenken, für das die immer gleichen Passanten die Patenschaft, gleichsam eine Lebensversicherung übernommen haben.

Verlernt, die Not zu beherrschen

In den mit offener Armut geübteren Gesellschaften Europas hat auch der Bettler noch immer Ehre und Prinzipien. So wie jener in der Pariser Rue Dauphine, der angesichts einer sehr großzügigen Spende dem Geber mit rudernden Armen und dem Ruf nachhinkt: "Zu viel, zu viel!" So einer weiß, dass in einer Stadt, wo in jedem Metrowaggon und hinter jedem Marktstand ein Armer ein Almosen heischt, auch die schönste Seele sich mit großzügigeren Gaben bald selbst ruinieren - oder hartherzig würde. Deshalb gehen die Wünsche nach kleiner, aber regelmäßig gespendeter Münze.

In Deutschland hat man weithin verlernt, alte und neue Not zu beherrschen. Die sich mehrenden Bettler erinnern unangenehm daran. Mit Schroffheit lädt man den ohnehin vom Schicksal Beladenen eigene Verstörung und den Verdruss darüber auf, mit dieser archaischen Sparte des Geldgewerbes nichts mehr anfangen zu können.

Und die Gerechten erinnern sich ihrer Prinzipien, geben am besten gar nicht, denn es könnte ja einen treffen, der es nicht nötig hat - wie soll man die denn auch erkennen. Statt möglichst vielen klein zu geben, damit nicht jene unversehens leer ausgehen, die wirklich Not leiden. Dafür darf man dann ein herzhaftes Dankeschön, einen Lobpreis oder eine fromme Fürbitte einfordern.

Auch hier gibt's nichts umsonst.

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