Beschönigte Bilanz:Europa trickst mit Griechenlands Zahlen

Lesezeit: 3 min

Mit einem weiteren Rettungspaket wollen die Euro-Finanzminister die griechische Staatsverschuldung in den kommenden acht Jahren drastisch senken - von momentan mehr als 170 Prozent auf 124 Prozent der Wirtschaftsleistung. Doch diese Prognose ist das Ergebnis geschickter Zahlenspiele. Selbst die Troika weiß: Die Berechnung ist unrealistisch.

Pia Ratzesberger

Griechenland ist die Elbphilharmonie Europas: Nach außen werden die Kosten mit einem Mindestbetrag veranschlagt - doch in Wirklichkeit wissen alle, dass dieses Budget niemals ausreichen wird. Erst in der Nacht zum Dienstag hatten sich die Euro-Finanzminister, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB) nach wochenlangen Verhandlungen auf ein neues Hilfspaket geeinigt - 44 Milliarden Euro sollen in das marode Land fließen und als Treibstoff für die Wirtschaft dienen. Im Gegenzug soll Griechenland in den kommenden zwei Jahren seinen immensen Schuldenberg deutlich verringern, zuletzt lag die Verschuldung bei etwa 171 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ( PDF).

IWF-Chefin Christine Lagarde bestand auf dem sicheren Schuldenabbau, andernfalls drohte der Internationale Währungsfonds aus dem Rettungsprogramm auszusteigen. Den Euro-Finanzministern blieb also nichts anderes übrig, als auf Biegen und Brechen die Schulden Griechenlands für die kommenden Jahre herunterzurechnen, um den IWF weiter mit im Boot zu halten.

Das Ergebnis ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten, eine wage Zukunftsprognose, die zur Tatsache überhöht wird: Längere Kreditlaufzeiten und niedrigere Zinsen sollen den Griechen nun helfen ihre Schulden einzudampfen. Außerdem soll die griechische Regierung ihre eigenen Staatsanleihen von privaten Gläubigern zu einem Preis von 35 Cent pro Euro Nominalwert zurückkaufen können. Auf dem Finanzmarkt werden die Anleihen momentan zwischen 20 und 30 Cent gehandelt. Mit einem solchen Schuldenaufkauf könnte Premier Samaras die Verschuldung theoretisch zwar leicht verringern. Doch sicher ist das keineswegs: Die meisten Besitzer von griechischen Staatsanleihen sind ausländische Investmentfonds. Ob die ihre Anteile zu solch geringen Preisen verkaufen möchten, ist unklar. Zudem können die Verkaufspreise schnell wieder steigen - dann würden Investoren erst recht mit dem Verkauf warten, um die Anleihen später zu einem höheren Preis abzustoßen.

Die Prognose der Euro-Finanzminister, dass die Staatsverschuldung Griechenlands in den nächsten acht Jahren auf 124 Prozent der Wirtschaftsleistung gedrückt wird und in zehn Jahren sogar weit unter die 110 Prozent fallen soll, ist daher mehr als optimistisch. Auch wenn die Euro-Staaten auf ihre eigenen Gewinne aus griechischen Staatsanleihen verzichten und die Europäische Zentralbank diese von nun an direkt nach Athen weiterleiten wird: Das entlastet den Haushalt Griechenlands voraussichtlich um gerade einmal elf Milliarden.

Die Euro-Finanzminister wissen daher wohl nur zu gut, dass ihr Maßnahmenbündel kaum ausreichen wird, um Griechenland aus der Verschuldung zu hieven. Experten der Euro-Zone und des Internationalen Währungsfonds haben laut einem Dokument, das die Financial Times in ihrem Blog verlinkt, längst berechnet ( PDF),

[] dass die Staatsverschuldung bis 2020 nicht auf die erhofften 124 Prozent des Bruttoinlandproduktes, sondern nur auf 126,26 Prozent gesenkt werden kann.

[] Auch der Traum von einem Ergebnis unter 110 Prozent im Jahr 2022 ist erst recht unrealistisch: Vielmehr wird die Schuldenquote nach den Experten-Berechnungen immer noch 115 Prozent betragen.

Verantwortlich für die beschönigenden Rechnungsergebnisse sind wohl unter anderem fragwürdige Grundannahmen der Troika. Die geht laut dem Wall Street Journal Deutschland zum Beispiel davon aus, dass die griechische Wirtschaft in zwei Jahren schon wieder schwarze Zahlen schreibt - angesichts der tiefen Krise und den Sparmaßnahmen, die das Land seit Monaten beuteln, gilt eine derart schnelle Erholung aber als unwahrscheinlich. Schon in den vergangenen Jahren hatte die Troika ihre Prognosen oft zu optimistisch angesetzt, seit 2007 lagen ihre Vorhersagen für die Entwicklung der griechischen Wirtschaft stets weit über der tatsächlichen Entwicklung.

Mit ihrem neuen Rettungspaket haben sich die Euro-Staaten daher vor allem Zeit gekauft, um einen drohenden Schuldenschnitt noch weiter hinauszuschieben - Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble wird vorgeworfen, mit einer endgültigen Entscheidung absichtlich bis nach der Bundestagswahl zu warten, um keine Wähler zu vergraulen. SPD-Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier kritisierte in einem Interview mit dem ZDF: "Schäuble mogelt sich an der Wahrheit vorbei."

Die in der Nacht zum Dienstag beschlossenen Maßnahmen von Euro-Finanzministern, IWF und EZB werden den Bund voraussichtlich 730 Millionen Euro kosten - das Rettungspaket muss noch durch den Bundestag. Doch gerettet ist Griechenland damit ohnehin nicht. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Euro-Staaten in Zukunft noch viel mehr Geld ausgeben müssen - ähnlich wie die Steuerzahler für die Elbphilharmonie. Ursprünglich sollte das neue Wahrzeichen Hamburgs 77 Millionen Euro kosten. Mittlerweile sind es mindestens 323 Millionen Euro.

© Süddeutsche.de/ratz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: