Beschlagnahmung:Russische Justiz greift nach Ölkonzern Yukos

In einer beispiellosen Aktion hat die russische Staatsanwaltschaft am Donnerstag die Aktienmehrheit des Ölkonzerns Yukos konfisziert. Damit verschärft sich der Konflikt zwischen dem Kreml und den "Oligarchen", die Teile der russischen Rohstoffe kontrollieren.

Von Tomas Avenarius

(SZ vom 31.10.03) - Yukos-Chef Michail Chodorkowskij war am vergangenen Samstag "wegen Betrugs und Steuerhinterziehung" inhaftiert worden. Nun droht der Konflikt zwischen den aus den Geheimdiensten stammenden engsten Mitarbeitern von Präsident Wladimir Putin und den auf halb legale Weise reich gewordenen Oligarchen zu eskalieren.

Die Generalstaatsanwaltschaft bestätigte am Donnerstag laut der Nachrichtenagentur Interfax, dass sie das Kontrollpaket der Yukos-Aktien beschlagnahmt habe. Dies sei im Zuge der Ermittlungen gegen Yukos-Chef Chodorkowskij und weitere Manager des Öl-Konzerns wegen Betrugs und Steuerhinterziehung "in Höhe von mehr als einer Milliarde Dollar" geschehen.

Mit der Beschlagnahmung ist es nun praktisch unmöglich geworden, dass ausländische Unternehmen in den russischen Ölkonzern einsteigen.

Börse bricht erneut ein

Die Yukos-Aktie brach nach Bekanntgabe der Beschlagnahmung ein verlor bis zum Ende des Handelstages an der Moskauer Börse knapp vierzehn Prozent ihres Wertes. Auch die Titel der Ölkonzerne Lukoil und Surgutneftegaz mussten mit jeweils etwa zehn Prozent empfindliche Abschläge hinnehmen. Der Leitindex RTS rutschte um 8,14 Prozent auf 496,66 Zähler ab.

Die Yukos-Aktie war nach der Inhaftierung Chodorkowskijs am vorigen Samstag ebenso wie die gesamte russische Börse drastisch eingebrochen und hatte sich gerade wieder zu erholen begonnen.

Ein Yukos-Sprecher bestätigte die Aktion der Justiz. Während er von 61 Prozent aller Aktien sprach, die beschlagnahmt worden seien, bezifferte die Staatsanwaltschaft das Paket laut Interfax auf 53 Prozent.

"Staatsanwalt verstößt gegen Gesetze"

Der Yukos-Sprecher erklärte, das Vorgehen der Staatsanwaltschaft verstoße gegen Gesetze und gegen die russische Verfassung. Das Aktienpaket werde "von den ausländischen Aktienbesitzern Yukos Universal und Hully Enterprise gehalten. Die Unternehmen gehören einer Investorengruppe, die nichts mit der Person Chodorkowskijs zu tun hat".

Interfax berichtete unter Berufung auf einen anderen Mitarbeiter des Yukos-Konzerns, dass das Kontrollpaket des weltweit viertgrößten Ölunternehmens 53 Prozent der Aktien umfasse. Der Informant habe gesagt, dass diese Aktien aber "in der Realität Chodorkowskij gehören".

Diese werden Medienberichten zufolge gemeinsam bei den Unternehmen Yukos Universal Limited und Hully Enterprise verwaltet. Beides sind so genannte Offshore-Firmen. Yukos Universal ist auf der britischen Isle of Man, Hully Enterprise auf Zypern registriert.

Rücktritt

Die Nachricht von der Beschlagnahmung der Aktienmehrheit fiel zeitlich zusammen mit Berichten russischer Zeitungen, wonach der einflussreiche Stabschef Alexander Woloschin zurückgetreten sei. Nach den unbestätigten Berichten hatte Woloschin seinen Rücktritt unmittelbar nach der Verhaftung Chodorkowskijs am Wochenende eingereicht, nachdem er zuvor versucht habe, das Vorgehen der Justiz gegen den Yukos-Chef zu stoppen.

Mit der Aktion der Staatsanwaltschaft zeichnet sich die Möglichkeit ab, dass der russische Staat versucht, die Verfügungsgewalt über die Rohstoffreserven des Landes zumindest in Teilen zurückzugewinnen.

Derzeit sind bis auf einen der großen russischen Ölkonzerne alle privatisiert. Innenminister Boris Gryslow hatte am Mittwoch, von der Öffentlichkeit unbeachtet, eine bedeutsame Äußerung gemacht.

"Rohstoffe gehören dem Volk"

Der Minister, ein enger Weggefährte Putins, hatte gesagt: "Die Rohstoffe Russlands gehören weder bestimmten Firmen noch Personen, sondern dem russischen Volk. Und wenn eine Firma sich mit der Ausbeutung dieser Rohstoffe befasst, so heißt dies nicht, dass sie auch unsere Profite daraus privatisieren darf."

Die Äußerung passt zur Denkweise der Geheimdienstfraktion im Kreml und der Regierung.

Viele dieser Personen - womöglich auch Putin selber - befürchten einen "Ausverkauf" der russischen Rohstoffe durch die Oligarchen.

Die russische Wirtschaft beruht bis heute zum großen Teil auf dem Export von Rohstoffen, der Haushalt des Landes ist vom Ölpreis abhängig. Die Verhandlungen von Yukos mit den US-Ölunternehmen Exxon und Chevron über einen Einstieg bei dem russischen Unternehmen dürften solche Ängste verstärkt haben.

Investitionen im Ausland

Zudem investieren einige Oligarchen ihre Gewinne im Ausland statt in Russland. Der Ölunternehmer Roman Abramowitsch etwa hatte seinen Konzern Sibneft an Yukos verkauft und sich dann für 215 Millionen Euro den britischen Fußballclub Chelsea gekauft.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: