Berthold Beitz:Der Herr von Krupp

Berthold Beitz war in sechs Jahrzehnten deutscher Wirtschaftsgeschichte einer der großen Entscheider. Jetzt wird er 95 - und fährt immer noch täglich ins Büro.

Karl-Heinz Büschemann

Mögen andere mit 57 in Rente gehen oder demnächst mit 67 Jahren. Berthold Beitz wird am Freitag 95 Jahre alt und immer noch lässt er sich jeden Morgen gegen halb zehn ins Büro gleich neben der Villa Hügel im Essener Süden fahren. Mit dem ständigen Blick auf den stolzen Sitz der Firma Krupp, auf Park und Bäume, hat Beitz einen der schönsten Arbeitsplätze an der Ruhr. Man sieht dem alten Herrn an, dass er noch Spaß hat an der Leitung der Krupp-Stiftung. Vielleicht liegt es daran, dass er über Wohltaten für Krankenhäuser oder Universitätslehrstühle entscheiden kann. Gerade entsteht in Essen der Neubau des Folkwang-Museums, den die Krupp-Stiftung allein mit 55 Millionen Euro finanziert. Beitz hat mit dafür gesorgt, dass Essen die europäische Kulturhauptstadt 2010 sein wird.

Berthold Beitz: Berthold Beitz - Grandseigneur der deutschen Wirtschaft.

Berthold Beitz - Grandseigneur der deutschen Wirtschaft.

(Foto: Foto: ddp)

Den Mann auf Kultur zu reduzieren, würde seinem Leben nicht gerecht. Der 1913 in dem Ort Zemmin geborene Pommerner ist wohl der einflussreichste Ruhr-Industrielle der Nachkriegszeit. Noch heute erscheinen Gerhard Cromme und Ekkehard Schulz, der eine Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp, der andere Vorstandsvorsitzende, mehrmals im Monat bei Beitz, um brav über die Geschäfte des Konzerns zu berichten, dessen Großaktionär die Krupp-Stiftung ist.

Heldenhafter Einsatz

Der Lebenslauf des Wirtschaftsführers ist ungewöhnlich. Nicht nur, dass er seit 69 Jahren mit seiner Frau Else verheiratet ist oder dass er seit 55 Jahren für Krupp arbeitet. Schon bevor er 1953 nach Essen kam, hatte er einiges hinter sich. Der gutaussehende Mann, der immer wie ein Herr wirkte und der selbst neben Staatspräsidenten oder Kaisern eine stattliche Erscheinung ist, hat einmal als stellvertretender Leiter einer Bankfiliale in seinem Heimatort angefangen. Er arbeitete für Shell und war nach dem Krieg Chef der Iduna-Germania-Versicherung im Hamburg.

Bedeutend ist, was Beitz während des Krieges wagte, als er Leiter der Karpaten-Ölgesellschaft war, die Ölfelder in der heutigen Ukraine hatte. Gemeinsam mit seiner Frau rettete er in dieser Aufgabe viele jüdische Menschen vor den Gaskammern des Nazireiches: Er forderte sie als Arbeitskräfte für seine Firma an; auch Frauen und Kinder waren darunter. Dafür wurde er in Israel wie in Polen später mit höchsten Auszeichnungen geehrt. Es gehört zur Ironie dieser Biographie, dass Beitz zur entscheidenden Figur ausgerechnet bei Krupp wurde, dem Unternehmen, das wegen seiner Verstrickungen im Dritten Reich belastet war, wie kein anderes.

Diese Karriere begann acht Jahre nach dem Krieg. Alfried Krupp, der letzte Namensträger der Dynastie, hatte nach dem Nürnberger Prozess bis 1951 im Gefängnis gesessen, unter anderem wegen Sklavenarbeit. Er war ein gebrochener Mann und suchte einen tüchtigen Vollstrecker für die Firma. Krupp und Beitz einigten sich per Handschlag. "Sie kriegen Generalvollmacht und können handeln wie ein Eigentümer", gab Krupp dem jungen Beitz mit. Sein Jahresgehalt soll die damals sagenhafte Summe von einer Million Mark betragen haben. Beitz wurde zur entscheidenden Figur in der Villa Hügel. Später überredete er den letzten Erben der Krupp-Familie, Arndt von Bohlen und Halbach, zum Verzicht auf sein Erbe und schaffte mit dem Ende des Familieneinflusses die Rehabilitierung des nazibelasteten Konzerns.

Nach dem Tod von Alfried Krupp im Jahr 1967 war der einst kleine Bankkaufmann auch zum offiziellen Herrn von Krupp geworden. Aber nicht alles lief gut in dem Imperium; manches ging sogar richtig schief. Doch während andere große Namen aus der Wirtschaft der Nachkriegszeit verschwanden, blieb der Name Krupp erhalten, wenn auch nur als Teil des Doppelsignets Thyssen-Krupp. Das ist vor allem das Verdienst des Hausmeiers, selbst wenn der oft nur im Hintergrund die Fäden zog.

Lesen Sie weiter: Wie Beitz Krupp in den sechziger Jahren wieder auf Kurs brachte.

Der Herr von Krupp

In den sechziger Jahren stand das Traditionsunternehmen am Rand der Pleite; aber Beitz brachte es wieder in die Spur. Er schreckte nicht einmal vor Bürgschaften des Staates zurück. Im Streit um die richtige Strategie für Krupp legte sich Beitz selbst mit Hermann-Josef Abs an, dem langjährigen Chef der Deutschen Bank. Diesen Machtkampf überlebte er - wie viele andere auch. Beitz vergraulte den erfolgreichen Krupp-Konzernchef Günter Vogelsang, der selbst eine zu starke Persönlichkeit war, um reiner Befehlsempfänger zu sein und der bald an der Ruhr eine ähnliche Rolle hatte wie Beitz.

Als Krupp 1976 wieder einmal Geld brauchte, wagte Beitz Ungewohntes. Er verkaufte 25,1 Prozent des Essener Unternehmens an den Schah von Persien. Das sorgte für Aufsehen. Trotz der politischen Wirren im heutigen Iran hielt diese Beteiligung geräuschlos bis 2003. Dann bestanden die Amerikaner darauf, den Anteil des zum Schurkenstaat erklärten Landes an Thyssen-Krupp auf weniger als fünf Prozent zu senken.

Es gab ungezählte Krisen in der Stahlbranche, und alle Pläne, die deutschen Hüttenkonzerne neu zu organisieren, schlugen fehl. Krupp wurde unter Beitz immer schwächer, und ausgerechnet der ewige Konkurrent Thyssen, wo von 1984 an der alte Gegner Vogelsang als Aufsichtsratschef die Fäden zog, stand in den neunziger Jahren besser da.

Eingriff der Veteranen

Die beiden Alten versöhnten sich, und als 1999 die einander misstrauenden Manager von Thyssen und Krupp über eine Fusion nicht einig werden konnten, griffen die Veteranen ein. Sie waren nur noch Ehrenvorsitzende der beiden Aufsichtsräte, aber sie machten den Weg frei für Thyssen-Krupp. Die Thyssen-Fraktion im Unternehmen beklagt bis heute, dass der schwächere Partner, nämlich Krupp, in der Führung des neuen Konzerns praktisch die Oberhand hatte.

Dafür sorgte Gerhard Cromme, den Beitz mit 43 Jahren von dem französischen Mischkonzern St. Gobain abgeworben hatte und der zum Ziehsohn des Alten wurde. Cromme sorgte erst bei der Krupp-Stahltochter für frischen Wind. Später krempelte der schlaksige Manager die Essener Zentrale um. Würde Cromme heute einen ähnlichen Coup starten wie die Übernahme von Thyssen, müsste er Beitz einweihen. Bei Thyssen-Krupp läuft noch immer nichts ohne den Mann, der von sich selbst sagt: "Krupp ist für mich eine Lebensaufgabe."

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